Fridays for Future : Schule braucht einen Klimawandel
Mehr als eine Million Menschen haben sich allein in Deutschland am globalen Klimastreik Ende September beteiligt. Schülerinnen und Schüler haben es mit der Bewegung „Fridays for Future“ geschafft, dass das Thema Klimaschutz weltweit eine viel größere politische und gesellschaftliche Bedeutung bekommen hat. Aber was haben die Schulstreiks gegen die Klimakrise mit dem Verständnis von Schule zu tun? Inwiefern sind sie eine Chance, einen Kulturwandel zu gestalten, und ein Anstoß, das Selbstverständnis der Schule und der Lernkultur zu verändern? In ihrem Gastbeitrag auf dem Schulportal fordert Schulleiterin Andrea Rahm zu einem Klimawandel in der Schule auf.
Lernen fürs Leben? Es ist ein von vielen jungen Menschen oft gehörter Satz aus dem Mund von Erziehenden und Lehrenden. Doch wann beginnt es, das Leben? Später? Nein, es bedeutet ein energievolles Handeln im Hier und Jetzt. Diese Haltung prägt die Fridays-for-Future-Bewegung. An die Stelle der kleinteiligen, eher kurzsichtigen Themen, die gesellschaftliche Akteure, Politiker und auch Verantwortliche im System Schule für vorrangig halten und denen sie viel Aufmerksamkeit zukommen lassen, werden die ganz großen, existenziell bedeutsamen Fragen der Menschheit in den Mittelpunkt gesetzt: Wie wollen und können wir auf diesem Planeten miteinander gut zusammenleben – Mensch und Natur, Jung und Alt, Arm und Reich?
Diese Themen aus dem Bereich der nachhaltigen Bildung, so zeigen Studien, kommen in der Schule zwar als Inhalt in manch einer Unterrichtsstunde eines Fachs vor oder werden im Rahmen einer Projektwoche meist am Schuljahresende – „wenn das eigentlich Wichtige geschafft ist“ – als Add-on angehängt, sie stehen aber keinesfalls so im Zentrum schulischer Bildung, dass sie jeden Tag spürbar und erkennbar wären.
Jetzt heißt es: Junge Menschen mischen sich zu sehr ein
Was aber noch entscheidender ist als die fehlende Gewichtung der Inhalte: Schulen sind viel zu selten Räume zum Erleben von Selbstwirksamkeit und zum Erproben von Handlungsoptionen für ein nachhaltiges Wirtschaften und Zusammenleben. Schüler brauchen aber das Erleben: „Ich bin wichtig, auf mich kommt es an in dieser Welt.“
Vor Kurzem noch sprach man jungen Menschen jegliche Motivation zum gesellschaftlichen Engagement ab. Man sah in ihnen oft konsumorientierte, verwöhnte, hedonistische Kinder und Jugendliche, die vor allem das eigene Vergnügen im Blick haben. Jetzt fürchten manche, dass sie sich zu sehr in Dinge einmischen, für die sie keine Fachkompetenz habe – wie manch ein Politiker argwöhnt.
Auch das vielfach geäußerte Lob angesichts des Engagements der Schülerinnen und Schüler wirkt herablassend und mehr als deplatziert, da die jungen Leute ja gerade die Älteren kritisieren. Lob macht abhängig und schafft eine Hierarchie – das hat bereits Maria Montessori in ihrer pädagogischen Konzeption betont. Es wirkt damit anders als konstruktives Feedback und Resonanz, welche in einer Beziehung auf Augenhöhe die Qualität des Miteinanders wesentlich stärken kann.
Es braucht mehr als Schwerpunktsetzung bei den Lerninhalten
Wie kommt man aus der „Schul-Klimakrise“ – der Kritik an einem wenig nachhaltigen Lernklima der Schule – heraus? Indem die Verantwortlichen im System Schule die Themen der Schülerinnen und Schüler als zentral anerkennen. Vor allem weil Schule eine Institution ist, in der es wesentlich darum geht, dass junge Menschen dabei begleitet werden, ihr Leben als verantwortliche Bürgerinnen und Bürger einer Weltgesellschaft gut gestalten zu können.
Dabei sollen sie im Einklang mit sich selbst, der Umwelt und den anderen Menschen sein – denen, die ganz nah sind, und denen, die weiter weg leben. Für eine solche Neuausrichtung der Schule braucht es allerdings weitaus mehr als die Schwerpunktsetzung bei den Inhalten des globalen Lernens und der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Es braucht Lehrpersonen, Eltern und weitere Akteure, die sich mitengagieren beim Einsatz für ein besseres „Schul-Klima“.
Kinder spüren die Lücke zwischen Haltung und Handeln
Dieses Engagement darf sich nicht darin erschöpfen, freitags mit auf die Straße zu gehen und sich als verantwortlich Handelnde zu feiern. Die Kinder spüren diesen „Mind-Behavior-Gap“, diese Lücke zwischen der Einstellung und dem tatsächlichen Verhalten. Erwachsene sollten sich vielmehr der Aufgabe stellen, Modelle des Gelingens bei der nachhaltigen Gestaltung des Lebens zu entwickeln. Lehrpersonen sind dabei in besonderer Weise herausgefordert, in der Schule Lernräume zu schaffen, die zum Entdecken von Welt einladen. Komplexe Zusammenhänge müssen durchdrungen werden, was in unserer vernetzten Welt nicht so einfach ist. Was haben Klimawandel, Migration und ein wenig nachhaltiges Wirtschaften beispielsweise miteinander zu tun? Was heißt Demokratie im 21. Jahrhundert?
Wie wäre es, wenn Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit den Lehrpersonen jeden Tag mit Interesse in die Welt blicken und wenn es das Ziel des globalen Lernens einer jeden Schule wäre, gemeinsam Wege zu finden, um unsere Welt lebenswert zu erhalten? Wie wäre es, wenn Lernende jeden Tag auf unterschiedlichste Weise der Frage nachgingen, wie wir eine Verbindung herstellen können zwischen weltumspannenden Zusammenhängen und dem eigenen Leben?
Wir können etwas tun. Das ist eine zentrale Botschaft, die eine Schule erlebbar machen muss. Nicht nur freitags.
Zur Person
- Andrea Rahm ist Schulleiterin im Team der Sophie-Scholl-Schule Oberjoch im Allgäu. Die Schule ist ein staatlich genehmigtes, schulartübergreifendes Förderzentrum, das an die Alpenklinik Santa Maria angeschlossen ist.
- 2010 wurde die Schule mit dem Hauptpreis des Deutschen Schulpreises ausgezeichnet.
- Andrea Rahm gehört auch zum Programmteam der Deutschen Schulakademie, das in enger Verbindung zum Netzwerk der Preisträger des Deutschen Schulpreises steht. Im Programmteam ist sie zuständig für das Thema „Schule mit Weltblick“.
- Die Pädagogin bildet seit vielen Jahren Lehrkräfte weiter. Außerdem begleitet und unterstützt sie Schulen bei Entwicklungsprozessen.