Besondere Begabungen : Wie Schulen Talente finden und fördern

Während das Schulsystem lange Zeit auf die Schwächen der Kinder fokussiert war, gewinnt nun die Begabten­förderung zu­nehmend an Bedeutung. Bund und Länder haben einhellig beschlossen, diesen Bereich zu stärken. Dabei gibt es bereits Schulen, die schon seit Jahren verschiedene Ansätze der Begabten- und Begabungs­förderung mit Erfolg umsetzen. Das Schulportal hat sich zwei Modelle genauer angesehen.

athematiker Peter Scholze
Der Mathematiker Peter Scholze ist Träger der Fields-Medaille – die Auszeichnung wird auch gern als Nobelpreis der Mathematik bezeichnet.
©dpa

Als das Ausnahmetalent Peter Scholze kürzlich mit der Fields-Medaille die weltweit höchste Auszeichnung in der Mathe­matik erhielt, machte eine E-Mail die Runde, die der 30-Jährige an sein ehemaliges Gymnasium in Berlin geschickt hatte: „Meine Zeit an der Heinrich-Hertz-Schule war für mich prägend und hat sehr zu meiner Entwicklung beigetragen“, schreibt Scholze darin.

Der Einfluss der Schule habe sich über seine gesamte mathe­matische Lauf­bahn erstreckt – von den Anfängen bei der Mathe­matik-Olympiade über die ersten Vorlesungen an der Universität bis zur Promotion bei dem ehemaligen Heinrich-Hertz-Schüler Professor Michael Rapoport. Und weiter schreibt der Fields-Preis­träger: „Freunde aus der ehemaligen BRD berichten mir oft leidend von ihrer Schul­zeit und blicken neidisch auf die Profil­schulen in Berlin und der ehemaligen DDR. Diese Schulen sind ein Glücks­fall, und ich hoffe, dass auch künftige Generationen von Schülern das Glück haben, in einem Netz­werk von mathematisch und natur­wissen­schaftlich heraus­ragenden Schulen unter­richtet zu werden.“

Scholze verfolgte den Mathematik-Unterricht mit halbem Ohr

Die E-Mail von Scholze ist nicht nur Dank­sagung – sie macht auch deutlich, dass besonders Begabte häufig unter der Schule leiden können. Und sie ist Aufforderung, daran etwas zu ändern. Lange Zeit wurde der Begabten­förderung in Deutsch­land wenig Beachtung geschenkt. Das hat sich jedoch geändert. In allen Bundes­ländern soll nun die Förderung der leistungs­starken und leistungs­fähigen Kinder verbessert werden. Die Kultus­minster­konferenz (KMK) fasste Ende 2016 eigens dazu einen Beschluss.

Doch welche Modelle sind tatsächlich wirksam? Wissen­schaftlich fundierte Unter­suchungen dazu gibt es wenige. Statt­dessen wird über die verschiedenen Ansätze, angefangen von der Elite­förderung in Spezial­klassen über Zusatz­angebote außer­halb der Schule bis hin zu inklusiven Modellen im Unter­richt, oft ein erbitterter Grund­satz­streit geführt. Dabei zeigt die Praxis, dass durchaus verschiedene Wege zum Erfolg führen können.

Arbeits­gemein­schaften und Seminare an der Universität

Das Heinrich-Hertz-Gymnasium in Berlin hat ein ausgeprägtes mathematisch-natur­wissen­schaft­liches Profil. Die Schüler­innen und Schüler müssen vor der Auf­nahme ihre besondere Eignung auf diesem Gebiet nachweisen.

Schülerinnen beim Lernen
Die Begabungen der Schüler­innen und Schüler vom Humboldt-Gymnasium in Potsdam, Preis­träger­schule des Deutschen Schulpreises 2016, werden durch verschiedene Angebote gefördert.
©Theodor Barth (Robert Bosch Stiftung)

Matthias Nicol, Fachbereichsleiter für Mathematik, erinnert sich auf der Website der Schule an den Schüler Peter Scholze und gibt damit einen Einblick in die Begabten­förderung des Gymnasiums: „Im Mathe­matik­unter­richt arbeitete Peter immer ‚parallel‘. Einer­seits verfolgte er das Unter­richts­geschehen mit ‚halbem Ohr‘ und griff in die Diskussion ein, wenn ihm irgend­was nicht recht gefiel oder wenn die Lösung des Problems zu lange auf sich warten ließ. Er schüttelte dann Lösungs­vorschläge aus dem Ärmel und konnte diese – zumeist lächelnd – an der Tafel sofort sauber und verständlich für alle darstellen.

