Expertenstimme

Schulwandel : Wie Lehrkräfte für Veränderungen gewonnen werden

Die Schullandschaft ist stetigem Wandel ausgesetzt, sagt Bildungsforscher Dirk Zorn. Doch gegenüber Reformvorhaben von außen seien Lehrkräfte oft skeptisch. Das 3-B-Prinzip kann Schulleitungen dabei helfen, Kolleginnen und Kollegen für Veränderungsprozesse zu gewinnen. Wie das funktioniert, erklärt er in seinem Gastbeitrag für das Schulportal.

Dirk Zorn
Kinder sitzen mit Lehrerin am Tisch beim Basteln
Der Übergang zur gebundenen Ganztagsschule ist ein Veränderungsprozess, der im Kollegium nicht selten auf Skepsis stößt. Wie Schulleitungen in solchen Fällen für Akzeptanz sorgen können, beschreibt Bildungsforscher Dirk Zorn in seinem Gastbeitrag.
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Schule von heute ist Schule im Wandel. Es gibt „alltägliche“ Veränderungen, wie die Entwicklung des eigenen Unterrichts oder die Arbeit am eigenen Rollenverständnis als Lehrkraft. Es gibt aber auch grundlegende systemische Neuerungen. Ob Einführung des Ganztags, die Umsetzung von Inklusion oder das Thema Digitalisierung: Der Umfang schulischer Entwicklungsaufgaben hat stetig zugenommen.

Da wundert es nicht, dass Lehrkräften irgendwann die Luft ausgeht. Sie werden „veränderungsmüde“, gehen – auch aus inhaltlichen Gründen – nicht mehr jedes Thema mit und konzentrieren sich zunehmend auf ihr Kerngeschäft – den Unterricht. Schon dieser ist herausfordernd genug. Um Schule als Ganzes zu entwickeln, fehlen Zeit und Motivation.

Das ist fatal, denn schulische Veränderungsprozesse brauchen die Akzeptanz und das Engagement der Lehrkräfte. Das gilt umso mehr, als dass es Schule ohne Wandel nicht mehr gibt. Die Bereitschaft, sich und Schule zu verändern, ist zur Daueraufgabe geworden.

Die Bereitschaft, sich und Schule zu verändern, ist zur Daueraufgabe geworden.

Wie aber lassen sich Lehrkräfte und weiteres Personal in der Schule für Veränderungen gewinnen? Wie bringt eine Schulleitung ihr Kollegium dazu, auch in herausfordernden Zeiten offen für Neues zu sein? Wie geht sie mit Lehrkräften um, die sich verweigern oder einen anstehenden Wandel sogar verhindern? Ein Prinzip aus der Organisationsforschung kann hier helfen.

Schulentwicklung braucht Akzeptanz und Engagement

Menschen haben das grundsätzliche Bedürfnis, ihren Wunsch nach autonomer Selbstbehauptung zu bekräftigen. Das ist ein zentraler Befund aus der Organisationsforschung. Wird Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern gesagt, ihr Verhalten sei Teil eines Problems, wächst das Bedürfnis der Betroffenen, ihre Autonomie zu bekräftigen. Die Folge: Ihr ursprüngliches Verhalten verfestigt sich. Das lässt sich vermeiden, wenn Schulleitungen im Rahmen ihrer Organisationsentwicklung auf drei zentrale Prinzipien setzen: Beteiligung, Begegnung und Bedeutsamkeit (3-B-Prinzip).

Auf Freiwilligkeit beruhende Maßnahmen bewirken eher eine Verhaltensänderung als erzwungene.

1. Beteiligung: Mitarbeit ermöglichen
Auf Freiwilligkeit beruhende Maßnahmen bewirken eher eine Verhaltensänderung als erzwungene. Dahinter steckt der psychologische Effekt der „kognitiven Dissonanz“: Menschen geraten in einen unangenehmen Gefühlszustand, wenn sich ihre Wahrnehmungen, Einstellungen, Wünsche und Verhalten nicht miteinander vereinbaren lassen. Sie sind bestrebt, mögliche Gegensätze wieder aufzulösen. Eine Lehrkraft, die etwa einer Neuerung negativ gegenübersteht, wird bei freiwilliger Mitarbeit in einer Arbeitsgruppe versuchen, ihre Einstellung wieder in Einklang mit dem aktuellen Verhalten zu bringen. Über die Beteiligung öffnet sie sich dem Neuen.

2. Begegnung: Kontaktmöglichkeiten schaffen
Hinter dem Mechanismus „Begegnung“ steckt die „Kontakthypothese“: Demnach sind Ablehnung und Vorurteile gegenüber einem Thema besonders bei den Menschen ausgeprägt, die damit kaum oder gar nicht in Berührung stehen. Werden Kontaktmöglichkeiten geschaffen werden, wächst die Toleranz.

