Digitale Schule : Wie digitale Medien den Unterricht voranbringen können

Die Corona-Pandemie hat der Digitalisierung an Schulen einen großen Schub verliehen. Jetzt kommt es darauf an, die Erfahrungen aus dem Digitalunterricht zu evaluieren und herauszufinden, in welcher Weise digitale Medien im Unterricht weiterhin so eingesetzt werden können, dass sie Lernprozesse nach vorne bringen können.

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Lehrerin mit Tablet Digitale Medien im Unterricht
Der Einsatz von digitalen Tools hat durch die Corona-Pandemie einen enormen Schub erlebt Nun kommt es darauf an, digitale Medien im Unterricht auch nachhaltig zu etablieren.
©Armin Weigel/dpa

In der Corona-Pandemie haben sich die Schulen auf den digitalen Weg gemacht. Diese Entwicklung hat sich auch in den beiden Befragungen von Lehrkräften für das Deutsche Schulbarometer zu Beginn der Corona-Krise im Frühjahr 2020 und kurz vor dem zweiten Lockdown im Dezember 2020 gespiegelt. So hat im ersten Lockdown nicht einmal ein Drittel der befragten Lehrkräfte digitale Medien im Unterricht zur Vermittlung neuer Lerninhalte genutzt. Zu Beginn des zweiten Lockdowns waren es schon 62 Prozent. Und während 45 Prozent der befragten Lehrkräfte im April 2020 über eine digitale Lernplattform kommunizierten, waren es 73 Prozent im Dezember 2020.

Einsatz von digitalen Medien und Lernergebnisse

Noch deutlicher wird die Entwicklung, wenn man auf die Situation vor der Pandemie schaut. In einer Studie der Bertelsmann Stiftung von 2017 waren die allermeisten Schulleitungen zwar davon überzeugt, dass die Digitalisierung der Schulen notwendig und nützlich ist. Mehr als 80 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Schulleitungen sahen die Möglichkeiten digitaler Anwendungen allerdings in der Erleichterung von administrativen Aufgaben. Aber nicht einmal jede vierte Lehrperson glaubte, dass die Nutzung digitaler Medien den Unterricht wirklich voranbringt und die Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler dadurch gesteigert werden können.

Dabei hat die Kultusministerkonferenz bereits 2016 das Strategiepapier „Bildung in der digitalen Welt“ veröffentlicht, in dem es vor allem darum geht, wie Schülerinnen und Schülern die nötigen Kompetenzen vermittelt werden können, die für eine „aktive Teilhabe in einer digitalen Welt“ erforderlich sind.

Forschung zu Effekten des Lernens mit digitalen Medien noch nicht ausreichend

Ein im Oktober 2022 veröffentlichtes Gutachten im Auftrag des Philologenverbands NRW warnt allerdings, dass ein verstärkter Einsatz von digitalen Medien in den Schulen bislang nicht mit deutlich besseren Lernergebnissen einhergegangen sei. In der politischen Debatte kursierten teilweise spekulative, wenn nicht utopische Projektionen über die segensreichen Wirkungen der Digitalisierung, heißt es in der Analyse. Dass sich Schulen der Digitalisierung stellen müssten, sei unstrittig, schreibt darin der Pädagoge Karl-Heinz Dammer von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Allerdings sollten Ausmaß und genaue Zielrichtung der schulischen Digitalisierung ergebnisoffen diskutiert werden. Die Forschung zu den Effekten des Lernens mit digitalen Medien sei noch nicht ausreichend.

Dammer hat die Digitalisierungsstrategie der deutschen Bildungspolitik in den Blick genommen und bezieht sich nach eigenen Angaben vor allem auf Ziele des Landes NRW und der Kultusministerkonferenz (KMK). Konkret gehe es um ein Impulspapier II des NRW-Schulministeriums (2022) und KMK-Empfehlungen zum Lehren und Lernen in der digitalen Welt von Ende 2021.

In seiner Analyse schreibt Dammer, Schülerinnen und Schüler sollten den Umgang mit digitalen Medien als neue Kulturtechnik beherrschen können. Deren Einsatz könne sehr bereichernd für den Unterricht sein. Er hat aber aus seiner Sicht auch Grenzen: So sei der Einsatz digitaler Medien etwa bei komplexen Aufgabenstellungen schwieriger.

