Schulrecht : Worauf müssen Lehrkräfte bei der Leistungsbewertung achten?

Die Bewertung von Schülerleistungen ist für Lehrkräfte schon bei gängigen Klassenarbeiten anspruchsvoll. Bei Gruppenarbeiten oder anderen alternativen Prüfungsformaten wird es noch komplizierter. Schulrechtsexperte Stephan Rademacher beantwortet die wichtigsten Fragen zu dem Thema.

Paragraf auf Tafel Schulrecht
Im Schulalltag stehen Lehrkräfte immer wieder vor Situationen, in denen die Rechtslage kompliziert ist. Unser Rechtsexperte bietet Aufklärung.
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Deutsches Schulportal: Was müssen Lehrkräfte bei der Konzeption von Leistungsüberprüfungen grundsätzlich beachten?
Stephan Rademacher: Zwei Aspekte sind aus schulrechtlicher Sicht hier wichtig, sie beziehen sich auf die Auswahl der Inhalte der geplanten Leistungsüberprüfung sowie auf die Formulierung der konkreten Aufgabenstellung. Beides kann von den Verwaltungsgerichten nachträglich auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüft werden und steht nicht im Belieben der Lehrkräfte.

Inhalte: Für schulalltägliche Leistungskontrollen wie Klassenarbeiten oder Klausuren gilt der Grundsatz „Prüfungsstoff folgt Unterrichts- bzw. Lehrstoff“. Bei der Auswahl des Prüfungsgegenstands ist von den Lehrkräften also zwingend darauf zu achten, dass die Inhalte zuvor auch nachweislich im Unterricht bearbeitet wurden. Es darf von Schülerinnen und Schüler nichts verlangt werden, was sie im Unterricht nicht gelernt haben können. Denn wenn es bei den sogenannten summativen Leistungsüberprüfungen vor allem darum geht, den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler zu bilanzieren und zu prüfen, ob im weiteren Unterrichtsverlauf noch eventuell vorhandene Lerndefizite ausgeglichen werden müssen, dann ist es selbstverständlich, dass die anzubahnenden Kompetenzen vorher Gegenstand des Unterrichts gewesen sein müssen.

Sofern es zu Beschwerden über den ausgewählten Prüfungsstoff kommt, müssen Lehrkräfte nachweisen können, dass sie ihn zuvor im Unterricht behandelt haben. Insoweit ist es unerlässlich, die behandelten Themen- bzw. Kompetenzbereiche im Klassenbuch nachvollziehbar zu dokumentieren. Das gilt grundsätzlich auch für die verschiedenen schulischen Abschlussprüfungen. Da mit ihnen aber immer auch bestimmte „übergeordnete“ Zwecke verfolgt werden – beispielsweise die Feststellung der Studierfähigkeit im Rahmen der Prüfung zur allgemeinen Hochschulreife (Abitur) oder die Eignung für einen bestimmten Beruf –, muss der Kreis der zulässigen Prüfungsaufgaben und Prüfungsfragen weitergehen dürfen als in den sonstigen Leistungskontrollen im Schulalltag. Abschlussprüfungen nehmen auch das Hintergrundwissen und Allgemeinwissen der Schülerinnen und Schüler oder bestimmte Schlüsselqualifikationen in den Blick.

Aufgabenstellung: Bei der Formulierung der konkreten Aufgabe ist zwingend darauf zu achten, dass sie verständlich und in sich widerspruchsfrei ist. Vor allem darf sie nicht mehrdeutig sein, es darf beispielsweise nicht nur ein Lösungsweg suggeriert werden, wenn tatsächlich mehrere zur Verfügung stehen. Auch ist es wichtig, dass die Aufgabenstellung objektiv lösbar sein muss.

Leistungsbewertung ist anspruchsvoll

Worauf müssen Lehrerinnen und Lehrer bei der Leistungsbewertung beachten?
Das Bewerten von Schülerleistungen ist grundsätzlich ein sehr anspruchsvoller Vorgang, der ab und an auch noch so manchen „alten Hasen“ vor Herausforderungen stellt. Insbesondere dann, wenn es um die Wertung eher „weicher“ Faktoren wie den Aufbau und die Darstellung einer schriftlichen Leistung oder die Kommunikationsfähigkeit in einer mündlichen Prüfung geht, ist viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung gefragt, um zu einer angemessenen Notenfindung zu kommen.

Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte haben Lehrkräfte bei der Beurteilung alltäglicher Leistungskontrollen und Prüfungsleistungen grundsätzlich einen eigenen Bewertungsspielraum. Diesen überschreiten sie zum Beispiel, wenn sie gegen Verfahrensvorschriften verstoßen, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzen oder sich von sachfremden Erwägungen bei der Leistungsbewertung leiten lassen.

