Sprachkompetenz : Digitale Tools für den mehrsprachigen Unterricht

Mehrsprachige Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im Unterricht zu nutzen und zu fördern, stellt für Lehrkräfte eine Herausforderung dar. Unterstützung bei diesem Prozess können digitale Tools und Zugangsmöglichkeiten bieten – von Quellen in Originalsprachen über digital gestützte Sprachvergleiche bis hin zum Einsatz von künstlicher Intelligenz.

Kinder mit Tablets digitale Tools für mehrsprachigen Unterricht
Mit digitalen Tools können sich mehrsprachige Kinder deutsche Texte leichter erschließen.
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Immer mehr Schülerinnen und Schüler verfügen über sprachliche Kompetenzen in mehreren Sprachen. Laut aktuellem IQB-Bildungstrend haben mittlerweile 38 Prozent der Kinder in der vierten Klasse einen Migrationshintergrund und sprechen damit meist eine weitere Sprache als nur Deutsch. In Bundesländern wie Bremen, Berlin und Baden-Württemberg ist der Anteil sogar noch deutlich höher.

Das führt an den Schulen zu einer immer größeren Sprachenvielfalt und stellt Lehrkräfte vor die Herausforderung, die unterschiedlichen mehrsprachigen Ressourcen der Schülerinnen und Schüler im Unterricht gewinnbringend zu nutzen.

Dabei können digitale Tools und Zugangsmöglichkeiten wichtige Unterstützung bieten. Allerdings gibt es hier offenbar noch viel ungenutztes Potenzial, wie eine Umfrage für den Monitor Digitale Bildung der Bertelsmann Stiftung zeigt. Demnach spielen digitale Tools für die Nutzung mehrsprachiger Ressourcen im Unterricht oder für eine Differenzierung im Sprachunterricht offenbar noch eine geringe Rolle.

Lese- und Schreibfähigkeit durch digitale Tools ergänzen

Inzwischen gibt es aber viele erprobte Tools und Methoden, die das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache in einer Handreichung zusammengetragen hat. Über digitale Medien ist zum Beispiel ein einfacher Zugang zu authentischen Sprachmaterialien, also zu Originalquellen in unterschiedlichen Sprachen, möglich. Das können Online-Zeitungen, YouTube-Videos, Blogs oder Texte auf Webseiten sein. So können Schülerinnen und Schüler in ihrer Erstsprache Materialien zu bestimmten Aufgaben recherchieren, über das dann in einer Gruppe oder im Plenum gemeinsam auf Deutsch diskutiert wird.

Auch die Lese- und die Schreibfähigkeit lassen sich durch digitale Tools unterstützen. Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache können Texte leichter lesen und verstehen, in dem sie sich Wörter oder Passagen auf Deutsch vorlesen oder auch in ihre Erstsprache übersetzen lassen. Wenn Schülerinnen und Schüler Texte in Deutsch auf dem Computer oder Tablet lesen, können diese durch Erklärvideos, Audiomaterial oder Übungen ergänzt und so leichter verstanden werden. Auch ganze Bücher lassen sich digital über verschiedene Sprachen abrufen.

Über künstliche Intelligenz (KI) ist es möglich, sich an die oder den Nutzer und seine Sprachkenntnisse anzupassen. Das zeigt die Trendstudie „KI@Bildung. Lehren und Lernen in der Schule mit Werkzeugen Künstlicher Intelligenz“ für die Telekom Stiftung. Über Anwendungen von NLP (Natural Language Processing) und ASR (Automatic Speech Recognition) lassen sich Texte und Dialoge der Schülerinnen und Schüler analysieren, korrigieren und anpassen. Und über Learning Analytics lassen sich aus dem gesammelten Datenmaterial für jede Schülerin und jeden Schüler individuelle Übungsaufgaben zuschneiden. „Intelligente Chatbots oder Sprachassistenten stellen gerade im Bildungsbereich ein überaus attraktives, niedrigschwelliges Interface zum Lernenden dar, das sowohl für situative Wissensanfragen aller Art als auch im Bereich des Spracherwerbs vielfältig genutzt werden kann“, heißt es im Schlussbericht der Studie.

Sprachvergleiche mithilfe digitaler Wörterbücher

Aus Sicht des Mercator-Instituts kommt digitalen Medien gerade beim Schriftsprachenerwerb eine besondere Bedeutung zu, denn Schülerinnen und Schüler mit einer anderen Herkunftssprache als Deutsch würden „im Bereich der schriftsprachlichen Kommunikation oft einsprachig bleiben, da in der Schule häufig keine doppelte Alphabetisierung stattfindet“, heißt es in der Handreichung. Für Lehrkräfte ist es auch kaum zu leisten, in sprachlich heterogenen Klassen gleichermaßen allen Schülerinnen und Schülern schriftliche Kompetenzen in verschiedenen Sprachen zu vermitteln. Hier können aber digitale Tools helfen, über die entsprechende Übungen und Arbeitsmaterialien in unterschiedlichen Sprachen abgerufen werden können.