3. Bedeutsamkeit: Für Anerkennung und Transparenz sorgen
Erfolgreiches Veränderungsmanagement macht sich den Wunsch nach persönlicher Anerkennung zunutze. Werden darüber hinaus noch Ziele und erreichte Zwischenschritte transparent gemacht, betont das den Stellenwert einer Veränderung. Dazu gehören auch konsequente, glaubwürdige Maßnahmen, falls jemand den Wandel ausbremst oder blockiert.

Das Prinzip umsetzen: Lehrkräfte mitnehmen und motivieren

Gespräche mit Schulleitungen haben gezeigt, wie sich in einem Kollegium die Akzeptanz für eine bestimmte Idee erzeugen lässt. Schulleitungen, die ihre Lehrkräfte erfolgreich mitnehmen konnten, haben intuitiv das 3-B-Prinzip beherzigt: Sie setzten nicht nur auf Beteiligung und Begegnung, sondern stellten auch sicher, dass ihr Handeln die Bedeutsamkeit des eingeschlagenen Weges widerspiegelt. Die Mehrzahl ihrer Maßnahmen setzte dabei nicht nur auf einen der drei Wirkmechanismen, sondern auf deren Verbindung.

1. Wie Sie Beteiligung herstellen
Bei Schulentwicklung kommt es auf das richtige Timing an. Binden Sie Lehrkräfte und weiteres schulisches Personal so früh wie möglich darin ein. Die erste Idee für eine Neuerung oder Veränderung wird häufig in der Gesamtkonferenz vorgestellt. In den Wochen darauf hat das Kollegium Zeit für informelle Diskussionen. Die Lehrkräfte können sich so ihre eigene Meinung bilden. Danach folgt zumeist eine vertiefte Diskussion, bei der gegebenenfalls ein formales Stimmungsbild eingeholt wird, etwa durch eine Abstimmung.

Bieten Sie gerade jenen Lehrkräften eine Mitarbeit an, die bestimmte Vorbehalte haben oder sich grundsätzlich skeptisch äußern.

Betrauen Sie einzelne Lehrkräfte innerhalb formaler Gremien –  wie Steuer- und Arbeitsgruppen –  damit, Ideen und Konzepte auszuarbeiten. Hier spielt die Auswahl der Mitwirkenden eine wichtige Rolle: Bieten Sie gerade jenen Lehrkräften eine Mitarbeit an, die bestimmte Vorbehalte haben oder sich grundsätzlich skeptisch äußern. Damit machen Sie deutlich, dass jeder den Wandel mitgestalten kann und dass kritische Beiträge eine wertvolle Ressource darstellen. Fühlen sich Lehrkräfte auf diese Weise in ihrem Anliegen gehört und ernst genommen, entsteht ein konstruktives Teamklima.

Ein weiteres Beteiligungsinstrument sind Kommissionen zur Personalauswahl. Gemeinsam getroffene Personalentscheidungen haben starke Effekte. Sie setzen nämlich voraus, dass man sich über gemeinsame Zielvorstellungen verständigt hat und diese Vorstellungen auch maßgeblich dafür sind, wen man neu ins Team holt.

2. Wie Sie Lehrkräften Begegnung ermöglichen
Wer einer Veränderung kritisch gegenübersteht, braucht Gelegenheit, sich über das Neue zu informieren und mit anderen darüber auszutauschen. Impulse von außen können hier einen entscheidenden Schub für die eigene schulische Entwicklung geben:

  • Laden Sie Lehrkräfte und Schulleitungen anderer Schulen ein, an denen die geplante Neuerung bereits umgesetzt wurde. So lassen sich nicht nur Erfahrungen und praktische Einblicke aus erster Hand vermitteln, sondern mögliche Einwände auch mit belastbaren Argumenten aus dem Alltag entkräften.
  • Ermöglichen Sie Hospitationen an Schulen, die den Wandel bereits vollzogen haben. Viele Vorbehalte lösen sich auf, wenn skeptische Lehrkräfte erleben, wie gut eine Neuerung in der Praxis funktioniert und welche Lösungen an anderen Schulen entwickelt wurden.

