Kontroverse : Warum die Schulaufsicht überflüssig ist
Welche Rolle spielt die Schulaufsicht angesichts der wachsenden Eigenverantwortung der Schulen? Am besten gar keine, meint der ehemalige Schulleiter Helmut Hochschild. Häufig richte die Schulaufsicht mehr Schaden an als dass sie Nutzen bringe. Nachdem sich Siegfried Arnz und Torsten Klieme in ihrem Schulportal-Beitrag für ein neues Selbstverständnis der Schulaufsicht aussprachen, plädiert Hochschild dafür, die Schulaufsicht abzuschaffen und die Aufgaben den Schulleitungen zu übertragen. In selbstwirksamen Netzwerken könnten die Schulen effektiver agieren.
Insider werden bestätigen, dass bei der Befragung von Schulleitungen oder in Lehrerzimmern die Schulaufsicht im Schulalltag oft negativ wahrgenommen wird. Meiner Erfahrung nach ist es sogar eher positiv, wenn sie im Schulalltag überhaupt keine Rolle spielt. Denn ein aktives Eingreifen der Schulaufsicht bei der Personalentwicklung oder bei Entscheidungen im Rahmen der Verbesserung von Unterrichtsqualität wird häufig als nicht besonders förderlich oder teilweise störend empfunden.
Es gibt zwei Gründe, die für diese Einschätzung ausschlaggebend sind. Einerseits die große Aufgabenfülle aufgrund vieler Verwaltungstätigkeiten, bei der die Kommunikation zwischen Schulleitungen und Schulaufsicht zu kurz kommt. Daraus folgt, dass der Schullalltag der Schulaufsicht nur oberflächlich bekannt ist. Somit fehlt eine wichtige Grundlage, um Prozesse in Schulen effizient zu fördern. Anderseits ist die Kommunikation von Hierarchie und allein durch den Begriff „Schulaufsicht“ häufig von störender Skepsis geprägt.
Wie die Schulaufsicht bei der Rütli-Schule scheiterte
Ein besonderer Fall, der meiner langjährigen Erfahrung nach die Defizite von Schulaufsichtsarbeit aufzeigt, war die durch einen sogenannten Brandbrief 2006 in die Öffentlichkeit geratene Rütli-Schule im sozialen Brennpunkt Berlin-Neukölln. Diese Entwicklung wurde unter anderem von folgenden Problemen hervorgerufen:
- Über viele Jahre agierte eine von der Schulaufsicht unbehelligte, in wichtigen Bereichen inkompetente und das Kollegium kaum einbeziehende Schulleitung.
- Eine Vernetzung mit dem Umfeld der Schule fand nur unzureichend statt.
- Die agierende Schulleiterin ließ jahrelang keinen Konrektor zu.
- Eine unzureichende personelle Ausstattung der Schule wurde von der Schulaufsicht nicht ausgeglichen.
- Als das Kollegium sich nach vielen Jahren, in denen es diese Situation ertrug, gegen die Schulleitung positionierte, schied die Schulleitung aus. Ein Schulleitungsteam übernahm selbstständig die Leitungsaufgaben, erhielt aber kaum Unterstützung durch die Schulaufsicht, wurde im Gegenteil von ihr zeitweise destruktiv begleitet.
- Nach einem dreiviertel Jahr verfasste die kommissarische Leiterin des Teams einen Brandbrief, der aufgrund weiterer Untätigkeit der regionalen Schulaufsicht in die Presse geriet.
Solche oder in Teilen ähnlich problematische Konstellationen erlebte ich innerhalb meiner fast 40-jährigen Dienstzeit häufiger und könnte dies durch unzählige Beispiele belegen. Ich selbst agierte 15 Jahre lang relativ unabhängig von Schulaufsicht und in sehr kommunikativer Weise mit den Kollegien der von mir geleiteten Schulen sowie gemeinsam mit den Schulleitungen im jeweiligen Schulumfeld.
Im Netzwerk unabhängig von der Schulaufsicht handeln
Das somit von mir praktizierte alternative Handeln unabhängig von der Schulaufsicht lässt sich auf beispielhafte Weise auch an der weiteren Entwicklung der Rütli-Schule aufzeigen:
- sofortige Einsetzung einer kommissarischen Schulleitung mit jahrelanger Leitungserfahrung durch die ministerielle Ebene, den zuständigen Oberschulrat in der Hauptverwaltung
- sofortige Besetzung zweier Lehrerstellen, um das Personaldefizit auszugleichen
- sofortige umfangreiche Aktivitäten des neuen Schulleiters, um eine verlässliche Kommunikationsstruktur innerhalb der Schule zu etablieren
- sofortige Kontaktaufnahme mit vielen Institutionen im Umfeld der Schule
- Erstellung eines Netzwerkes aller Neuköllner Schulleitungen mit den Amtsleitungen unterstützender Institutionen. Auf dieser Basis Einrichtung von Clearingrunden auf der Ebene der Schulleitungen, in denen wichtige Entscheidungen getroffen wurden, die dann nur noch von der Schulaufsicht abgesegnet werden mussten
Es gibt weitere Beispiele für Aufgabenbereiche, die im Moment noch von der regionalen Schulaufsicht bewältigt werden und die mit passenden Handlungskonzepten in ähnlicher Weise alternativ von selbstwirksamen Netzwerken bearbeitet werden könnten. Hierzu zählen auch die unzureichenden Ergebnisse etwa bei dienstlichen Beurteilungen von Schulleitungen, die Besetzung von Beförderungsstellen und das gesamte Personalmanagement.
Inspektionsberichte ernst nehmen und Handlungskonsequenzen ableiten
Wenn für die Kontrolle der Schulen die alle fünf Jahre stattfindende Schulinspektion ernster genommen werden würde und aus den im Inspektionsbericht diagnostizierten Defiziten Handlungskonsequenzen entstünden, wäre damit eine notwendige Aufsichtsfunktion auch ohne die regionale Schulaufsicht erfüllt.
Mein Fazit lautet entschieden: Das Aufgabenfeld, das heute noch auf der Ebene der operativen Schulaufsicht liegt, sollte auf die Ebene der Schulleitungen übertragen werden. So würde eine kooperative Kommunikation die hierarchisch geprägte ersetzen. Gespräche würden auf der Ebene gleicher Arbeitszusammenhänge und ähnlicher Zielsetzungen in Netzwerken geführt werden und nicht im Rahmen hierarchisch geprägter Gespräche zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden. Die Verantwortung würde dann in vollem Umfang bei den in der Schule Handelnden liegen und nicht teilweise bei einer hierarchisch agierenden, operativen, regionalen Schulaufsichtsebene.
Zur Person
- Helmut Hochschild ist seit 1980 im Berliner Schuldienst und wirkte als Hauptschullehrer, 15 Jahre als Schulleiter, zwei Jahre als Schulrat und elf Jahre als Seminardirektor in der zweiten Phase der Lehrkräfteausbildung.
- Er war Interimsschulleiter der Rütli-Schule und knapp zwei Jahre u. a. für diese Schule zuständiger Schulrat.
- Besondere Erfahrungen sammelte er beim Aufbau von Netzwerken, die Schulen bei ihrer Qualitätsentwicklung unterstützen.
- Kontakt über HelmutHochschild@web.de