Kolumne

Tipps für Eltern : Wie das Lernen zu Hause gelingen kann

Wie lerne ich zu Hause mit dem Kind? Welches Pensum ist angemessen, welche Aufgaben kann es selbstständig bewältigen? Viele Eltern stehen in Zeiten von Schulschließungen und Homeschooling ratlos vor solchen Fragen. Grundschullehrerin Sabine Czerny hat in ihrer Kolumne für das Schulportal einige hilfreiche Tipps für Eltern von Kindern im Grundschulalter in dieser Ausnahmesituation zusammengestellt.

Sabine Czerny
Mutter hilft ihrem Sohn im Kinderzimmer beim Lernen
Vielleicht geht es erst einmal darum, den vorhandenen Platz so zu strukturieren, dass sich jedes Familienmitglied einigermaßen wohlfühlt und Raum für sich bekommt.
©Javier Díaz/dpa

Seit zwei Wochen lernen Kinder aufgrund der Corona-Krise zu Hause – oder sollten es zumindest. Die Rückmeldungen sowohl von Eltern, Lehrerinnen und Lehrern sowie Kindern direkt als auch über die sozialen Medien sind sehr unterschiedlich. Für die einen sind es zu viele Aufgaben, für die anderen zu wenig, für die einen ist die Aufgabenstellung zu frei, wieder andere fühlen sich gegängelt. An manchen Orten funktioniert die Digitalisierung und es wird per Videokonferenz gemeinsam gearbeitet, an wieder anderen erreicht man Kinder nicht mal per Telefon. Sehr deutlich wird in dieser Situation die Heterogenität unserer Schülerinnen und Schüler, nicht nur was den Lernstand betrifft, sondern auch was die Begleitung durch das Elternhaus und die digitalen und materiellen Möglichkeiten angeht. Allgemeingültige Tipps für den Umgang mit dem Lernen zu Hause zu geben ist daher schwierig. Letztlich müsste und muss – so wie stets beim Lernen – alles an das jeweilige Schulkind und seine individuelle Situation angepasst werden.

Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird

Der wichtigste Tipp für die Eltern in dieser neuen Rolle ist wohl: Ruhe bewahren – nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Auch die Lehrkräfte und die Schulen müssen sich erst auf die Situation einstellen. Und seien Sie versichert: Jeder tut sein oder ihr Bestes. Eltern, die gerade von besonders vielen Aufgaben, Anforderungen und Fristen überflutet werden, dürfen beruhigt sein. Selbst die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, Simone Fleischmann, merkte in einem Interview an, dass mit Sicherheit keine Lehrkraft die Erledigung all dieser Aufgaben einfordern wird. Schon um die Chancengleichheit benachteiligter Kinder zu wahren, darf keinem Kind aus dieser Situation ein Nachteil entstehen – das betrifft natürlich auch die noch anstehenden Prüfungen.

Meines Erachtens darf also die Abarbeitung vorgegebener und überfüllter Arbeitspläne nicht Priorität bekommen. Jetzt kann und sollte es wirklich um das einzelne Kind gehen.

Setzen Sie sich und Ihr Kind daher bitte diesbezüglich nicht unter Druck. Letztlich geht es allen jetzt darum, dass die Zeit für das jeweilige Kind, soweit möglich, sinnvoll genutzt wird. Meines Erachtens darf also die Abarbeitung vorgegebener und überfüllter Arbeitspläne nicht Priorität bekommen. Jetzt kann und sollte es wirklich um das einzelne Kind gehen.

Das Miteinander in der Familie aufeinander abstimmen

Schauen Sie daher als Erstes, was Ihre Familie an sich jetzt braucht. Vielleicht geht es erst einmal darum, den vorhandenen Platz so zu strukturieren, dass sich jedes Familienmitglied einigermaßen wohlfühlt und Raum für sich bekommt. Vielleicht geht es auch erst einmal darum, das Miteinander so aufeinander abzustimmen, dass sich jedes Familienmitglied seiner Eigenverantwortung bewusst wird – auch und gerade die Kinder. Also: Wer übernimmt welche Aufgaben in der Familie? Können sich die Kinder selbstständig beschäftigen und lernen? Und gelingt es ihnen, zu respektieren, dass auch andere ein Recht auf Arbeits-, Ruhe- und Alleinzeiten haben?

Vielleicht muss man sich auch erst mal Gedanken machen, ob – und wenn ja, wie – die Zeit an den vorhandenen technischen Geräte am besten eingeteilt wird. Teilweise benötigen ja gerade vier Personen zurzeit den einzigen vorhandenen Laptop. Dafür kann man auf die verschiedenen Lern- und Arbeitstypen eingehen, muss das aber eben auch innerhalb der Familie koordinieren. Wer lernt oder arbeitet zu welcher Tageszeit, in welcher Umgebung und mit welchen Geräten und Hilfsmitteln und wie am besten? Wer arbeitet lieber allein in einem Zimmer, wer freut sich über Gesellschaft? Lernen und Arbeiten gelingen an sich nur, wenn unter anderem diese Grundlagen gelegt sind. Nehmen Sie sich also die Zeit, sich und die anderen auf diese neue und ungewohnte Situation einzustellen – niemand weiß, wie lange diese andauern wird, und allein schon deshalb ist ein gutes Miteinander in den Familien gerade das Wichtigste.