Solange sich eine Lehrkraft also innerhalb ihres Beurteilungsspielraums bewegt, sind auch die Gerichte daran gebunden und dürfen eine bestimmte Note nicht einfach für rechtswidrig oder „unpassend“ erklären.

Zum Thema Leistungsbewertung gibt es zahlreiche Gerichtsentscheidungen

Das klingt jetzt erst mal sehr rechtstechnisch. Was verbirgt sich genau hinter den einzelnen Grenzen des Beurteilungsspielraums bei der Leistungsbewertung?
Das Thema ist Gegenstand zahlreicher Gerichtsentscheidungen – nicht nur im Schulbereich, sondern auch und vor allem bei universitären Prüfungen. Im Grunde geht es um Selbstverständlichkeiten: Wer beispielsweise als Lehrkraft nachweislich voreingenommen eine erbrachte Leistung bewertet, lässt sich von sachfremden Erwägungen leiten, was die Beurteilung fehlerhaft werden lässt. Oder, ein anderes Beispiel: Zu den allgemeingültigen Maßstäben bei der Leistungsbewertung gehört es, dass eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung nicht als falsch gewertet werden darf. Das ist zum Beispiel für das Fach Politik wichtig: Hier muss die Lehrkraft ggf. eine bestimmte Sichtweise des Schülers oder der Schülerin akzeptieren – selbst wenn sie diese Lösung gerade nicht favorisiert.

Wie sieht es bei der Leistungsbewertung von Gruppenarbeiten aus: Müssen die Beträge des oder der Einzelnen grundsätzlich individuell bewertet werden können?
Ja! Bei der Beurteilung einer kooperativ erbrachten Leistung kommt es darauf an, dass die (Teil-)Leistung jedes einzelnen Schülers oder jeder einzelnen Schülerin deutlich von den anderen Leistungen abgrenzbar und individuell zurechenbar ist. Dieser Grundsatz hat große Bedeutung für Projektarbeiten, die von Schülerinnen und Schülern in der Regel in Kleingruppen angefertigt werden. Sofern es sich bei dem jeweiligen Produkt um eine schriftliche Ausarbeitung handelt, müssen die Schülerinnen und Schüler hinreichend deutlich machen, wer für welchen Teil inhaltlich verantwortlich ist. Eine solche eindeutige Abgrenzung liegt zumindest dann vor, wenn die Arbeit nach Abschnitten äußerlich aufgeteilt ist. Ein allgemeiner Hinweis auf dem Deckblatt über die Autorenschaft der Arbeit genügt hingegen nicht. Bei anderen Produkten wie Filmen, Skulpturen oder Theaterstücken ergibt sich eine solche inhaltliche Zuordnung erst durch weitere Aspekte, wie beispielsweise Reflexionsberichte oder Kolloquien.

Die Regelungen zu alternativen Prüfungsformaten sind in den Bundesländern unterschiedlich

Gibt es Vorgaben, wie viele Klassenarbeiten und Tests durch alternative Prüfungsformate ersetzt werden dürfen?
Diese Vorgaben gibt es, allerdings sind sie nicht nur von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, sondern auch noch mal innerhalb der verschiedenen Bildungsgänge. So heißt es beispielsweise in Bremen für die Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe: „In den Fächern Deutsch, Mathematik und Erste Fremdsprache werden je Halbjahr mindestens zwei Klausuren geschrieben. Es kann eine der beiden Klausuren durch eine vergleichbare Leistung wie Referat oder Präsentation ersetzt werden.“ (§ 12 Abs. 2 Ziff. 1 GyO-VO).

Gerade in der Oberstufe und im Abitur gibt es recht strenge Regeln zu den Klausuren. Warum ist das schulrechtlich so?
Das liegt vor allem an der intendierten Vergleichbarkeit des Abschlusses „Allgemeine Hochschulreife“, welche ja vonseiten der Kultusministerkonferenz zu Recht immer stärker eingefordert wird. Insoweit gibt es in den einzelnen Bundesländern nicht nur relativ detaillierte Vorgaben für die eigentliche Abiturprüfung, sondern auch bereits für die beiden Jahre der Qualifikationsphase, denn auch die Leistungen aus diesen beiden Jahren stellen einen gewichtigen Teil des Schulabschlusses „Abitur“ dar.

Bei Online-Formaten Datenschutz beachten

In der Corona-Pandemie haben Schulen auch digitale Prüfungsformate entwickelt. Was ist bei solchen Prüfungen zu beachten?
Schulalltägliche Leistungskontrollen im Online-Format sollten grundsätzlich nur dann durchgeführt werden, wenn sich die Schülerinnen und Schüler dazu ausdrücklich gegenüber der Lehrkraft bereit erklären. Die Schülerinnen und Schüler können zu einer Teilnahme wohl nicht verpflichtet werden.

