Umweltbewusstsein : Ökologische Bildung für alle
Schülerinnen und Schüler auf der ganzen Welt demonstrieren seit Monaten bei den „Fridays for Future“-Manifestationen für eine nachhaltige Klimapolitik. In der Schule ist das Thema „Ökologische Bildung“ trotz der anhaltenden Demonstrationen und dem Schulterschluss von renommierten Klimaforschern mit den Demonstrierenden vielfach immer noch nicht angekommen. Ökologische Bildung werde wie ein Stiefkind in der Bildungspolitik behandelt, sagt Schulportal-Gastautor Norbert Pfaff. Er konstatiert: Ein Pakt für ökologische Bildung ist überfällig.
Bislang haben die streikenden Schülerinnen und Schüler nur am Rande Forderungen an die Adresse der Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker gerichtet, weil diese schnelle Änderungen in der Klimapolitik nicht durchsetzen können.
Die Streikenden betreiben die Mobilisierung der Politik, indem sie das Thema Generationengerechtigkeit durch eine kalkulierte Regelverletzung als Basis ihrer Proteste auf die Tagesordnung gesetzt haben. Freitags beenden die Protestierenden den Unterricht früher, um danach mehrere Schulstunden lang – und unter Berufung auf einen übergesetzlichen ökologischen Notstand – für eine konsequente Umsetzung international vereinbarter Klimaziele und gegen business as usual in Politik und Gesellschaft zu demonstrieren. Dies im Einklang mit grundlegenden Erziehungszielen und Verfassungsartikeln (Art. 2, 5, 8 und 20a GG).
Die oft abwiegelnd gemeinte Forderung von Kritikern, das Thema verstärkt im Unterricht zu behandeln, sollte konstruktiv-kritisch aufgegriffen werden. Dies schon deswegen, weil es nicht zweitrangig ist, was und wie in den Schulen gelernt wird.
Ökologische Bildung – ein Stiefkind der Bildungspolitik
Ökologische Bildung (offiziell: Bildung für nachhaltige Entwicklung – BNE) steht spätestens seit der „Rio-Erklärung“ von 1992 international und national im Pflichtkatalog von Bildungsprogrammen. In der Schulwirklichkeit sind aber oft nur Schwundformen davon angekommen. Oder Modellversuche, die selten in Serie gehen und bisher kaum Breitenwirkung erzeugen. Wären seit Anfang der 1990er Jahre unsere Schulen zu Schulen des Umwelt- und Klimaschutzes umgebaut worden, unsere „Unfähigkeit zur Zukunftsbewältigung” (Günther Anders) wäre weniger stark ausgeprägt.
Die gute Nachricht: Es ist gar nicht notwendig, die bildungspolitische Reset-Taste zu drücken. Es reichen ein Systemcheck mit anschließender Revitalisierung von oft nur brach liegenden Ressourcen und der notwendige Ausbau der Ressourcen. Die föderale, regionale und lokale, aber zersplitterte Vielfalt kann – reorganisiert – zur Stärke werden.
Grundlegend für eine erfolgreiche ökologische Bildung sind:
- ein ökologischer Schulbau, in dem ein ökologischer Alltag praktiziert wird,
- fächerübergreifendes, handlungsorientiertes Lernen in Projekten zur Umweltbildung
- und – last, but not least – eine ausreichende Finanzierung, die eine kontinuierliche, flächendeckende und qualitativ hochwertige Arbeit erst ermöglicht.
Eine ökologische Schule ist im Idealfall aus ökologischen Baumaterialien gebaut. Sie hat einen wabenförmigen Grundriss, gestaltet Klassenräume offen für selbstorganisiertes Lernen und öffnet sich nach außen zur Gemeinde oder Stadt, beispielsweise durch Zusammenarbeit mit der Lokalen Agenda 21 oder Kooperationen mit Hochschulen. Sie sucht vielfältige Naturerfahrungen, ausgehend etwa vom schuleigenen Biotop. Sie bietet auch ein ökologisches und regionales Mittagessen und praktiziert insgesamt einen ökologischen Alltag zur Einübung eines nachhaltigen Lebensstils. Also etwas, das bereits viele Schulen praktizieren, etwa mit Initiativen zur Mülltrennung, aber oft nicht kontinuierlich und nicht eingebunden in ein Gesamtkonzept. Dabei sollten möglichst viele dieser Elemente umgesetzt sein, da sonst der nicht nachhaltige Alltag die hochgesteckten Ziele dementiert.
Das Lernen erfolgt idealerweise nicht im Rahmen eines neuen Faches „Umwelt und Klima“, sondern fächerübergreifend – etwa zwischen natur- und geisteswissenschaftlichen Fächern. Vernetzte Probleme und Risiken können nur durch vernetzende Analysen und die Vernetzung verschiedener Akteure erkannt werden. Die Konzepte dafür sind lange vorhanden, wie bei Frederic Vesters „vernetztem Denken“ oder dem „Syndromansatz“ des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Vieles ist nicht neu ist und wird auch längst praktiziert, aber oft in Zeitnischen wie vor den Sommerferien, getragen von Idealisten, unkoordiniert und als Ausnahmefall, da der Lehrplan ruft, die Stofffülle drängt.
