Werteerziehung : Eine Schule auf den Spuren eines Widerstandskämpfers
Die Franz-Leuninger-Schule in Hessen trägt den Namen eines christlichen Widerstandskämpfers gegen den Nationalsozialismus. Die Schülerinnen und Schüler treffen sich regelmäßig mit dessen 86-jährigem Neffen, der ihnen berichtet, was er über seinen Onkel weiß. Das Projekt ist Teil der Werte- und Demokratieerziehung der Kinder.
Anna darf als Erste ihre Frage stellen. „Haben Sie mitbekommen, dass Ihr Onkel im Widerstand gegen Hitler war?“, fragt sie Herbert Leuninger. Der schüttelt den Kopf. „Mein Bruder und ich waren viel zu jung – das hätte gefährlich werden können!“ Zehn Kinder – Schülerinnen und Schüler der vierten Klasse der Franz-Leuninger-Schule im hessischen Mengerskirchen – sitzen im Halbkreis um Herbert Leuninger. Jedes Kind hat sich auf einem Zettel eine Frage an ihn notiert.
Jonas will wissen, ob der Onkel ein Vorbild für ihn war. Herbert Leuninger muss nicht lange überlegen: „Ich bewundere ihn bis heute dafür, dass er sich gegen Hitler gestellt hat, obwohl er wusste, dass er sich damit in Lebensgefahr begibt.“ Er selbst habe, wenn er in Schwierigkeiten gewesen sei, oft daran gedacht, was sein Onkel in so einer Situation wohl machen würde, erzählt der inzwischen 86 Jahre alte Herbert Leuninger den Kindern.
Franz Leuninger, 1898 in Mengerskirchen geboren, war ein christlicher Gewerkschafter und Widerstandskämpfer. Am 1. März 1945 wurde er von den Nazis in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Die Grundschule in Mengerskirchen trägt seit ihrer Eröffnung in den 1970er-Jahren seinen Namen. Seit einigen Jahren hält die Schule einen engen Kontakt zu Herbert und Ernst Leuninger, Franz Leuningers beiden Neffen .
Im Wald entdeckten die Schülerinnen und Schüler ein verrottetes Holzkreuz
Die Schulleiterin der Franz-Leuninger-Grundschule, Nicole Schäfer, sagt, dass sie sich seit zehn Jahren an der Schule intensiv mit der Geschichte ihres Namensgebers beschäftigen. Damals entdeckten Schülerinnen und Schüler in dem Wald nahe der Schule ein verrottetes Holzkreuz. „Wir fanden heraus, dass die Familie von Franz Leuninger dieses Kreuz zum Gedenken an ihn aufgestellt hatte“, sagt Schäfer. Die Kinder hat das stark beeindruckt. Die Schule ließ ein neues Kreuz anfertigen, das nun für jeden sichtbar auf dem Schulhof steht.
Doch es blieb nicht nur bei diesem Symbol. „Wir haben Kontakt zu Herbert und Ernst Leuninger aufgenommen, die unsere Schule seitdem begleiten“, sagt Schäfer. Die beiden hätten auch zu den Ersten gehört, denen sie von der Nominierung für den Deutschen Schulpreis in diesem Jahr erzählt haben. Herbert Leuninger fuhr mit zur Preisverleihung in Berlin, und gemeinsam mit den Kindern und Lehrkräften der Schule besuchte er in Berlin-Plötzensee den Ort, an dem Franz Leuninger am 1. März 1945 ermordet wurde.
Die Kinder lernen, sich politisch nicht beeinflussen zu lassen
Es gehört zum Konzept der Schule, dass alle Schülerinnen und Schüler der vierten Klassen einige Wochen lang an einem Projekt arbeiten, in dem es um das Leben von Franz Leuninger geht. Das Interview mit Herbert Leuninger ist fester Bestandteil dieses Projekts.
Viele Eltern hatten zunächst Bedenken, ob die Beschäftigung mit dem Faschismus und den menschenverachtenden Taten der Nazis die Kinder im Grundschulalter nicht überfordern könnte. Diese Ängste seien inzwischen ausgeräumt, sagt Schulleiterin Schäfer. „Die Kinder befassen sich ohnehin mit diesem Thema, deshalb ist es gut, dass sie ihre Fragen loswerden können.“
Für Nicole Schäfer und ihre Kolleginnen und Kollegen ist das Geschichtsprojekt ein wichtiger Bestandteil der Werteerziehung ihrer Schülerinnen und Schüler. Im besten Fall lernten die Kinder, sich politisch nicht manipulieren zu lassen, sagt Schäfer.
Herbert Leuninger und seinem Bruder Ernst bedeutet der Kontakt zur Schule sehr viel. „Wir freuen uns, dass die Schule es ernst nimmt mit ihrem Namen“, sagt Herbert Leuninger. Er ist begeistert von den Schülerinnen und Schülern: Sie seien offen, interessiert und aufmerksam. Angesichts der nationalistischen Rückwärtsbewegungen, die in etlichen Ländern zu beobachten seien, mache ihm das Mut, sagt er. „Ich setze auf die junge Generation, die global denkt und empfindet.“ Begeistert ist der ehemalige Pfarrer auch vom Konzept der Schule. „Jedes Kind wird hier gefördert.“
Das Projekt hat auch Auswirkungen auf die Schulgemeinschaft
Zum Schluss der Stunde stellt Christian noch die Frage: „Was haben Sie von der Geschichte Ihres Onkels für Ihr eigenes Leben mitgenommen?“, will er von Herbert Leuninger wissen. Der sagt, dass er sich in seinem Beruf immer auch um Menschen verschiedener Religionen gekümmert hat und um Flüchtlinge.
Das können die Kinder nachvollziehen – an ihrer Schule lernen mit ihnen Flüchtlingskinder. Dass das Miteinander gut funktioniert, hat für Schulleiterin Nicole Schäfer auch mit dem Franz-Leuninger-Projekt zu tun. „Was die Schülerinnen und Schüler davon mitnehmen, wirkt sich positiv auf unsere Schulgemeinschaft aus“, sagt sie.
Zur Person
- Franz Leuninger wurde am 28. Dezember 1898 in Mengerskirchen geboren.
- Während der Weimarer Republik war der gelernte Maurer als christlicher Gewerkschafter und für die Deutsche Zentrumspartei aktiv.
- Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten kommt er in Kontakt mit den Widerstandsgruppen um Carl Goerdeler und Ludwig Beck.
- Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 wurde Franz Leuninger am 26. September festgenommen und am 1. März 1945 im Strafgefängnis in Berlin-Plötzensee ermordet.
Auf einen Blick
- Mit der Verleihung des Deutschen Schulpreises 2018 startete die Bewerbungsphase für die Auszeichnung im kommenden Jahr.
- Noch bis zum 15. Oktober können sich Schulen für den mit insgesamt 270.000 Euro dotierten Deutschen Schulpreis 2019 bewerben.
- Alle Informationen über die aktuelle Ausschreibung gibt es auf der Website des Deutschen Schulpreises: http://schulpreis.bosch-stiftung.de