Künstliche Intelligenz : ChatGPT – wie können Schulen damit umgehen?

Die einen sprechen von einer Revolution, die neue Perspektiven für das Lernen aufzeigt, die anderen setzen auf Verbote. Um den Umgang mit ChatGPT ist eine heftige Debatte entbrannt. Das Schulportal hat Medienforscherin Felicitas Macgilchrist befragt, wie sich das neue KI-Tool im Unterricht sinnvoll nutzen lässt, wo die Probleme liegen und wieso sie von Aktionismus abrät. Zusätzlich haben wir auch ChatGPT einige Interviewfragen gestellt und Stimmen aus dem #Twitterlehrerzimmer zu ChatGPT gesammelt. Außerdem gibt es hier auch die Aufzeichnung des Workshops zu ChatGPT auf dem Campus des Deutschen Schulportals.

Inhalt
ChatGPT Tasten mit beleuchteter Tastatur
Gefahr oder Gewinn für die Schule? Über das KI-Tool ChatGPT wird heftig debattiert.
©Sebastian Gollnow/dpa

Neues zu ChatGPT in der Schule

Was ist ChatGPT?

ChatGPT ist ein Chatbot, der auf jede Frage eine Antwort hat und alles zu wissen scheint. Ein Chatbot wiederum ist ein Sprachmodell, das sich mit Menschen in natürlicher Sprache unterhalten, Texte schreiben und umformulieren kann. Das Sprachmodell basiert auf künstlicher Intelligenz (KI). Es berechnet Wahrscheinlichkeiten, welche Wörter aufeinander folgen, und bildet daraus Sätze. Um die menschliche Sprache nachahmen zu können, wurde die Software mit einer großen Menge von Texten  trainiert.

ChatGPT selbst beantwortet die Frage, was ChatGPT ist, so: „ChatGPT ist ein großes Sprachmodell, das von OpenAI trainiert wurde. Es wurde entwickelt, um natürliche Sprache zu verstehen und zu generieren, und kann verwendet werden, um Aufgaben wie Textzusammenfassung, Übersetzung und Chatbot-Konversationen auszuführen.“

Deutsches Schulportal: Teilen Sie die Erklärung von ChatGPT?
Felicitas Macgilchrist: Im Groben stimmt es. Fehlerhaft an der Erklärung ist, dass das Programm entwickelt wurde, um natürliche Sprache zu verstehen, denn ChatGPT basiert auf „natural language processing“ (der algorithmischen Verarbeitung natürlicher Sprache). Diese Art von KI kann Sprache aber nicht verstehen, sie hat keinen Sinn für Bedeutung, und das führt zu Problemen.

Was sind denn die größten Probleme?
Macgilchrist:
Es gibt inhaltliche und ethische Probleme. Zum Inhaltlichen: ChatGPT gibt keine Quellen an, das heißt, die Texte sind nicht verifizierbar. Und der Chatbot macht auch viele Fehler. Darauf weist OpenAI selbst auf der Startseite hin. ChatGPT wurde basierend auf Millionen von Texten trainiert. Auf Basis statistischer Modelle generiert das Programm, wie Textversatzstücke aufeinanderfolgen können. Diese Verknüpfungen stimmen aber nicht immer.

Felicitas Macgilchrist
Felicitas Macgilchrist

Hier mal zwei Beispiele: Jemand hat über ChatGPT Buchempfehlungen zu einem Thema gesucht und diese Buchtitel von einer Bibliothekarin suchen lassen. Die hat dann aber festgestellt, dass es diese Bücher gar nicht gibt. Das Problem ist, dass ChatGPT Autorinnen und Autoren sowie Begriffe zusammengefasst hat und daraus dann Buchtitel generiert hat. Und meine Studierenden haben nach einer Gedichtanalyse von „John Maynard“ gefragt. ChatGPT hat eine Gedichtanalyse geschrieben, das Gedicht aber nicht Theodor Fontane, sondern fälschlicherweise Bertolt Brecht zugeordnet.

Außerdem sehe ich ethische Probleme: Sie betreffen unter anderem die Ausbeutung von Arbeiterinnen und Arbeitern in Kenia bei der Entwicklung von ChatGPT, aber auch die Werte, die in den Texten erscheinen.

