Expertenstimme

Demokratiebildung : Wie politisch dürfen Lehrerinnen und Lehrer sein?

Viele Lehrkräfte sind verunsichert, wenn es um politische Auseinandersetzungen mit Schülerinnen und Schülern geht – und das nicht erst seit den Meldeportalen der AfD. Diese Ängste sind fatal, denn wichtige Reaktionen auf antidemokratische Äußerungen bleiben dadurch aus. Gastautor Stefan Breuer von der TU Dresden rät Lehrkräften, politische Haltung zu zeigen, wenn demokratische Werte infrage gestellt werden.

Stefan Breuer
ARCHIV - 07.04.2018, Rheinland-Pfalz, Kandel: Teilnehmer der Demonstration "M‰nnerb¸ndnis Kandel", die dem linken Lager zugerechnet werden, demonstrieren unter dem Motto "B¸rgerrechte statt rechte B¸rger". Es wird dabei ein Plakat in die Hˆhe gehalten auf dem steht "Wir stehen auf gegen Rassismus". (zu dpa ´Zwei Demonstrationen in Kandel kurz vor Urteil in Mordprozessª vom 01.09.2018) Foto: Uli Deck/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Lehrer müssen Stellung beziehen gegenüber politischen Überzeugungen, die den allgemeinen Menschenrechten widersprechen, findet Stefan Breuer.
©dpa

Fragen darüber, ob Lehrerinnen und Lehrer ihre parteipolitische Präferenz in der Schule bzw. vor Schülerinnen und Schülern thematisieren dürfen, ob sie ihre eigene Meinung zu politischen Sachverhalten einbringen sollen oder ob sie überhaupt politisch aktiv sein bzw. sich in politischen Parteien engagieren dürfen – zusammengefasst: wie politisch Lehrerinnen und Lehrer sein dürfen –, sind schon immer Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen gewesen. Die Antworten darauf sind deshalb so virulent, da sie Einfluss auf einen sehr sensiblen Bereich in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen haben – nämlich auf deren politische Sozialisation.

Mit Blick auf die Diktaturerfahrungen der Vergangenheit ist die Sensibilität nur allzu verständlich – immerhin spielten Schule und Unterricht für die Ideologisierung einer Gesellschaft eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Frage nach einem angemessenen Verhalten von Lehrerinnen und Lehrern hinsichtlich ihrer politischen Einstellungen und Äußerungen, die sie gegenüber Schülerinnen und Schülern äußern, lässt sich an dieser Stelle, und das wird oft getan, nicht nur auf parteibezogene Politik verkürzen.

In einem umfassenden Verständnis des „Politischen“ ist es vielmehr kaum möglich, seiner sozialen Umwelt ohne eigene Überzeugungen und Interessen entgegenzutreten. Dies geschieht zumeist unbewusst und wenig reflektiert. Bei genauerem Hinsehen aber ist beispielsweise schon die Argumentation für einen bestimmten Essenanbieter in einer Schule keine rein betriebswirtschaftliche Entscheidung. Mit dem Einbezug verschiedener anderer Faktoren – etwa ob ein lokaler Anbieter präferiert werden soll oder ob Wert auf einen ökologischen Anbau gelegt wird – haben immer auch politische Werte und Haltungen einen Einfluss. Daran lässt sich erkennen, dass das Politische immer eine Rolle spielt. Dies herauszustellen und für reflektierte Urteile zugänglich zu machen ist ein Hauptanliegen politischer Bildung. Unpolitische Lehrerinnen und Lehrer wären dazu aber gar nicht in der Lage.