Darüber hinaus: Schaffen Sie – wenn nicht schon geschehen – einen Kontakt zur Lehrkraft. Die meisten Lehrkräfte haben sich, spätestens jetzt, zumindest eine dienstliche E-Mail-Adresse eingerichtet. So kann man sich absprechen, nachfragen, Aufgaben anpassen und klären, was wirkliche Pflichtaufgaben sind und was ein Lernangebot darstellt.

Zeit, um Lücken aus den vergangenen Schuljahren zu füllen

Sollte es nicht gelingen, mit der Lehrkraft in Kontakt zu kommen oder sich abzusprechen, würde ich für die Lerninhalte zu Folgendem raten (was auch generell ein gutes Vorgehen ist, wenn man während des Schuljahres noch freie Zeit zum Lernen hat):

Vorab: Eltern sollten nicht als Ersatzlehrerin oder Ersatzlehrer fungieren müssen. Ihre Aufgabe ist es, die Voraussetzungen für gutes Lernen zu schaffen, Kinder zu begleiten und bei der Strukturierung und der Organisation zu helfen, Anteil zu nehmen und motivierende Rückmeldungen zu geben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger!

Aus meiner Sicht macht daher die Neueinführung eines Stoffs wenig Sinn. Meiner Erfahrung nach haben aber viele Kinder gerade in Mathematik Lücken aus den vergangenen Jahren. Diese lassen sich jetzt sehr leicht füllen. Es gibt viele Materialien dazu im Internet, aber es bietet sich auch an, im örtlichen Buchhandel ein Übungsheft mit Inhalten zu bestellen, die Ihr Kind in der Schule bereits durchgenommen hat. Oft ist es klug, gerade Ersteklasshefte zu kaufen, da sehr häufig der Zahlenraum bis 10 nicht wirklich gesichert ist oder dann auch die Erweiterung bis 100 mit dem Zehnerübergang und dem Einmaleins.

Meiner Erfahrung nach arbeiten die Kinder sehr gerne mit solchen Heften, da sie damit extrem schnell vorankommen, ständig Erfolgserlebnisse haben und so die kleinen Lücken und Unsicherheiten bearbeiten – oft, ohne es groß zu merken. Solch ein Heft eignet sich deshalb dafür so gut, weil zum einen der gesamte Jahresstoff wiederholt wird, aber auch, weil die Kinder damit erkennen, was sie schon alles können und geschafft haben. Das steigert das Erfolgserlebnis häufig weit mehr als lose Zettel oder Endlosschleifen in Apps.

Das Üben und Anwenden kommt in der Schule oft zu kurz

Sinnvoll sind auch Hefte, die weiterführende Aufgaben stellen, wie Sach-, Knobel- oder Denkaufgaben, gern ebenfalls aus einer zurückliegenden Jahrgangsstufe. Denn sowohl das Üben als auch das Anwenden kommt in unseren Schulen oft zu kurz – zu oft geht es nur um das Neueinführen von immer mehr und anderen Inhalten.

Ähnliches gilt für den Bereich Deutsch. Auch hier macht häufig der Gebrauch von Arbeitsheften aus früheren Jahrgangsstufen Sinn. Nicht wenige Kinder haben Wortarten oder auch Rechtschreibregeln nicht verstanden, die dann aber im weiteren Schulalltag häufig einfach vorausgesetzt werden. Vielen dieser Hefte liegt ein Lösungsheft bei, sodass entweder Sie als Eltern oder auch das Kind selbst ohne großen Aufwand überprüfen können, ob die Aufgaben richtig verstanden und gelöst worden sind.

Unterschätzen Sie nicht, wie wichtig Kindern sichtbare Zeichen der Anerkennung sind. Ein Stempel oder auch nur ein von Ihnen handgezeichneter Smiley für jede fertige Seite wirken oft Wunder – insbesondere wenn Sie sich mitfreuen.

Und: Unterschätzen Sie nicht, wie wichtig Kindern sichtbare Zeichen der Anerkennung sind. Ein Stempel oder auch nur ein von Ihnen handgezeichneter Smiley für jede fertige Seite wirken oft Wunder – insbesondere wenn Sie sich mitfreuen. Letztlich werden Sie merken, dass Ihr Kind, sobald es etwas wirklich verstanden hat, auch sehr wohl in der Lage ist, sich Weiterführendes allein zu erarbeiten und zu erschließen. Dann hat es auch Freude daran, und es spricht nichts dagegen, sich auch neue Lerninhalte selbstständig anzueignen. Am besten sprechen Sie einfach mit Ihrem Kind und beschließen gemeinsam, was derzeit inhaltlich am besten wäre und wie Sie das mit der Lernzeit halten möchten.

