Infografik

Das Deutsche Schulbarometer : Erschöpft: Lehrer-Umfrage zeigt ein System an der Belastungsgrenze

Die Folgen der Pandemie für die Schülerinnen und Schüler sind gravierend. Nun untersuchte eine aktuelle Befragung auch die Auswirkungen auf die Gesundheit und Berufszufriedenheit der Lehrkräfte. Die Ergebnisse sind alarmierend und verdeutlichen, in welch prekärer Lage sich viele Schulen in Deutschland befinden. Für das Deutsche Schulbarometer befragte Forsa eine repräsentative Stichprobe von insgesamt 1.017 Lehrkräften allgemeinbildender und berufsbildender Schulen im April 2022 im Auftrag der Robert Bosch Stiftung. Schwerpunkte der Umfrage waren das Belastungserleben der Lehrkräfte sowie die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Verhaltensweisen und Lernstand der Schülerinnen und Schüler.

Die Corona-Pandemie hinterlässt bei Schülerinnen und Schülern und auch bei den Lehrkräften tiefe Spuren. Zum vierten Mal in Folge seit April 2020 hat das Deutsche Schulbarometer die aktuelle Lage an Schulen in einer repräsentativen Lehrer-Umfrage in den Blick genommen. Die größten Herausforderungen für Lehrkräfte sind demnach noch immer die Corona-Pandemie, der Lehrermangel und die Digitalisierung.

Die  Lernrückstände ihrer Schülerinnen und Schüler schätzen die Lehrkräfte zum Ende des Schuljahres deutlich größer ein als in der Befragung vom September 2021, also zu Beginn des Schuljahres. Viele Defizite sind offenbar erst im Laufe des Präsenzunterrichts zutage getreten.

Aktuell gehen die Lehrerinnen und Lehrer an allgemeinbildenden Schulen im Schnitt davon aus, dass 41 Prozent ihrer Schülerinnen und Schüler deutliche Lernrückstände aufweisen, das sind 8 Prozentpunkte mehr als noch im September. 13 Prozent der Lehrkräfte schätzen sogar, dass mehr als 75 Prozent ihrer Schülerinnen und Schüler große Defizite haben, im September gingen nur 6 Prozent von einem so hohen Anteil aus.

Negative Verhaltensweisen der Schülerinnen und Schüler nehmen zu

Fast alle Lehrkräfte beobachten seit Beginn der Corona-Pandemie vermehrt problematische Verhaltensweisen bei ihren Schülerinnen und Schülern. Auch hier gibt es eine Steigerung im Vergleich zur letzten Befragung im September. 82 Prozent berichten beispielsweise über einen deutlichen Anstieg von Konzentrations- und Motivationsproblemen – im September waren es noch 67 Prozent. Häufigeres aggressives Verhalten sehen 42 Prozent der Befragten bei ihren Schülerinnen und Schülern, fast doppelt so viele wie bei der Befragung zu Beginn des Schuljahres. Jede vierte Lehrkraft beobachtet sogar einen Anstieg von Angststörungen.

Trotz milliardenschwerem Aufholprogramm durch Bund und Länder lassen die Ergebnisse vermuten, dass viele Schulen Mühe haben dürften, den Bedürfnissen ihrer Schülerinnen und Schüler zu entsprechen – sowohl im Hinblick auf das Aufholen der Lernrückstände als auch auf die Förderung des psychosozialen Wohlbefindens. 71 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, dass ihre Schule trotz aller Bemühungen einigen Schülerinnen und Schülern nicht die Unterstützung beim Lernen bieten kann, die sie eigentlich benötigten. Etwas mehr als jede zweite Lehrkraft ist der Ansicht, dass sie den Sorgen und Ängsten der Kinder und Jugendlichen nicht genügend Raum geben könne.

Die meisten Lehrkräfte fühlen sich häufig erschöpft

Dieses Gefühl, den Kindern trotzt hohem Engagement nicht ausreichend gerecht werden zu können, wirkt sich auch auf die Gesundheit der Lehrkräfte aus. Viele Lehrerinnen und Lehrer arbeiten auch im dritten Pandemie-Schuljahr über die Belastungsgrenze hinaus. 79 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer geben an, dass sie seit Beginn des Jahres 2022 häufig auch am Wochenende arbeiten. Und einer Mehrheit (60 Prozent) gelingt es häufig nicht, sich in der arbeitsfreien Zeit richtig zu erholen.

Die Mehrheit (62 Prozent) der Lehrkräfte berichtet, dass sie häufig oder sogar täglich körperlich erschöpft und müde sind. Häufige Symptome sind darüber hinaus Angespanntheit und innere Unruhe (45 Prozent), erhöhte Reizbarkeit (33 Prozent) oder auch Schlafstörungen (33 Prozent).

Das hat Konsequenzen: „Zum einen ist ein chronischer Erschöpfungszustand natürlich für die Lehrkräfte selbst sehr belastend. Zum anderen wissen wir aus anderen Studien, dass ein höherer Erschöpfungsgrad auch mit mehr Krankentagen einhergeht“, sagt Bildungsforscherin Uta Klusmann dazu im Interview mit dem Schulportal. Auch die Unterrichtsqualität könne darunter leiden.

Und noch etwas kommt erschwerend auf die Schulen zu: 13 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer denken laut Schulbarometer darüber nach, im kommenden Schuljahr ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Dieser Wunsch ist offenbar eng gekoppelt mit einer fehlenden Berufszufriedenheit. Vor allem Befragte, die mit ihrem Beruf aktuell (eher) unzufrieden sind, planen, die Anzahl ihrer Unterrichtsstunden zu reduzieren (25 Prozent).

Dagmar Wolf, Bereichsleiterin Bildung der Robert Bosch Stiftung, fordert angesichts der Umfrageergebnisse dringend Entlastung: „Lehrerin oder Lehrer wird man aus Überzeugung. Aber chronische Überlastung macht auf Dauer krank und unzufrieden. Schulen benötigen deshalb dringend zusätzliches Personal. Dazu gehören Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter, aber auch Verwaltungskräfte, die die Schulleitungen entlasten.“

Auf einen Blick

  • Zur dieser Befragung für das Deutsche Schulbarometer hat die Robert Bosch Stiftung auch ein Factsheet veröffentlicht. Es steht hier zum Download bereit.
  • In derselben Lehrkräftebefragung Anfang April hat die Robert Bosch Stiftung auch untersuchen lassen, wie die Aufnahme ukrainischer Schülerinnen und Schüler an den Schulen geregelt ist. Diese Ergebnisse wurden bereits Anfang Mai veröffentlicht. Alle Informationen dazu finden Sie hier.
  • Die Robert Bosch Stiftung lässt seit 2019 regelmäßig repräsentative Befragungen zur aktuellen Situation der Schulen in Deutschland durchführen, die als „Deutsches Schulbarometer“ veröffentlicht werden.
  • Die erste Befragung fand im Sommer 2019 statt. Dabei wurden Eltern an Grundschulen und weiterführenden Schulen dazu befragt, wie sie die Schule ihrer Kinder sehen.
  • Das erste Schulbarometer Spezial zur Corona-Krise erschien im April 2020. Im Fokus der Lehrerbefragung standen die Auswirkungen der Schulschließungen infolge der Pandemie.
  • Die zweite Befragung fand im Dezember 2020 unmittelbar vor dem zweiten Lockdown statt.
  • Im September 2021 wurden Lehrkräfte ein drittes Mal zur Situation an den Schulen in der Corona-Krise befragt.