Parallel zum Unterricht war Peter immer in mathematische Fach­literatur vertieft oder löste Mathe-Olympiade-Aufgaben höherer Stufen. Am Nach­mittag besuchte er dann Mathe­matik-Arbeits­gemein­schaften an der Schule oder Veranstaltungen der Mathematischen Schüler­gesell­schaft ,Leonhard Euler‘ an der Humboldt-Universität. In der Ober­stufe habe die Schule dem jungen Genie mathe­matisch nicht mehr viel bieten können, deshalb habe er eine individuelle Betreuung an der Freien Universität erhalten.“

„Drehtür­modell“ am Humboldt-Gymnasium Potsdam

Einen anderen, aber nicht weniger erfolgreichen Weg in der Begabten­förderung, geht das Humboldt-Gymnasium in Potsdam, das 2016 mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet wurde. „Wir haben in den 90er-Jahren begonnen, der Begabten­förderung besondere Aufmerk­samkeit zu schenken, als wir merkten, dass einige Schüler­innen und Schüler mehr ,Futter‘ brauchen“, sagt die Schul­leiterin Carola Gnadt. Dabei hätten die Lehr­kräfte Verschiedenes ausprobiert und einiges auch wieder verworfen.

Gemeinsam mit der Schul­psychologie habe die Schule einen Intelligenz­test entwickelt, der von allen Schüler­innen und Schülern absolviert wurde. „Dabei stellte sich heraus, dass wir eine ungewöhnlich hohe Quote an über­durch­schnittlich begabten Kindern an der Schule hatten“, erzählt Gnadt.

Eine Extra-Begabtenklasse wollte die Schule jedoch nicht einrichten, stattdessen gab es für die besonders Begabten einen speziellen Förder­unter­richt anstelle des Regel­unterrichts in Deutsch, Mathe­matik und Englisch. „Wir haben schnell gemerkt, dass das nicht der richtige Weg war“, sagt Gnadt. Eine Schülerin, die beispiels­weise in Mathe­matik Über­flieger­leistungen brachte, hatte in Englisch Schwierig­keiten. Nicht alle begabten Schüler seien auf allen Gebieten gleich stark.

Wir gehen davon aus, dass es keine talent­freien Menschen gibt – jeder hat etwas Besonderes.
Carola Gnadt, Schulleiterin Humboldt-Gymnasium, Potsdam

Die Schule feilte ihre Instrumente weiter aus, um jeden tatsächlich nach seinen speziellen Bedürfnissen zu fördern. Das „Dreh­tür­modell“, in dem Schüler­innen und Schüler aus dem Regel­unter­richt heraus­gelöst werden und besondere Angebote erhalten, gebe es immer noch – aber eben genau da, wo sie gebraucht werden. Inzwischen gibt es die Förder­angebote nicht nur für Deutsch, Mathe und Englisch, sondern in fast allen Bereichen. „Wenn eine Schülerin Griechisch lernen möchte, dann bekommt sie bei uns das Angebot“, sagt Gnadt. Auch besondere inter­personale Begabungen zum Beispiel werden durch verschiedene Projekt­gruppen gefördert. „Wir gehen davon aus, dass es keine talent­freien Menschen gibt – jeder hat etwas Besonderes“, betont die Schul­leiterin.

Und wie finden die Lehr­kräfte die Talente? Auf jeden Fall nicht allein durch den Test, betont Gnadt. Es gebe regel­mäßige individuelle Entwicklungs­doku­mentationen für jede Schülerin und für jeden Schüler, um besondere Stärken heraus­zufinden und diese dann zu fördern. Dabei hätten nicht nur die Lehr­kräfte einen Blick auf die Stärken der Kinder. Auch Experten der kooperierenden Universitäten, Eltern oder Mit­schüler­innen und Mit­schüler geben wert­volle Hinweise auf besondere Talente.

In den rund 20 Jahren der Begabten­förderung am Humboldt-Gymnasium steht für Carola Gnadt vor allem eines fest: „Das eine Rezept gibt es nicht.“