Darüber hinaus besteht jetzt aber auch die große Chance, ins eigenverantwortliche Lernen zu kommen. Dazu gibt es natürlich die verschiedensten Ansätze, und vielleicht muss man manches ausprobieren, verändern und anpassen, um da hineinzufinden. Letztlich ist die Aufgabe der Eltern hier, eine gewisse Struktur zu geben, die sich das Kind dann zunehmend selbst geben soll, und eine ansprechende Lernumgebung zu ermöglichen. Das klingt hochtrabender, als es zu Anfang sein muss. Oft genügt zunächst ein Buch oder ein Sachfilm im Fernsehen, aber die meisten Kinder haben ja auch Zugang zum Internet, viele inzwischen auch schon mit dem erwünschten Kinderschutz.

Beschäftigung mit einem selbst gewählten Thema

Am einfachsten ist der Einstieg wohl, wenn Sie mit Ihrem Kind eine Zeit vereinbaren – je nach Alter zwischen 30 Minuten und eineinhalb Stunden –, in der es sich mit einem selbst gewählten Thema beschäftigt. Ältere Kinder finden ein Thema eventuell schon allein, gegebenenfalls auch erst beim Surfen im Internet, jüngere und Lernunerfahrene müssen erst dahin geführt werden, dabei können kleine strukturierende Hilfen unterstützen. Wenn Ihr Kind sich noch schwer tut, selbst ein Thema zu wählen, geben Sie einen Forscherauftrag vor: Giraffen, Erdölbohrung …, was auch immer. Geben Sie Ihrem Kind auch einen Schnellhefter mit Papier oder Ähnliches, damit es sich etwas notieren oder abzeichnen kann – was immer es machen möchte –, während es sich über Buch, Film, Internet oder sonstige Medien mit dem Thema auseinandersetzt.

Ihr Kind sollte die Möglichkeit bekommen, das Erarbeitete zu präsentieren, es braucht Ihr Interesse.

Das Wichtigste kommt danach: Ihr Kind sollte die Möglichkeit bekommen, das Erarbeitete zu präsentieren, es braucht Ihr Interesse. Im Grundschulalter setzen sich die wenigsten Kinder aus rein fachlichem Interesse mit etwas auseinander. Der Weg geht meist über das Interesse der Eltern oder anderer Bezugspersonen. Vielleicht machen Sie am Abend eine Familienrunde, in der jeder von seinem Tag erzählt, Ihr Kind unter anderem auch von seinem Thema und was es dazu erarbeitet hat. Zeigen Sie sich interessiert, fragen Sie nach, freuen Sie sich darüber, bieten Sie weitere Unterstützung an, diskutieren Sie, welches Material noch beim Forschen helfen könnte.

Wesentlich ist, dass sich Ihr Kind in seiner Selbstwirksamkeit erlebt und sich über das von ihm Geschaffte freut. Geben Sie sich daher anfangs auch mit wenig zufrieden und bereichern Sie es gegebenenfalls mit eigenem Wissen. Es reicht, hierfür 15 ruhige Minuten einzuplanen – dafür stehen die Chancen gut, dass Ihr Kind sich zukünftig öfter und längere Zeit allein beschäftigt und zunehmend selbstständiger und interessengeleitet lernt.

Mit dieser Kombination – einerseits wiederholende und vertiefende Aufgaben und andererseits freies Arbeiten – kann Ihr Kind die Zeit in jedem Fall sinnvoll nutzen. Dies scheinen mir daher Aufgabenstellungen zu sein, die Chancen zur spielerischen Weiterentwicklung geben und auf diese Weise am besten den Familienfrieden wahren, wenn man schon so eng und eventuell lange zusammensitzt.

Zur Person

  • Sabine Czerny ist seit über 20 Jahren Lehrerin und unter­richtet in einer Grund­schule im Groß­raum München eine zweite Klasse in allen Fächern. Zusätzlich gibt sie Fach­unter­richt in anderen Klassen, auch in der Mittel­schule.
  • Vor gut einem Jahr­zehnt machte Sabine Czerny bundesweit Schlag­zeilen: Weil ihre Schüler­innen und Schüler zu viele gute Noten erzielten, wurde sie straf­versetzt.
  • 2009 wurde sie mit einem Preis für Zivil­courage, dem Karl-Steinbauer-Zeichen, aus­gezeichnet. Ein Jahr später erschien ihr Buch „Was wir unseren Kindern in der Schule antun … und wie wir das ändern können“.
  • Für Das Deutsche Schulportal schreibt Sabine Czerny eine Kolumne.