Eltern wünschen sich mehr digitale Kompetenzen für ihre Kinder

Auch Eltern wünschen sich eine stärkere Vermittlung digitaler Kompetenzen an den Schulen. Eine repräsentative Befragung des Meinungsforschungsinstituts IPSOS von 10.000 Eltern in zehn europäischen Ländern im Auftrag der Vodafone Group Foundation zeigt, dass eine Mehrheit von 79 Prozent der Eltern in Deutschland (85 Prozent in Europa) digitale Kompetenzen als äußerst wichtig für die Zukunft ihrer Kinder ansehen. Und 86 Prozent der befragten Eltern in Deutschland (89 Prozent in Europa) wollen, dass digitale Kompetenz ein zentrales Lernziel an Schulen ist. Darüber hinaus sind viele der Meinung, dass digitale Technologien nicht nur in vereinzelten Fächern, sondern im gesamten Lehrplan der Schule eingesetzt werden sollten.

Lernplattformen – eine wichtige Basis für digitalen Unterricht

Solche Lernplattformen dürfen aber nicht einfach das Analoge ins Digitale übersetzen, weil das für den Unterricht keinen Zugewinn bedeutet und das Lernen nicht in eine Kultur der Digitalität führt, wie Uta Hauck-Thum, Professorin für Grundschulpädagogik und -didaktik an der Ludwig-Maximilians-Universität München erklärt.

Jacob Chammon, Vorstand vom Forum Bildung Digitalisierung und früher selbst Schulleiter an einer Schule in Berlin, sieht im Interview mit dem Schulportal hier noch viel Handlungsbedarf: „Bislang läuft es meist so, dass der analoge Unterricht auf der Lernplattform einfach ins Digitale übersetzt wird. Die 45-Minuten-Stunde aus dem Klassenraum wird zu einer 45-Minuten-Videokonferenz. Aufgaben werden meist als PDFs hochgeladen, die die Kinder dann wieder herunterladen, ausdrucken und bearbeiten. Die Zettel fotografieren sie ab und laden sie wieder auf der Lernplattform hoch. Solche PDF-Wüsten sind nicht zukunftsweisend.“

Das ganze Interview und einen Überblick über das, was eine Lernplattform leisten sollte, gibt es hier:

Kompetenzzentren für digitalen Unterrichten

Aber damit Lehrerinnen und Lehrer ihren Schülerinnen und Schülern digitale Kompetenzen überhaupt vermitteln können, müssen sie selbst entsprechend aus- oder fortgebildet sein. Das Bundesbildungsministerium hat daher 2022 die Einrichtung von insgesamt vier Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten auf den Weg gebracht. Die Zentren sollen eng mit den Fortbildungsinstituten der Länder zusammenarbeiten. „Wir müssen unsere Lehrerinnen und Lehrer als Dreh- und Angelpunkte der digitalen Bildung mit Fortbildungsangeboten in diesem Bereich stärken“, sagte Bundesbildungsminsterin Bettina Stark-Watzinger (FDP) bei der Vorstellung der Initiative im Juni 2022.

Den Anfang macht ein Kompetenzzentrum für MINT-Fächer, drei weitere sollen folgen. Gefördert werden im MINT-Kompetenzzentrum Verbundprojekte, die das Ziel verfolgen, digitalisierungsbezogene Fort- und Weiterbildungsangebote in den MINT-Fächern (Biologie, Chemie, Informatik, Mathematik, Physik, Sachkunde) zu entwickeln.

Digitale Medien können das individualisierte Lernen erleichtern

Ein Thema der Lehrerfortbildung im digitalen Bereich ist es, die individualisierten Lernprozesse von Kindern durch den Einsatz digitaler Medien zu unterstützen. Auf einer Lernplattform können zum Beispiel Aufgaben auf unterschiedlichen Niveaus zur Verfügung gestellt werden. Die Schülerinnen und Schüler können dann selbstständig bzw. in Absprache mit der Lehrerin oder dem Lehrer entscheiden, welche Aufgabe sie lösen.