ChatGPT hat zwar einen starken Filter, damit die Inhalte nicht toxisch, also zum Beispiel extremistisch werden. Das war bei anderen KI-Modellen in der Vergangenheit auf sozialen Kanälen oft ein Problem. Allerdings beruht das, was ChatGPT ausgibt, auf den Werten und Normen, die den meisten Texten zugrunde liegen. Im Deutschen gendert Chat-GPT zum Beispiel nicht, weil das in den meisten Texten im Netz auch noch nicht geschieht. So wird also ein bestimmtes Verständnis von der Welt reproduziert. Marginalisierte Personen und Bevölkerungsgruppen können auf diese Weise dennoch stärker marginalisiert werden.

Wie wird sich Schule durch Chatbots wie ChatGPT verändern?
Macgilchrist:
Es gibt viele, die jetzt sagen: ChatGPT revolutioniert die Schule. Aber das wurde bei jedem neuen Medium gesagt. In den 20er-Jahren waren es die Filme, in den 60er-Jahren war es das Fernsehen. Wenn man das historisch betrachtet, hat sich die Schule tatsächlich aber nicht sehr verändert. Sicher ermöglicht ChatGPT neue Aufgabenformate, aber ansonsten wird die Technologie innerhalb des Rahmens der Schule, innerhalb der Curricula und der Fächer verwendet werden.

Können Lehrkräfte erkennen, ob ein Aufsatz von der Schülerin bzw. dem Schüler oder von ChatGPT geschrieben wurde
Macgilchrist:
Das hängt von der Art der Aufgabe ab. Wenn eine Lehrkraft zum Beispiel die Aufgabe gibt: „Schreiben Sie einen Essay zum Thema Vor- und Nachteile von KI in der Schule“, dann wird man nur schwer erkennen können, ob eine Schülerin, ein Schüler oder die KI den Text geschrieben hat. ChatGPT schreibt klassische, gute Texte, die aber ein bisschen langweilig sind.

Es gibt zwar auch KI-Erkennungssoftware, aber die funktioniert nicht gut. Ich kenne eine Person, die einen Text, den sie selbst geschrieben hat, mit der Erkennungssoftware geprüft hat. Das Ergebnis lautete: Mit 96 Prozent Wahrscheinlichkeit ist der Text von der KI geschrieben. Außerdem scheint es eine Tendenz zu geben, dass Texte von Personen mit ADHS oder Autismus eher als KI-geschrieben eingestuft werden. Wenn man also generell Texte über eine KI-Erkennungssoftware laufen ließe, würden diese Menschen noch stärker benachteiligt werden.

Worauf kommt es an, um Aufgabenformate in der Schule zu entwickeln, die ChatGPT und KI einbeziehen und für das Lernen sinnvoll nutzen?
Macgilchrist:
In sozialen Netzwerken diskutieren Lehrkräfte zurzeit viele interessante Formate, sowohl für den Einsatz als auch für die kritische Reflexion. Man kann zum Beispiel den Chatbot bitten, eine Gedichtanalyse zu machen, und dann schaut man sich das gemeinsam an und beantwortet diese Fragen: Wo gibt es Fehler? Wo müsste man den Text ergänzen? Wo muss man Quellen hinzufügen? Auf dieser Basis machen die Schülerinnen und Schüler dann selbst eine Gedichtanalyse und zugleich eine KI-Kritik.

Aber Schülerinnen und Schüler können natürlich auf vielen Wegen an ChatGPT kommen und das Programm zum Beispiel für Hausaufgaben nutzen. Übernimmt die KI in Zukunft die Hausaufgaben?
Macgilchrist: Die Diskussion, ob Hausaufgaben sinnvoll sind oder nicht, stellt sich nicht erst, seit es ChatGPT gibt, sondern zum Beispiel auch, weil einige Eltern die Hausaufgaben für ihre Kinder übernehmen. Wenn Lehrkräfte eine Aufgabe stellen, die KI machen kann, die zum Beispiel eher produktbezogen und weniger prozessbezogen ist, dann wird ChatGPT sicher von einigen Schülerinnen und Schülern genutzt werden.

