Fragen an Experten

Provokation im Unterricht : Wenn ein Schüler ständig den Unterricht torpediert

Das Lehrer-Schüler-Verhältnis, Elternarbeit oder das Zusammenspiel im Kollegium – Beziehungen prägen den Schulalltag, und häufig sind diese nicht einfach. Das Schulportal hat Lehrkräfte anonym befragt, in welchen Situationen sie unsicher sind, wenn es darum geht, Beziehungen professionell zu gestalten. Experten aus der Praxis geben Tipps, wie Lehrkräfte in den beschriebenen Situationen am besten vorgehen können. In diesem Fall geht es um den Machtkampf zwischen einer Lehrerin und einem Schüler. Wolfgang Vogelsaenger antwortet und beschreibt, wie er aus seiner Erfahrung in einer ähnlichen Situation vorgehen würde. Der ehemalige Schulleiter ist an der Deutschen Schulakademie zuständig für Angebote zum Thema „Beziehungen professionell gestalten“.

Eine Schatten-Silhouette zeigt eine Lehrerin mit einem Schüler im Gespräch.
Ein Konflikt zwischen der Lehrerin und dem Schüler lässt sich am besten im Gespräch klären. Wolfgang Vogelsaenger beschreibt, wie er dabei vorgehen würde.
©Getty Images

Lehrerin einer Gemeinschaftsschule: Ich habe vor Kurzem eine neue Klasse an der Schule übernommen. Ein Schüler ist sehr verhaltensauffällig: Jeden Morgen kommt er in den Klassenraum und provoziert mich mit extra lauten Sprüchen und versucht dann, die ganze Stunde zu torpedieren. Meine Kolleginnen und Kollegen, die den Schüler schon länger kennen, haben mir gesagt, dass man bei diesem Schüler mit Strenge wenig ausrichten kann. Vielmehr solle ich versuchen, eine gute Beziehung aufzubauen. Doch es fällt mir schwer, diesem Schüler positiv zu begegnen, wenn er schon beim Betreten des Klassenraums signalisiert, dass er mir die Stunde schwer machen will. Schon wenn ich ihn von Weitem sehe, steigen in mir eher negative Gefühle auf. Wie schaffe ich es, diese Emotionen umzukehren?

Wolfgang Vogelsaenger: Das ist ein ganz klarer Machtkampf. Den Sie nur verlieren können, wenn Sie sich auf diese Spielchen einlassen. Der Schüler will offensichtlich Aufmerksamkeit von Ihnen, er will eine Beziehung zu Ihnen – darauf deuten auch die Aussagen Ihrer Kolleginnen und Kollegen hin. Deshalb können Sie diesen Konflikt auch nur selbst lösen. Sie hätten schon verloren, wenn Sie etwa mit dem Schüler einen Termin mit dem Schulleiter oder der Schulleiterin machen würden.

Nehmen Sie sich Zeit für diesen Schüler. Teilen Sie ihm mit, dass Sie so nicht weitermachen möchten, dass Sie eine Lösung mit ihm zusammen finden wollen, die Sie als Lehrerin wieder gerne in die Klasse gehen lässt und die Ihnen ein gutes Gefühl gibt, wenn Sie ihm begegnen.

Vielleicht hilft Ihnen in dem Gespräch, dass Sie für diesen Schüler möglicherweise nur eine Projektion sind, dass er seinen Vater oder seine Mutter in Ihnen sieht. Ohne das zu erwähnen, können Sie ihm aber Ihre Rolle verdeutlichen: Sie haben die Verantwortung für den Lernerfolg der ganzen Klasse, aber auch für seinen eigenen Lernerfolg.

Überlegen Sie gemeinsam kleine Schritte, wie sich der Schüler Stück für Stück in die richtige Richtung bewegen kann und will. Wahrscheinlich werden Sie in dem Gespräch aber auch ganz andere Probleme des Kindes erfahren, auf die Sie dann auf jeden Fall eingehen sollten. So könnte er zum Beispiel privat oder in der Peergroup Ohnmachtserfahrungen machen und bei Ihnen eine Gelegenheit sehen, endlich mal in einer „Machtposition“ zu sein.

PS: Empfehlen kann ich Ihnen in diesem Zusammenhang folgendes Buch: „Schwierige Schüler. 49 Handlungsmöglichkeiten bei Verhaltensauffälligkeiten“ von Bodo Hartke und Robert Vrban, als Taschenbuch erschienen 2017 im Persen Verlag.

Zur Person

Wolfgang Vogelsaenger von der Deutschen Schulakademie
Wolfgang Vogelsaenger von der Deutschen Schulakademie
©David Weyand
  • Wolfgang Vogelsaenger war von 1971 bis 2018 Lehrer an Grundschule, Gymnasium und Gesamtschule.
  • Von 2002 bis 2018 leitete er die Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule Göttingen, die 2011 den Deutschen Schulpreis erhielt.
  • Als Mitglied des Programmteams der Deutschen Schulakademie verantwortet er seit November 2018 das Thema „Beziehungen professionell gestalten“.

Weitere Fragen an Experten

Die Arbeit einer Lehrkraft ist vielseitig. Besonders Beziehungen prägen den Schulalltag und sind häufig nicht einfach. Dabei spielen der Umgang mit den Schülerinnen und Schülern sowie den Eltern und dem Kollegium eine Rolle. Lehrerinnen und Lehrer können sich mit Situationen, in denen sie unsicher sind, anonym an das Schulportal wenden. Expertinnen und Experten aus der Praxis geben Tipps, wie Lehrkräfte in den beschriebenen Situationen am besten vorgehen.