Zwar ist die Mitwirkung an Leistungsüberprüfungen ein grundsätzlicher Bestandteil der Schulpflicht, allerdings werden bei Online-Formaten auch datenschutzrechtliche Aspekte bedeutsam, denn die Schülerinnen und Schüler müssen es grundsätzlich nicht hinnehmen, dass Dritte während der Leistungsüberprüfung Einblick in die privaten Räumlichkeiten der elterlichen Wohnung wie Kinderzimmer oder Wohnzimmer erhalten. Das gilt selbst dann, wenn der Hintergrund unscharf gestellt werden kann. Ebenfalls ist zu berücksichtigen, dass während der Videokonferenz sehr sensible personenbezogene Daten im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verarbeitet werden. Dies ist gemäß den rechtlichen Vorgaben nur dann ohne eine Einwilligung möglich, wenn zwingende Gründe hierfür vorliegen. Davon wird man aber wohl für den Bereich schulischer Leistungskontrollen nicht unbedingt ausgehen können.

Selbst wenn man jedoch von einer Teilnahmepflicht der Schüler an Online-Leistungsüberprüfungen ausgeht, sollte man aus prüfungsrechtlicher Sicht davon Abstand nehmen, denn es steht zu befürchten, dass allgemeine Grundsätze des Prüfungsrechts bei der Durchführung möglicherweise nicht eingehalten werden (können). Dazu zählt der Grundsatz, dass die Leistung persönlich und nur mit den zugelassenen Hilfsmitteln zu erbringen ist. Gerade aber bei Online-Klausuren besteht die Gefahr, dass die Schülerinnen und Schüler unzulässige Hilfsmittel nutzen könnten.

Die genannten Probleme können Lehrkräfte umgehen, wenn die Schülerinnen und Schüler freiwillig in die Durchführung beispielsweise einer Online-Klausur einwilligen und sich mit bestimmten Verfahrensabsprachen ausdrücklich einverstanden erklären. In diesem Fall wäre es nämlich der zu prüfenden Person infolge des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich nachträglich auf die Unzulässigkeit der Leistungsüberprüfung zu berufen.

Wurde die Leistung von den Schülerinnen oder Schülern selbst erbracht?

Und wie ist es bei der Bewertung anderer Leistungen im digitalen Fernunterricht?
Für die Beurteilung sonstiger schulischer Leistungen im Fernunterricht (Beispiele: schriftliche Ausarbeitungen, künstlerische oder ästhetische Produkte in jedweder Form) bestehen die vorgenannten Bedenken nicht im gleichen Umfang, weshalb diese eher einer Beurteilung zugänglich sind.

Wichtig ist hierbei jedoch einerseits, dass die erbrachte Leistung tatsächlich von dem Schüler oder der Schülerin stammt und auch nur die eventuell zugelassenen Hilfsmittel verwendet wurden. Genau wie bei den umfangreicheren Projekt- bzw. Profilleistungen in den Oberstufen wäre zumindest bei älteren Schülerinnen und Schülern zu empfehlen, dass eine kurze Erklärung zur Urheberschaft des jeweiligen „Werks“ eingeholt wird, um so auf eventuelle Täuschungshandlungen angemessen reagieren zu können.

Andererseits sollten sich die Lehrkräfte aber auch immer bewusst machen, dass die häuslichen Arbeits- und Lernbedingungen sehr unterschiedlich sind und beispielweise nicht alle Schülerinnen und Schüler über ein eigenes (Arbeits-)Zimmer oder einen Computer verfügen. Und es ist sicherzustellen, dass die Schülerinnen und Schüler für die Bearbeitung der gestellten Aufgaben verlässliche Ansprechpartner in der Schule haben, sodass diese bei eventuell auftretenden Schwierigkeiten eine angemessene Hilfestellung geben können.

Zur Person

Stephan Rademacher Experte für Schulrecht
  • Stephan Rademacher ist Diplom-Jurist und bei der Senatorin für Kinder und Bildung in Bremen unter anderem für den Bereich der Schulaufsicht verantwortlich.
  • Er war vor seinem Wechsel in die Schulverwaltung Schulleiter in Bremerhaven und hat bereits in dieser Zeit Fortbildungen zu schulrechtlichen Themen gegeben, unter anderem am Landesinstitut für Schule Bremen (LIS) und an der Cornelsen Akademie.
  • Rademacher hat auch einige Bücher geschrieben, in denen er Fragen zum Schulrecht erklärt:
  • Zuletzt erschienen sind von ihm „Schulische Leistungsbeurteilungen aus rechtlicher Sicht“ (2022), Cornelsen Verlag, 160 S., 24,25 Euro, „Schulrecht in der Praxis: Aufsichtspflicht und Haftung“ (2020), Cornelsen Verlag, 112 S., 19,25 Euro, und „Schulrecht. Schule leiten von A bis Z“ (2018), Cornelsen Verlag, 128 S., 21,50 Euro.