Rechtschreibung : Wie lernen Kinder am besten Schreiben?

Bildungsstudien verzeichnen seit Jahren schlechter werdende Rechtschreibleistungen der deutschen Schülerinnen und Schüler. Als eine mögliche Ursache ist die Methode Lesen durch Schreiben (Schreiben nach Gehör) in Verruf geraten, die seit den 1990er Jahren Anwendung findet. Wir sprachen mit Simone Jambor-Fahlen, die am Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache forscht, über das Für und Wider dieser Methode und darüber wie der Rechtschreibunterricht verbessert werden kann.

Kind schreibt Anfang auf eine Tafel
Die Rechtschreibleistungen der Schülerinnen und Schüler haben in den vergangenen Jahren deutlich nachgelassen.
©photocase/suze

Deutsches Schulportal: Frau Jambor-Fahlen, haben sich die Rechtschreibleistungen der Schülerinnen und Schüler tatsächlich verschlechtert?
Simone Jambor-Fahlen:
Ja, das stimmt leider. Internationale wie nationale Schulleistungsstudien zeigen immer wieder, dass die Rechtschreibung der Schüler schlechter wird, während die Leseleistung stabil bleibt. Man muss dabei allerdings gewisse pädagogische Strömungen beachten. So stand bei den Lehrkräften in den 1970er Jahren die Rechtschreibung stark im Fokus. Das hat sich geändert. Heute geht es den meisten vor allem darum, dass  die Kinder möglichst schnell eigene kreative Texte verfassen können. Schreiben nach Gehör, das heißt, die Arbeit mit der Anlauttabelle, ist diesbezüglich eine geeignete Methode. Die Kinder haben schnell Spaß am Schreiben und sind motiviert.

Für die Methode spricht, dass sie die Eigenaktivität wie auch die Kreativität der Kinder fördert.

Gibt es wissenschaftliche Belege dafür, wie die Methode  ankommt?
Empirische Befunde zeigen, dass  es die eine richtige Methode für alle Kinder nicht gibt. Und sie zeigen auch, dass Kinder, die Schreiben nach Gehör lernen, am Anfang, also in der ersten und zweiten Klasse, mehr Rechtschreibfehler machen. Wenn dann aber in der dritten Klasse systematischer Rechtschreibunterricht eingeführt wird, verändern sich diese Ergebnisse und am Ende der vierten Klasse gibt es keine Leistungsunterschiede mehr im Vergleich zu Schülern, die von Anfang an systematischen Rechtschreibunterricht hatten.

Was also spricht für und was gegen die Methode Schreiben nach Gehör?
Für die Methode spricht, dass sie die Eigenaktivität wie auch die Kreativität der Kinder fördert. Sie haben mehr Spaß  und sind motivierter, eigene Texte zu verfassen. Dagegen spricht, dass es den Kindern überlassen wird, sich die Systematik der Schrift selbst anzueignen. Es wird zum Beispiel nicht erklärt, warum man Ofen mit einem f und offen mit zwei f schreibt. Das funktioniert gut bei leistungsstarken Kindern. Kindern, die mit dem Rechtschreiben Probleme haben, erschweren völlig offene Methoden jedoch den Zugang zur Schrift. Hinzu kommt, dass es sehr demotivierend für diese Kinder sein kann, wenn in der dritten Klasse Noten eingeführt und ihre Fehler plötzlich bewertet werden.

Weil Schüler unterschiedlich lernen und Lehrkräfte unterschiedlich lehren, gibt es nicht die eine richtige Unterrichtsmethode.

In Baden-Württemberg hat die Bildungsministerin die Methode inzwischen verboten. Was halten Sie davon?
Grundsätzlich sollte man den Lehrerinnen und Lehrern die Kompetenz zutrauen, dass sie die richtige Methode für ihre Schülerinnen und Schüler wählen. Ausschließlichkeit ist der falsche Weg. Lehrkräfte müssen schauen, welche Methode zu welchen Schülern passt. Binnendifferenzierung ist gefragt. Nochmals, Schreiben nach Gehör oder nicht ist keine Glaubenssache. Es darf diesen Ansatz geben und daneben systematischen Rechtschreibunterricht. Weil Schüler unterschiedlich lernen und Lehrkräfte unterschiedlich lehren, gibt es nicht die eine richtige Unterrichtsmethode.