Allerdings gab es auch schon vorher KI-basierte Anwendungen, die Texte umschreiben konnten. Eine klassische Aufgabe wie: „Fassen Sie diesen Text in eigenen Worten zusammen“, kann die KI schon seit Jahren lösen. Dafür braucht man nicht ChatGPT. Nur gab es jetzt eben einen riesigen PR-Hype, der den Chatbot viel bekannter gemacht hat als frühere Anwendungen.

Ab welcher Klasse ist ein lernförderlicher Umgang mit ChatGPT in der Schule denkbar?
Macgilchrist: Da gibt es zwei Antworten: gar nicht und von Anfang an. Gar nicht, weil ChatGPT erst ab 18 Jahren zugelassen ist. Und sofort, weil KI in der Gesellschaft ist und es daher wichtig erscheint, sich damit auseinanderzusetzen. Wenn die Aufgaben altersentsprechend aufbereitet sind, kann man schon in der Grundschule über solche Chatbots kritisch reflektieren, denn schon Kinder verstehen die Konstruktion von Bedeutung und was es heißt, wenn jemand eine Geschichte erzählt, die nicht stimmt.

In New York hat das Bildungsministerium den Einsatz von ChatGPT an öffentlichen Schulen verboten. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll, und funktioniert so etwas überhaupt?
Macgilchrist: Ich glaube nicht, dass ein Verbot funktioniert. Aber das Bildungsministerium hat auch nicht gesagt, dass es die Nutzung für immer verbieten will, sondern dass es erst einmal überlegen will, wie ein sinnvoller Umgang aussehen kann. Dafür habe ich große Sympathie. Es gibt den Drang, auf jede neue Technologie sofort zu reagieren. Aber Schule muss vor allem agieren, nicht nur reagieren. Es ist wichtig, dass Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, Schulleitungen und Schulverwaltung überlegen, wofür sie ChatGPT überhaupt nutzen wollen, wo die Vor- und die Nachteile für ihren spezifischen Kontext liegen, wer davon profitieren kann und wer nicht. Dieser intensive Austausch ist wichtig. Und der braucht Zeit.

Ist ein Verbot von ChatGPT an der Schule für sinnvoll?

Bis zum 8. Februar 2023 haben wir unseren Leserinnen und Lesern diese Frage gestellt. Hier sehen Sie das Umfrageergebnis:

Halten Sie ein Verbot von ChatGPT an der Schule für sinnvoll?
315 Antworten wurden in der Umfrage abgegeben.

So denkt das #Twitterlehrerzimmer

Ob ChatGPT das Potenzial hat, den Schulunterricht umfassend zu verändern, und wie die KI eingesetzt werden kann, darüber wird auch im #Twitterlehrerzimmer diskutiert: 

Workshop zu ChatGPT auf dem Campus des Deutschen Schulportals

Am 7. Februar 2023 hat Tim Kantereit, Lehrer und Ausbilder in der Lehrerbildung, auf dem Campus des Deutschen Schulportals den Workshop ChatGPT – Ein Weg in die Zukunft der Bildung?! geleitetet. Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet:

Weiteres Infos zum Thema

  • Der Deutsche Bildungsserver bietet in einem Dossier einen umfangreichen Überblick über verschiedene Modelle und Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz in der Schule. Außerdem gibt es hier viele Unterrichtsmaterialien zu KI.
  • Das Pädagogische Landesinstitut Rheinland-Pfalz baut derzeit in seinem Serviceportal einen Bereich zum Thema Künstliche Intelligenz auf. Es bündelt aktuelles Wissen zum Thema, insbesondere auch zu ChatGPT in der Schule werden viele Fragen beantwortet. Hier geht es zum Portal.
  • Einen guten Überblick zu ChatGPT und Schule hat die Pädagogische Hochschule Schwyz zusammengestellt. Hier gibt es eine umfangreiche Begriffserklärung und auch Beispiele für Aufgaben, die den Chatbot nutzen.
  • Die englischsprachige Seite Ditch That Textbook beschäftigt sich damit, wie neue Technologien Unterricht und Schule verändern. Dabei beschreibt der ehemalige Lehrer und heutige Influencer und Blogger Matt Miller auch ausführlich, wie ChatGPT im Unterricht und für das Lernen genutzt werden kann, wie sinnvoll Verbote sind und was ein Chatbot überhaupt ist.