Für das personalisierte Lernen lassen sich neben Lernplattformen noch viele andere digitale Tools nutzen. Schulen in Ländern wie China oder den USA sind Deutschland da weit voraus, wie ein Studie im Auftrag der Robert Bosch Stiftung gezeigt hat.

Sehr hilfreich für das eigenständige Lernen sind auch Erklärvideos. Sie ermöglichen ein individualisiertes Lernen, weil die Schülerinnen und Schüler die Erklärvideos nach eigenem Bedarf nutzen können und so oft, wie sie es brauchen, anschauen können. Inzwischen gibt es zahlreiche Infos dazu, was ein gutes Erklärvideo ausmacht. Praktische Hilfe bietet zum Beispiel das Buch „Lehren und Lernen mit Tutorials und Erklärvideos“.

An vielen Schulen erstellen nicht nur Lehrkräfte Erklärvideos – auch Schülerinnen und Schüler werden in diesen Prozess einbezogen. Damit wird zugleich die Digitalkompetenz der Kinder und Jugendlichen gestärkt. Wie das geht, zeigt eine Grundschule in Hamburg:

Nicht jede App hält, was sie verspricht

Digitale Medien im Unterricht sorgen für mehr Abwechslung und können auch die Organisation erleichtern. So gibt es inzwischen eine Vielzahl von Apps für den Unterricht. Doch nicht jede App hält, was sie verspricht und ist wirklich sinnvoll. Hilfreich sind daher die Erfahrungen von Lehrkräften, die selbst mit den jeweiligen Apps gearbeitet haben. Daher haben Lehrerinnen und Lehrer exklusiv für das Schulportal Apps vorgestellt, die sie selbst nutzen und weiterempfehlen. Dazu gibt es einen Überblick, worauf bei der Wahl von Apps in der Schule zu achten ist.

Schulen brauchen entsprechende Ausstattung

Voraussetzung für die Nutzung digitaler Medien im Unterricht ist natürlich, dass die Schulen digital entsprechend ausgestattet sind. Die Schulen sind hier sehr unterschiedlich aufgestellt, und auch zwischen den Bundesländern gibt es große Unterschiede. Das sieht man schon allein daran, dass in den Ländern die Mittel für den Digitalpakt Schule in ganz unterschiedlichem Umfang abgerufen wurden. Bremen ist in der Pandemie vorausgegangen und hat alle Schülerinnen und Schüler mit Tablets versorgt. Wir haben diesen Prozess von Anfang an begleitet. Der neueste Beitrag der Serie zeigt, wie die Arbeit mit den Tablets an einer Bremer Schule aussieht und wie dort digitale Medien im Unterricht konkret genutzt werden.

Digitale Medien in der Unterrichtspraxis

Viele Schulen haben in der Corona-Pandemie auch ein eigenes Digitalkonzept entwickelt oder weiterentwickelt. Die Integrierte Gesamtschule (IGS) Lengede, die mit dem Deutschen Schulpreis 20I21 Spezial in der Kategorie „Digitale Lösungen umsetzen“ ausgezeichnet wurde, arbeitet schon seit 2018 mit einer digitalen Lernumgebung im Unterricht und hat dafür einen digitalen Werkzeugkasten entwickelt. In der Pandemie hat sie dieses Konzept vor allem mit dem Ziel, das eigenverantwortliche Arbeiten der Schülerinnen und Schüler zu stärken, weiter ausgebaut.


Wenn Lehrkräfte digitale Medien im Unterricht einsetzen, kann das auch einen wichtigen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit leisten. Das zeigt die Siebengebirgsschule in Bonn, die für den Deutschen Schulpreis 20I21 Spezial nominiert wurde.


Und wie sieht es mit digitalen Medien im Unterricht an Förderschulen aus? Viele winken da ab und sehen hier nur wenig Möglichkeiten. Nicht so die Mosaikschule in Marburg, auch eine der Preisträgerschulen 20I21. Hier lernen viele Kinder mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Für diese Kinder war der Distanzunterricht in der Corona-Pandemie eine besondere Herausforderung. Die Mosaikschule in Marburg hat es dennoch geschafft, alle Kinder auch während der Schulschließungen zu erreichen und zu fördern. Möglich wurde das, weil die Kinder bereits ab dem Schuleintritt digitale Medien nutzen und lernen, damit eigenverantwortlich zu arbeiten.