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Lehrer-Umfrage : Erstmals repräsentative Daten zum Fernunterricht

Angesichts der Corona-Pandemie stehen Lehrkräfte vor völlig neuen Heraus­forderungen. Die Schulen wurden in allen Bundes­ländern geschlossen, doch der Unterricht geht für die Schülerinnen und Schüler meist zu Hause weiter. Für das erste Deutsche Schulbarometer Spezial zur Corona-Krise wurden Lehrerinnen und Lehrer Anfang April 2020 in einer repräsentativen Umfrage gefragt, wie sie die neuen Aufgaben bewältigen, welche Folgen sie für die Schülerinnen und Schüler erwarten und welche Konsequenzen sie für die eigene Arbeit und die Weiter­entwicklung ihrer Schule erwarten. Die Ergebnisse offenbaren große Unter­schiede und gleich­zeitig große Chancen für die Schul­entwicklung.

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©Henriette Anders

Seit mehr als drei Wochen sind die Schulen wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Die meisten Schulen waren auf die Situation der Schulschließung vor allem technisch schlecht vorbereitet. Allerdings fehlte es nicht nur an Ausstattung, sondern auch an der Erfahrung beim Erstellen von digitalen Unterrichtsinhalten. Das geht aus einer repräsentativen Lehrer-Umfrage von Forsa im Auftrag der Robert Bosch Stiftung in Kooperation mit der ZEIT hervor.

Das Deutsche Schulbarometer Spezial zieht nach drei Wochen Fernunterricht eine erste Bilanz und zeigt die Erwartungen für die künftige Schulentwicklung. Befragt wurden 1.031 Lehrerinnen und Lehrer von allgemeinbildenden Schulen in der Zeit vom 2. bis 8. April. Die Ergebnisse offenbaren wichtige Handlungsfelder – sowohl für die Schulen als auch für die Politik.

Häufigstes Aufgabenformat im Fernunterricht ist das Arbeitsblatt

Wenn es um die größten Herausforderungen angesichts der Schulschließungen geht, nennen 28 Prozent der Befragten den Mangel an digitaler Ausstattung der Schülerinnen und Schüler. Gleich an zweiter Stelle der am häufigsten genannten Probleme folgt die fehlende Erfahrung der Lehrkräfte beim Erstellen digitaler Unterrichtsinhalte.

Es überrascht daher nicht, dass das am häufigsten verwendete Aufgabenformat auch im Fernunterricht das klassische Aufgabenblatt ist. Insgesamt 84 Prozent der Lehrkräfte geben an, dieses Format während der Zeit der Schulschließung zu nutzen. Allerdings kommen häufig digitale Formate hinzu. 39 Prozent der Befragten nutzen auch Erklärvideos, 17 Prozent setzen digitale Präsentationen ein, und 14 Prozent der Lehrkräfte vermitteln Unterrichtsstoff in Videokonferenzen.

Wie häufig die Lehrkräfte auf digitale Formate setzen, hängt stark von der jeweiligen Schulform ab. Lehrkräfte von weiterführenden Schulen nutzen Videokonferenzen, Tutorials oder Präsentationen wesentlich häufiger als Lehrkräfte von Grundschulen.

Das hat mehrere Gründe. Grundschulen sind offenbar von vornherein technisch schlechter ausgestattet als weiterführende Schulen. Insgesamt sagen 66 Prozent der Lehrkräfte, dass ihre Schule mit Blick auf die Ausstattung mit digitalen Medien „weniger gut“ oder sogar „schlecht“ auf die Schulschließung vorbereitet war – betrachtet man nur die Grundschulen, sind es sogar 82 Prozent.

Entsprechend groß fällt der Unterschied bei der Frage aus, wie häufig digitale Medien vor der Schulschließung im Unterricht eingesetzt wurden. An den Grundschulen geht jede zweite Lehrkraft davon aus, dass weniger als ein Viertel der Kolleginnen und Kollegen digitale Medien mindestens einmal pro Woche im Unterricht vor der Corona-Krise eingesetzt hat. An Haupt-, Real- oder Gesamtschulen dagegen folgen dieser Einschätzung nur 27 Prozent und an Gymnasien 16 Prozent. Wo der Umgang mit digitalen Lernformaten geübt ist, fällt die Umstellung auf den Fernunterricht leichter, das spiegeln auch die Erfahrungsberichte auf dem Schulportal: „An meiner Schule haben wir seit knapp fünf Jahren eine digitale Plattform, die im Rahmen des Beteiligungskonzepts ,aula‘ eingeführt wurde. Seit der Schulschließung nutzen wir einfach die dortigen digitalen Klassenräume zur Kommunikation von Aufgaben, Fragen und anfallenden Informationen“, schreibt beispielsweise der Realschullehrer Dejan Mihajlovic.

Kontakt zwischen Lehrkräften und Kindern ist oft unregelmäßig

Überraschend sind auch die Unterschiede, wenn es um den Kontakt der Lehrkräfte mit den Schülerinnen und Schülern während der Schulschließungen geht. An den Grundschulen geben 49 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer an, regelmäßig mit „mehr als der Hälfte“ der Kinder in Kontakt zu stehen, an Gymnasien sind es 69 Prozent. Die direkte Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern ist während der Schulschließung also keinesfalls selbstverständlich. Insgesamt sagen 37 Prozent der Befragten, dass sie mit „weniger als der Hälfte“ oder sogar nur mit „sehr wenigen Schülerinnen und Schülern“ regelmäßigen Kontakt haben. An Grundschulen sind es sogar 47 Prozent.