Möglichkeiten der Begegnung und des professionellen Austauschs lassen sich natürlich auch in der eigenen Schule schaffen:

  • Für die Schulentwicklung förderlich ist zum Beispiel die kollegiale Mitarbeit in schulischen Gremien wie Kommissionen zur Personalauswahl oder Steuergruppen. Diese Gremien bieten Lehrkräften die Möglichkeit, mitzugestalten und Verantwortung zu übernehmen. Zudem sind sie ein ideales Forum für den Austausch mit Nicht-Lehrkräften – vorausgesetzt, dass diese in die entsprechenden Gremien berufen werden.
  • Auch nicht-lehrende pädagogische Fachkräfte, wie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter oder Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, können regulärer Teil der erweiterten Schulleitung werden. Das fördert die gemeinsame Schulentwicklungsarbeit und eine multiprofessionell geprägte Entscheidungskultur.
  • Struktureller Raum für Begegnungen lässt sich auch bei der Stundenplangestaltung schaffen. Das beschränkt sich nicht nur auf feste Kooperationszeiten für die Lehrkräfte untereinander, etwa im Rahmen von Jahrgangsteams. Auch der Austausch zwischen Lehrkräften und dem weiteren pädagogischen Personal lässt sich in Form regelmäßiger Treffen im schulischen Alltag etablieren. Gleiches gilt für Fortbildungen: Teamübergreifend und multiprofessionell angelegt bieten sie eine hervorragende Möglichkeit sich zu begegnen und an einer gemeinsamen pädagogischen Grundhaltung zu arbeiten.

Strategische Zielsetzungen, die nicht gelebt werden, verkommen schnell zum bloßen Zeremoniell.

3. Wie Sie die Bedeutsamkeit Ihres Anliegens deutlich machen
Strategische Zielsetzungen, die nicht gelebt werden, verkommen schnell zum bloßen Zeremoniell. Für Schulleitungen kommt es deshalb darauf an, die Selbstverpflichtung zum Wandel regelmäßig zu bekräftigen:

  • Evaluationen nutzen: Evaluationen sind nicht risikofrei. Der Mut, den eine Schulleitung benötigt, um die eigene pädagogische Arbeit einer kritischen Bewertung unterziehen zu lassen, macht jedoch deutlich, wie ernst es ihr mit den eigenen Zielen ist. Durch eine Umfrage kann eine Schulleitung auch „über Bande“ spielen und die daraus gewonnene Evidenz dafür nutzen, den strategischen Kurs voranzutreiben.
  • Flexibel steuern: Bei aller Bedeutsamkeit der eigenen strategischen Ziele: Halten Sie nicht sklavisch an beschlossenen Maßnahmen fest. Guten Schulleitungen gelingt es, zwischen strategisch wichtigeren und unwichtigeren instrumentellen Zielen zu unterscheiden.
  • Verweigerer ziehen lassen: Die Kehrseite davon, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bewusst mit Blick auf ihre Offenheit gegenüber dem Ziel der Schulentwicklung auszuwählen, ist, sich auch von jenen trennen zu können, die sich hartnäckig verweigern. Dies sollte, bei aller Klarheit, im Konsens geschehen.

Wie schulische Steuergruppen helfen

Schulische Steuergruppen sind ein wahres Allzweckmittel. Ihre Wirkmacht beruht auf einer geschickten Verbindung der drei Mechanismen des 3-B-Prinzips: Durch Einsatz einer Steuergruppe sorgen Sie zunächst einmal für die Beteiligung der betroffenen Akteure. Indem Sie auch die Skeptiker im Kollegium mit einbinden, berücksichtigen Sie zwei weitere Aspekte eines wirksamen Veränderungsmanagements: In der gemeinsamen schulischen Entwicklungsarbeit können sich die Lehrkräfte und sonstigen Professionen konstruktiv mit kritischen Punkten auseinandersetzen (Begegnung). Ein wertschätzender Umgang mit Kritikern unterstreicht schließlich den Stellenwert, den ein schulischer Veränderungsprozess hat (Bedeutsamkeit). Beherzigen Sie als Schulleitung also die Mechanismen des 3-B-Prinzips für alle Formen der unterrichtlichen, strukturellen und auch kulturellen Veränderung, steigen die Chancen für eine nachhaltig wirksame Schulentwicklung.

Hilfreiche Fragen für Schulleitungen

Zur Person

  • Der Bildungsexperte Dirk Zorn leitet zusammen mit Dagmar Wolf den Bereich Bildung bei der Robert Bosch Stiftung.
  • Zuvor war er Director bei der Bertelsmann Stiftung und hat dort das Programm „Integration und Bildung“ geleitet.
  • Der Fokus seiner Arbeit liegt in den Feldern Bildungsmonitoring, Ganztagsschulentwicklung, Inklusion, digitale Bildung und Lehrerbildung.
  • Seine Promotion im Feld der Organisationssoziologie absolvierte Zorn an der Princeton University.