Politische Bildung braucht demokratische Haltung

Über die persönlichen Überzeugungen hinaus spielen in einer Demokratie – und dieser ist die politische Bildung in Deutschland verpflichtet – Werte eine Rolle, die nicht verhandelbar sind. Allem voran gehören dazu die allgemeinen Menschenrechte und hier insbesondere die Würde des und der Gleichheitsgrundsatz von Menschen. Um diese Grundsätze zu gewährleisten, dürfen Lehrerinnen und Lehrer an dieser Stelle gar nicht unpolitisch oder „neutral“ sein. Dies wird mit Blick auf den Auftrag des Fachs Politische Bildung, aber auch des allgemeinen Erziehungs- und Bildungsauftrags deutlich. Im Sächsischen Schulgesetz heißt es zum Beispiel: „Die Schüler sollen lernen, allen Menschen vorurteilsfrei zu begegnen, unabhängig von ihrer ethnischen und kulturellen Herkunft, äußeren Erscheinung, ihren religiösen und weltanschaulichen Ansichten und ihrer sexuellen Orientierung, sowie für ein diskriminierungsfreies Miteinander einzutreten.“ Sinngemäße Formulierungen lassen sich auch in den Schulgesetzen anderer Bundesländer finden.

Die Schüler sollen lernen, allen Menschen vorurteilsfrei zu begegnen, unabhängig von ihrer ethnischen und kulturellen Herkunft, äußeren Erscheinung, ihren religiösen und weltanschaulichen Ansichten und ihrer sexuellen Orientierung, sowie für ein diskriminierungsfreies Miteinander einzutreten.
aus dem Sächsischen Schulgesetz

Um dem gerecht zu werden, müssen in der Schule pluralistische und menschenrechtsorientierte Haltungen und Werte vermittelt werden. Damit dies gelingen kann, braucht es Lehrerinnen und Lehrer, die für Schülerinnen und Schüler als eine Art demokratische „Role Models“ fungieren. Dazu gehört dann eben auch, eine entsprechende Haltung zu zeigen, wenn demokratische Werte infrage gestellt werden, beispielsweise durch rassistische oder menschenfeindliche Äußerungen.

Davon unberührt bleibt aber die angesprochene Sensibilität, mit der diese Aufgabe wahrgenommen werden muss. Leitlinien dafür sind seit den 1970er-Jahren im Beutelsbacher Konsens festgelegt. Dieser verbietet einerseits die Überwältigung von Schülerinnen und Schülern hinsichtlich erwünschter Meinungen (Indoktrinationsverbot), andererseits sollen in Wissenschaft und Gesellschaft kontrovers diskutierte Sachverhalte kontrovers auch in Schule und Unterricht dargestellt werden.

Der Beutelsbacher Konsens ist kein Neutralitätsgebot

Dabei dürfen diese Festlegungen aber nicht, wie es fälschlicherweise häufig getan wird, als Neutralitätsgebot missverstanden werden. Als gutes und aktuelles Beispiel eignen sich an dieser Stelle die seitens der AfD eingerichteten sogenannten „Meldeplattformen“. Über diese Onlineplattformen sollen Schülerinnen und Schüler (bzw. deren Eltern) Lehrerinnen und Lehrer, die sich kritisch über die Partei äußern oder den Unterricht vermeintlich unausgewogen gestalten, an die Partei melden, die sich weitere Schritte vorbehält. Im Sinne des Beutelsbacher Konsens darf selbstverständlich keine nicht verbotene Partei in ihrer Gesamtheit vorverurteilt werden. An dieser Stelle besteht dann tatsächlich die Gefahr, Schülerinnen und Schüler im Sinne der eigenen Haltung zu überwältigen.

Es ist aber ein Trugschluss, daraus abzuleiten, rassistische bzw. undemokratische Praxen bzw. Politik einer Partei könnten nicht auch als solche thematisiert werden (zum Beispiel: Schusswaffengebrauch gegen Geflüchtete …).

Der Rückzug auf ein wie auch immer geartetes Neutralitätsgebot offenbart an dieser Stelle lediglich den Versuch, die eigene Politik gegen eine kritische Analyse zu immunisieren. Eine ebensolche ist aber unbedingt Gegenstand politischer Bildung.