Welcher Ansatz ist für lernschwache Kinder geeignet?
Diesen Kindern sollte zusätzlich zur Methode Schreiben nach Gehör systematischer Rechtschreibunterricht angeboten werden, zum Beispiel in den Förderstunden. Sie müssen außerdem das richtige Schreiben trainieren. Wir sprechen von intelligentem Üben. Übungstechniken dazu sind durchaus mit dem Üben von Akkorden oder Tonleitern beim Erlernen eines Musikinstruments vergleichbar. Solche Übungen der Lese- und Schreibtechnik sind gerade bei Kindern mit Leselernschwierigkeiten unverzichtbar, weil aufgrund der Kapazität des Arbeitsgedächtnisses nur bei einer hinreichenden Lese- und Schreibflüssigkeit die hierarchiehöheren Prozesse wie Leseverstehen überhaupt funktionieren können. Kinder dürfen dabei aber nie den Eindruck gewinnen, dass diese Übungen reiner Selbstzweck sind. Wichtig ist, dass eine Automatisierung eintritt.

Was muss sich in der Lehrerausbildung ändern, damit der Rechtschreibunterricht effektiver wird?
Wir müssen in der Lehrerausbildung wie übrigens auch bei der Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern noch deutlicher vermitteln, welche Methoden es gibt und deren Vor-und Nachteile benennen. Es geht darum, die jungen Pädagoginnen und Pädagogen in die Lage zu versetzen, zu entscheiden, welche Methode zu welchen Schülerinnen und Schülern passt und diese dann sicher in der Praxis anzuwenden. Dabei sollte immer auch berücksichtigt werden, dass Kinder aus sozial schwachen Familien und solche mit Migrationshintergrund es häufig schwerer haben, gute Lernerfolge zu erzielen. Das wirkt sich auch auf die Rechtschreibleistungen aus. Hier ist Förderung angesagt und ein systematischer Rechtschreibunterricht.

Auf einen Blick

  • Bei der Methode „Lesen durch Schreiben“, häufig auch „Schreiben nach Gehör“ genannt,  erlernen Kinder das Lesen im Wesentlichen durch ihre eigenen Schreibaktivitäten.
  • Dabei werden sie nur wenig durch die Lehrkraft angeleitet. Den Schülerinnen und Schülern werden verschiedene Lernmaterialien zur Verfügung gestellt, mit deren Hilfe sie individuell und selbstständig Wörter verschriften können.
  • Das zentrale Hilfsmittel ist die Anlauttabelle. In der Anlauttabelle werden Buchstaben zusammen mit Abbildungen aufgeführt. Dabei entspricht der Buchstabe dem Anlaut des Objektes, also beispielsweise entspricht das A dem Anlaut des Wortes Affe beziehungsweise dem Bild eines Affen. Mittels der Anlauttabelle setzen sich die Kinder intensiv mit der Laut-Buchstaben-Beziehung auseinander und fokussieren damit den Kern der deutschen Schrift.

Zur Person

  • Simone Jambor-Fahlen studierte Germanistik, Allgemeine Sprachwissenschaft und Pädagogik an der Bergischen Universität Wuppertal und Deutsch als Zweitsprache an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
  • Sie promovierte zur Entwicklung der Wortschreibung in den ersten beiden Schuljahren.
  • Am Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache koordiniert sie das Grundschul-Projekt „Niemanden zurücklassen – Lesen macht stark“.
  • Simone Jambor-Fahlen ist Autorin des Faktenchecks  „Entwicklung der Lese- und Schreibleistungen“, der im Juni vom Mercator-Institut veröffentlicht wurde.
Sprachforscherin Simone Jambor-Fahlen
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