Zum Beispiel gibt es Tools, mit deren Hilfe sich Erklärvideos oder Podcasts in verschiedenen Sprachen erstellen oder mehrsprachige Geschichten und Comic-Sequenzen gestalten lassen. Eine Übersicht solcher Tools findet sich in der Handreichung.

Auch Sprachvergleiche sind beim Umgang mit Mehrsprachigkeit und beim Aufbau sprachlicher Kompetenzen im Unterricht wichtig. „Solche Vergleiche fördern die Sprachaufmerksamkeit und das Sprachverständnis der Schülerinnen und Schüler, weil ihnen klar wird, wie Sprachen funktionieren. Davon profitieren alle Kinder – auch die mit Deutsch als Erstsprache“, sagt die Deutschdidaktikerin Katja Schnitzer im Interview mit dem Schulportal.

Arbeitsanweisungen in der Erstsprache zur Verfügung stellen

Und auch hier bieten sich digitale Tools als Unterstützung an. So können Schülerinnen und Schüler mit verschiedenen Familiensprachen in Tandems oder Kleingruppen mithilfe von digitalen Wörterbüchern oder Übersetzungstools Verbindungen und Unterschiede zwischen Wörtern ihrer Sprachen herstellen, was zusätzlich auch ihre Kommunikationskompetenzen stärkt.

Hilfreich für Lehrkräfte kann in diesem Kontext die Sammlung von Kurzbeschreibungen verschiedener Sprachen sein, die das Institut für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache an der Universität Duisburg-Essen zusammengestellt hat. Hier gibt es Einführungen zu 24 Sprachen von Arabisch bis Vietnamesisch und jeweils Sprachvergleiche zur deutschen Sprache. Aufgeführt sind in den Beschreibungen auch typische Stolpersteine für Schülerinnen und Schüler bei der Übersetzung vom Deutschen in die eigene Herkunftssprache oder umgekehrt.

Mehr Bildungsgerechtigkeit durch digitale Tools

Aber nicht nur im Sprachunterricht, sondern grundsätzlich in allen Fächern können digitale Tools eine wichtige Unterstützung im Lernprozess mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler bieten. So können Erklärtexte oder Arbeitsanweisungen durch entsprechende Übersetzungstools in der jeweiligen Erstsprache abgerufen werden. Lehrkräfte stellen auf diese Weise sicher, dass alle Schülerinnen und Schüler die gleiche Ausgangslage haben und niemand abgehängt wird, nur weil er die Aufgabenstellung sprachlich nicht versteht. Digitale Medien im Kontext Mehrsprachigkeit können somit auch ein Stück weit mehr Bildungsgerechtigkeit schaffen.

Mehr zum Thema

  • Das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache hat eine Handreichung veröffentlicht, wie Lehrkräfte mithilfe digitaler Medien Mehrsprachigkeit im Unterricht nutzen und fördern können. Die Handreichung steht hier zum Download bereit. Konkrete Unterrichtsvorschläge für den mehrsprachigen Unterricht unter Einbeziehung digitaler Tools hat das Mercator-Institut hier zusammengestellt.
  • Anregungen, wie Mehrsprachigkeit im Unterricht genutzt werden kann und auch dazu, wie dabei digitale Medien zum Einsatz kommen können, hat die Universität Hamburg auf ihrer Seite „Mehrsprachigkeit im Unterricht“
  • Das Institut für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache an der Universität Duisburg-Essen hat eine Sammlung von Kurzbeschreibungen zu 24 Sprachen von Arabisch bis Vietnamesisch zusammengestellt. Fokus liegt hier auf dem Sprachvergleich zu anderen verwandten Sprachen und zum Deutschen.
  • Auf der mehrsprachigen Lernplattform „Binogi“, das für den Einsatz in den Klassen 5 bis 10 konzipiert ist, gibt es Lernvideos und Quiz, die Lehrkräfte dabei unterstützen können, Lernlücken von Schülerinnen und Schülern zu erkennen und zu schließen. Die Lernmaterialien stehen in 15 Sprachen zur Verfügung, darunter Arabisch, Somali, Polnisch, Thai, Ukrainisch. Der Zugang für Lehrkräfte ist kostenlos. Um auch Accounts für Schülerinnen und Schüler erstellen zu können und die Funktionen des Monitorings nutzen zu können, wird eine Lizenzgebühr fällig.