Expertenstimme

Kinderschutzbund : Es ist Zeit für Kinderrechte!

Seit 30 Jahren gilt die UN-Kinderrechtskonvention. Sie gibt unter anderem vor, dass Kinder und Jugendliche an allen sie betreffenden Dingen im Rahmen ihrer Fähigkeiten zu beteiligen sind. In den Schulen werden diese Beteiligungsrechte allerdings häufig nicht ausreichend umgesetzt. In dem Projekt „Zeit für Kinderrechte“ des Kinderschutzbundes Landesverband Schleswig-Holstein lernen die Kinder nicht nur ihre Rechte kennen, sondern auch, was sie tun können, wenn diese nicht gewahrt werden.

Nina Becker
Kinder sitzen im Klassenraum und melden sich.
Der 20. November ist Internationaler Tag der Kinderrechte - Zeit, um auch die Umsetzung der Kinderrechte in den Schulen zu thematisieren.
©Daniel Reinhardt (dpa)

Montagmorgen 8.05 Uhr im Klassenraum einer Grundschule in Schleswig-Holstein. Schülerinnen und Schüler einer vierten Klasse überlegen gemeinsam mit dem „Zeit für Kinderrechte“-Team, was sie über Kinderrechte wissen. „Alle Kinder haben das Recht auf ein eigenes Zimmer“, sagt ein Mädchen. Ein anderes Mädchen fragt: „Haben Kinder nicht auch das Recht, dass man sie nicht schlägt?“ Ein Junge antwortet: „Vor allem haben alle Kinder Recht auf Liebe und Geborgenheit.“

Das Projekt „Zeit für Kinderrechte“ richtet sich an Grundschülerinnen und Grundschüler der dritten und vierten Klassen in Schleswig-Holstein. Aktuell ist es rein spendenfinanziert, gefördert durch den Sparkassen- und Giroverband SH. An zwei Vormittagen begeben sich die Kinder gemeinsam mit dem „Zeit für Kinderrechte“-Team und einer Lehrkraft auf ein Abenteuer rund um das Thema Kinderrechte. Auf spielerische und kreative Art und Weise lernen Kinder ihre Rechte kennen und lernen dabei gleichzeitig Grundprinzipien unserer Demokratie kennen. Am Ende der zwei Tage sollen die Kinder ihre Rechte kennen und wissen, was sie tun können, wenn ihre Rechte nicht gewahrt werden.

Viele Kinder wissen nichts über die UN-Kinderrechtskonvention

Der Kinderschutzbund hat sich in seiner Arbeit mit und für Familien zum Ziel gesetzt, Kinderrechte mit Leben zu füllen und deren Umsetzung für jedes Kind in Deutschland zu garantieren. Dass Kinderrechte und ihre Umsetzung auch nach 30 Jahren noch immer nicht selbstverständlich sind, zeigt die aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung „Children’s Worlds+“. Dort gaben ein Viertel aller befragten 10 bis 12-Jährigen an, nichts über die UN-Kinderrechtskonvention zu wissen.

Zurück zum Projekt: Die Kinder sitzen mit dem „Zeit für Kinderrechte“-Team im Klassenraum auf dem Boden in einem Kreis und werfen sich gegenseitig einen großen Schaumstoff-Würfel zu. Gemeinsam entdecken sie Kinderrechte, von denen sie noch nie gehört haben oder die sie bisher nicht verstanden haben. Gelten Kinderrechte für alle Kinder? (Art. 2) Was ist mit Kindern, die eine Behinderung haben, gelten für sie dieselben Rechte? (Art. 23) Und heißt Schutz der Privatsphäre (Art. 16) auch, dass ich nicht ungefragt in die Schultasche einer Mitschülerin oder eines Mitschülers schauen darf? Sie lernen, dass Rechte, die für sie im Alltag vielleicht selbstverständlich sind (Schutz vor Gewaltanwendung, Gesundheitsvorsorge, Bildung) nicht immer und für alle Kinder gleichermaßen Realität sind.

Dabei haben mittlerweile alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, bis auf die USA, die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Durch ihre Unterschrift haben sich diese Staaten, darunter auch Deutschland, verpflichtet, die Rechte der Kinder zu schützen. Ziel der UN-Kinderrechte ist es, deutlich zu machen, dass Kinder in der Gesellschaft unter einem besonderen Schutz stehen und dass sie eigenständige Träger von Rechten sind.