Das Beispiel Hessen: Vorzeigeprojekte bisher nur für wenige
Zur Förderung für die auch im Hessischen Schulgesetz von 2017 verankerte BNE sind wie in anderen Bundesländern verschiedene Gremien, Initiativen und Bildungszentren tätig. Darüber hinaus werden Programme, Modellversuche und Wettbewerbe zur Förderung der BNE durchgeführt.
Ein Beispiel: Im Rahmen des „Schuljahrs der Nachhaltigkeit“ wurde von Januar 2014 bis Februar 2016 ein Projekt an Grundschulen in sechs Modellregionen durchgeführt. Die Kosten betrugen 340.000 Euro, unter anderem für Lehrerfortbildungen und die Durchführung von Unterrichtseinheiten im Umfang von 18 bis 20 Stunden. Erreicht wurden damit mehr als 1.000 Schülerinnen und Schüler an 22 Grundschulen. Demgegenüber stehen, laut dem Statistischen Landesamt Hessen, mehr als 200.000 Schülerinnen und Schüler an mehr als 1.100 Grundschulen in ganz Hessen! Das übertragbare Beispiel illustriert, dass das Wünschenswerte das derzeit finanziell Machbare bei Weitem übersteigt.
Verglichen etwa mit der Debatte zur Digitalisierung der Bildung fristet die Bildung für nachhaltige Entwicklung ein Schattendasein. Der Budgetvergleich ergibt für den Digitalpakt eine Milliarde Euro pro Jahr für die kommenden fünf Jahre und damit das Zigfache der Ausgaben für BNE im Jahr 2016.
Laut Bündnis Zukunftsbildung ergeben sich für 2016 insgesamt 39,3 Millionen Euro, wobei hiervon, so das Ergebnis einer Studie, entfallen.
Ökologische Bildung für alle: durchgerechneter Aktionsplan liegt vor
Das Bündnis Zukunftsbildung (NGOs von unter anderem BUND über GEW und Greenpeace bis Welthungerhilfe) hat im Frühjahr 2018 einen Acht-Punkte-Maßnahmenkatalog mit Stufen- und Zeitplan zur Umsetzung einer wirkungsvollen BNE vorgelegt, einschließlich der Berechnung der jeweils benötigten Finanzmittel. Etwa für die an jeder Schule einzuführenden BNE-Koordinatoren, ausgestattet mit sechs Deputatstunden und verpflichtet zu zwei jährlichen Fortbildungen. Dies addiert sich auf 454 Millionen Euro pro Jahr.
Die erreichte Konkretisierung ist vorbildhaft und ist nur in zwei Punkten zu ergänzen: Es sind keine Mittel für ökologische Schulbauten beziehungsweise -umbauten und neue Umweltbildungsstätten vorgesehen sowie für einen Zuschuss für regionale und ökologische Ernährung an Schulen. Außerdem terminiert der Plan die vorgesehene Umsetzung für den Zeitraum bis 2030. Hier sind Möglichkeiten der Beschleunigung zu suchen, etwa das Vorziehen der auch geforderten „Integration von BNE in und Austausch von Lehrmaterialien“.
Die Voraussetzungen für eine schnellere Umsetzung eines solchen Paktes sind auf dem Weg zum Digitalpakt Schule geschaffen worden: Grundgesetzänderung, Schaffung eines Finanzierungsfonds und Festlegung der Arbeitsteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen.
Frau Karliczek, bitte übernehmen Sie!
Nach dem Digitalpakt ist vor dem Pakt für ökologische Bildung! Das Bundesbildungsministerium sollte als Sofortmaßnahme ein Gremium einsetzen, das die Vielzahl vorliegender Best-Practice-Beispiele von Unterrichtskonzepten und -materialien sammelt, auswertet, weiterentwickelt und allen Lehrkräften unbürokratisch zur Verfügung stellt. Dort mitarbeiten sollten Lehrerinnen und Lehrer, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen, aktive im Naturschutz und andere Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft.
Der ökologische Umbau der Schule ist überfällig – auch als Beispiel für andere gesellschaftliche Bereiche. Er sollte von den Protestierenden gefordert und mit ihnen realisiert werden. Dadurch werden öffentliche Proteste für eine andere Klimapolitik nicht überflüssig. Im Gegenteil: Sie werden glaubwürdiger und auf mittlere Sicht wirkungsvoller.
Zur Person
- Norbert Pfaff, 66, hat in Kassel studiert und bis 2018 als Lehrer an zwei Gymnasien in Hessen unterrichtet.
- Während seiner Lehrertätigkeit hat er nach Möglichkeit besonders die „ökologische Bildung“ gefördert.
- Der Beitrag ist in abgewandelter und teils erweiterter Form in der Hessischen Lehrerzeitung (Heft 6/2019, S. 30/31) und bei klimareporter erschienen.