Viele Eltern, gerade von Grundschulkindern, vermissen den Kontakt zur Schule. Das zeigt beispielhaft auch der Gastbeitrag von Dagmar Wolf für das Schulportal. Die Leiterin des Bildungsbereichs der Robert Bosch Stiftung schreibt als Mutter von zwei Grundschulkindern: „Wenn schulisches Lernen im Elternhaus stattfinden muss, dann wünsche ich mir eine enge Zusammenarbeit mit der Schule im Sinne einer Erziehungspartnerschaft.“ Gerade in diesen Zeiten gehe es neben der reinen Lerntätigkeit auch um Beziehungen.

Es gibt aber auch Grundschulen, die sehr engen Kontakt zu ihren Kindern halten. Wie das gelingt, beschreibt zum Beispiel sehr eindrucksvoll Frank Wagner, Leiter der Gebrüder-Grimm-Grundschule in Hamm im Interview mit dem Schulportal. Hier rufen die Klassenlehrerinnen und -lehrer alle zwei Tage sämtliche Kinder der Klasse zu Hause an.

Schulschließung als Katalysator für die Digitalisierung der Schule

Wenn Schulen die Vermittlung des Unterrichtsstoffs weitgehend den Eltern überlassen, hat das Auswirkungen auf die Chancengerechtigkeit. Eine große Mehrheit von 86 Prozent der Lehrkräfte meint, dass sich durch die Schulschließung die Auswirkungen der sozialen Ungleichheiten – zum Beispiel durch die unterschiedlichen Unterstützungsmöglichkeiten der Eltern – im Zuge der Schulschließungen verstärken werden. Dennoch geben 33 Prozent der befragten Lehrkräfte an, dass sie die Hausaufgaben ganz oder teilweise in die Bewertung einfließen lassen. Gut ein Drittel schätzt, dass die Schulschließung bei den meisten Schülerinnen und Schülern zu Lernrückständen führen wird. An Förderschule befürchten sogar 49 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer deutliche Lernrückstände.

Sollten die Schulen für weitere vier Wochen geschlossen bleiben, befürchten 81 Prozent der Lehrkräfte, dass sich die soziale Schere noch weiter öffnen wird. Drei Viertel der Lehrerinnen und Lehrer glauben, dass die Motivation der Schülerinnen und Schüler sinkt, und zwei Drittel gehen davon aus, dass die Leistungsrückstände in diesem Schuljahr dann nicht mehr aufgeholt werden können. Nur 28 Prozent glauben, dass die Beziehung zu ihren Schülerinnen und Schülern bei einer verlängerten Schulschließung leidet. Am 15. April wollen die Kultusministerien der Länder entscheiden, wann und in welchen Schritten die Schulen wieder öffnen.

Wir setzen den Rahmen, um den Effekt sozialer Ungleichheit aufzufangen und zumindest abzudämpfen. Das ist in allen Ländern angekommen, und wir kümmern uns
Stefanie Hubig (SPD), Präsidentin der Kultusministerkonferenz

Mut machen die Aussagen der Lehrerinnen und Lehrer, wenn es darum geht, die Erfahrungen aus dieser Situation für die künftige Schulentwicklung zu nutzen. 67 Prozent der Befragten wollen ihre Schülerinnen und Schüler künftig stärker dazu befähigen, Verantwortung für den eigenen Lernprozess zu übernehmen. 59 Prozent sehen die aktuelle Situation als einen Katalysator für den Digitalisierungsprozess an der eigenen Schule und sind davon überzeugt, dass seit Beginn der Schulschließungen digitale Lernformate und digitale Kommunikation genutzt werden, die ohne die Schulschließung vermutlich erst spät oder gar nicht umgesetzt worden wären. Und fast jede zweite Lehrkraft erwartet, dass sie selbst künftig häufiger digitale Lernformate einsetzen wird.

Stefanie Hubig (SPD), Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz, sieht auch die Bildungspolitik in der Pflicht: „Wir teilen die Einschätzung der Mehrheit der Lehrkräfte, dass sich bei den Schülerinnen und Schülern die soziale Ungleichheit im Heimunterricht angesichts der Krise verschärfen kann“, sagte sie dem Schulportal anlässlich der Lehrerbefragung. Viel werde hier über das Engagement der Lehrkräfte und Schulleitungen aufgefangen, die ihre Schülerinnen und Schüler mit ihren jeweiligen Hintergründen am besten kennen und diese ganz gezielt ansprechen, nachhaken, angepasste Förderpläne für den Heimunterricht erstellen. „Und selbstverständlich ist genauso die Bildungspolitik gefragt, hier schnell und unbürokratisch zu reagieren. Wir setzen den Rahmen, um den Effekt sozialer Ungleichheit aufzufangen und zumindest abzudämpfen. Das ist in allen Ländern angekommen, und wir kümmern uns“, betonte Hubig. Rheinland-Pfalz habe zum Beispiel ein Ausleihsystem für digitale Endgeräte auf den Weg gebracht, von dem Schülerinnen und Schüler aus finanziell benachteiligten Familien profitieren. Die vergangenen Wochen seien ein Stresstest für das Bildungssystem in Gänze gewesen, aus dem viel gelernt werden könne. Dabei würden auch Lehrerbefragungen wie das Deutsche Schulbarometer helfen.

  • Die Bildungsforscher Klaus Hurrelmann und Dieter Dohmen fordern in ihrem Gastbeitrag, dass die Begrenzung sozialer Schieflagen bei der Wiederöffnung der Schulen eine zentrale Rolle spielen muss.
  • Bildungsforscher Michael Schratz erklärt im Interview für das Schulportal, wie Schulen die Erfahrungen aus der Corona-Krise für ihre Entwicklung nutzen können.