Nur knapp jedes zweite Kind gibt an, dass es in der Schule mitbestimmen kann

Die UN-Kinderrechtskonvention lässt sich in die drei Säulen Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte unterteilen. Darüber stehen vier Artikel der Konvention, die von den Mitgliedern der Vereinten Nationen als besonders wichtig hervorgehoben wurden und die als grundlegend für das Verständnis vom Kind und seiner Umwelt gelten: Das sind Artikel 2 (Diskriminierungsverbot), Artikel 3 (Kindeswohl), Artikel 6 (bestmögliche Entwicklung) und Artikel 12 (Kindeswille).

Der Kinderschutzbund setzt sich seit Jahren neben dem Schutz von Kindern insbesondere auch für die Umsetzung der Beteiligungsrechte von Kindern auf allen Ebenen ein. Die Artikel 12 und 13  der UN-Kinderrechtskonvention geben vor, was sowohl im Kinder- und Jugendhilfegesetz, dem Jugendförderungsgesetz SH oder der Gemeindeordnung seinen Niederschlag findet: Kinder und Jugendliche sind an allen sie betreffenden Dingen im Rahmen ihrer Fähigkeiten zu beteiligen. Kinder und Jugendliche in Deutschland müssten also Experten im Rahmen von Beteiligung sein.

Nur etwas mehr als die Hälfte aller Kinder gaben an, dass sie in der Familie mitbestimmen dürfen. In der Schule sind es sogar nur 45 Prozent.

Die Zahlen der Bertelsmann-Studie zeichnen aber immer noch ein etwas anderes Bild. Nur etwas mehr als die Hälfte aller Kinder gaben an, dass sie in der Familie mitbestimmen dürfen. In der Schule sind es sogar nur 45 Prozent. Dabei haben Mädchen eher den Eindruck, mitbestimmen zu dürfen als Jungs. Nur knapp 60 Prozent aller befragten Kinder stimmten der Aussage „Ich glaube, die Rechte von Kindern und Jugendlichen werden respektiert“ zu.

Möglichkeiten der Beteiligung von Kindern in der Familie, in der Schule und im Wohnort

Hier gibt es für Kita, Schule, Jugendhilfe und für die Gesellschaft insgesamt noch einiges zu tun. Nicht nur, aber auch deshalb ist das Recht auf Beteiligung ein wichtiger Baustein im „Zeit für Kinderrechte“-Projekt. So lernen die Kinder unter anderem unterschiedliche Entscheidungsverfahren kennen und finden heraus, welche Möglichkeit der Beteiligung sie haben: in der Familie, in der Schule und in ihrem Wohnort. In Kleingruppen überlegen sie, bei was sie gerne beteiligt werden würden oder bei was sie es auch schon werden.

Dienstag 12.45 Uhr in derselben Grundschule. 20 Mädchen und Jungen halten stolz ihre Urkunden hoch und stimmen mit ihren Daumen darüber ab, wie ihnen die zwei Tage gefallen haben. Die meisten Daumen zeigen steil nach oben.

Mehr zum Thema

  • Die Vereinten Nationen haben den 20. November als den Internationalen Tag der Kinderrechte ausgerufen. Dieser findet seit 1989 – der Geburtsstunde der UN-Kinderrechtskonvention – statt.
  • Das Projekt „Zeit für Kinderrechte“ vom Deutschen Kinderschutzbund Landesverband Schleswig-Holstein e.V. ist seit November 2018 in Schleswig-Holstein an Schulen unterwegs. Den Auftakt hat die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien als Schirmherrin begleitet. Interessierte Schulen können sich für eine Teilnahme bewerben. Kontakt unter: zeitfuerkinderrechte@kinderschutzbund-sh.de
  • Das Deutsche Kinderhilfswerk hat Ende 2019 den ersten „Kinderrechte-Index“ für Deutschland veröffentlicht. Die Pilotstudie zeigt auf, wie die Kinderrechte in den einzelnen Bundesländern umgesetzt werden.

Zur Person

  • Nina Becker ist beim Kinderschutzbund Schleswig-Holstein als Fachreferentin zu Themen wie Kinderrechte und Kinder- und Jugendbeteiligung tätig.
  • Zu Nina Beckers Aufgabengebiet gehört neben der Projektleitung „Zeit für Kinderrechte“ die Begleitung des Jugendrats beim Kinderschutzbund sowie die Leitung des Modellprojekts „Vertrauenshilfe“ mit regionalen Beschwerdestellen für Kinder und Jugendliche.