Gastbeitrag : Was Lehrkräfte gesund hält
Wie geht es eigentlich den Lehrkräften? Eine viel zu oft vernachlässigte Frage, der man sich mehr widmen müsse, sagt Uta Klusmann. Die promovierte Psychologin und Erziehungswissenschaftlerin ist Expertin für das Thema „Gesundheit im Lehrerberuf“. Das Schulportal hat einen ihrer Vorträge protokolliert und veröffentlicht nun Auszüge daraus: Uta Klusmann erklärt, was Lehrkräfte stresst, was ihnen guttut und warum Kooperation dabei eine so wichtige Rolle spielt.

Eine vernachlässigte Frage: Wie geht es eigentlich den Lehrkräften?
Lehrkräfte stehen im Fokus von Öffentlichkeit und Wissenschaft: Was müssen Lehrerinnen und Lehrer können und wissen, damit die Schülerinnen und Schüler gut lernen? Wie müssen wir sie ausbilden, damit sie den vielfältigen Anforderungen des Berufs gerecht werden? Was allerdings kaum jemand fragt: Wie geht es ihnen? Wie zufrieden sind sie mit ihrem Beruf? Sind sie erschöpft? Oder gestresst? Was macht das eigentlich mit ihnen?
Ich bin überzeugt davon: Das sind wichtige Fragen, die wir viel häufiger stellen müssen. Denn inzwischen wissen wir, wie wichtig Gesundheit und Wohlbefinden im Beruf besonders bei Lehrkräften ist. Beeinträchtigungen der Gesundheit haben viele negative Konsequenzen. Das gilt zum einen für die betroffene Person selbst. Chronischer Stress zum Beispiel ist ein Risikofaktor für physiologische Erkrankungen – die Lehrkraft leidet also selbst darunter. Zum anderen haben Erschöpfung und Stress bei der Arbeit auch Folgen für die Institution Schule selbst. Das beginnt mit den Krankheitstagen. Schulleitungen und Lehrkräfte wissen, wie schwierig es ist, Fehlzeiten innerhalb des Kollegiums zu kompensieren. Neuere Forschungen liefern aber noch mehr Argumente, warum das Thema von großer Bedeutung ist. Es wurde gezeigt, dass sich Erschöpfung und depressive Symptome von Lehrkräften auch im Unterrichtsverhalten manifestieren, dass sie sichtbar sind für Schülerinnen und Schüler und deren Motivation und sogar ihre Leistung beeinflussen.
Eine gesunde Lehrkraft ist stolz, zufrieden und engagiert
Doch was ist eigentlich Gesundheit? Sie ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit und Beschwerden – sie beinhaltet auch das psychische und soziale Wohlbefinden. Das Wohlbefinden einer Person ist eine zentrale Komponente von Gesundheit. Das Wohlbefinden einer Person wiederum beinhaltet positive und negative Emotionen, Affekte und die Zufriedenheit mit der eigenen (beruflichen) Situation. Wohlbefinden drückt sich dadurch aus, dass eine Person wenige negative Emotionen, Stress und Burn-out-Symptome erlebt und sich gleichzeitig mit Engagement und Freude ihren Aufgaben widmen kann. Das bedeutet: Die Abwesenheit von Stress und Erschöpfung heißt nicht automatisch, dass eine Person sich wohlfühlt und gesund ist. Denn dazu gehört – neben der Abwesenheit negativer Erlebensqualtäten – auch das Erleben positiver Gefühle und Gedanken.
Wir wissen, dass Lehrkräfte sich sehr stark darin unterscheiden, wie sie sich fühlen, wie engagiert sie sind oder wie ausgeprägt die Burn-out-Symptome sind. Wie erklären wir uns das? Es gibt viele Ansätze dazu – die Essenz aber könnte heißen: Stress und Erschöpfung entstehen durch ein Ungleichgewicht von Stressoren und Ressourcen. Das bedeutet: Es gibt zu viele Dinge, die mich behindern und meine konstante physische und psychische Anstrengung erfordern – und auf der anderen Seite sind zu wenige Dinge, die mich unterstützen und mir helfen, meine Ziele zu erreichen.
Stress ist subjektiv
Es gibt dabei ganz unterschiedliche Ressourcen: Das können persönliche Eigenschaften sein, aber auch die soziale Unterstützung oder die Arbeitsorganisation. Die Ressourcen haben übrigens eine besondere Doppelfunktion: Sie beeinflussen direkt, wie gut ich mich fühle, puffern aber auch berufliche Stressoren ab. Wenn eine Lehrkraft zum Beispiel ein schwieriges Elterngespräch vor sich hat, dann kann die soziale Ressource „Sich mit jemanden vorbesprechen“ oder „Unterstützung holen“ dem Stresserleben vorbeugen, sodass der Stressor „Elterngespräch“ nicht in einer Erschöpfung resultiert. Grundsätzlich gilt: Die Wahrnehmung davon, was ein Stressor oder einer Ressource darstellt, ist subjektiv. Was für die eine Person eine schwierige Situation oder Ereignis ist, kann von einer anderen Person ganz anders erlebt und bewertet werden. Das gilt auch für die Ressourcen: Was dem einen guttut, muss nicht dem anderen helfen.
Die stetige soziale Interaktion beansprucht Lehrkräfte
Trotzdem zeigen Befragungen, dass es unter den Lehrkräften auch häufige Übereinstimmungen gibt. Lehrerinnen und Lehrer berichten in ihrem beruflichen Alltag am häufigsten – ganz gleich, ob mit wenig oder mit viel Berufserfahrung –, dass sie das Nichtgelingen von Interaktion mit Schülerinnen und Schülern als belastend empfinden. Dazu gehören Fragen der Klassenführung, Disziplinschwierigkeiten, Unterrichtsstörungen und Motivationslosigkeit. Ein häufig genannter Stressor sind außerdem „Konflikte mit dem Kollegium“. Die stetige soziale Interaktion scheint eine psychische Herausforderung zu sein. Dazu kommen Aspekte, die es in jedem Beruf gibt: Wie hoch ist mein Arbeitspensum? Fühle ich mich wertgeschätzt?
Was bei Lehrkräften dagegen besonders häufig Freude hervorruft, sind gute Beziehungen zu ihren Schülerinnen und Schülern. Wenn also das Kernelement des Unterrichtens gelingt, erleben Lehrerinnen und Lehrer dies als sehr positiv. Auch die Kolleginnen und Kollegen spielen eine wichtige Rolle. Relevant ist außerdem das Gefühl, seine Arbeit selbst beeinflussen und kontrollieren zu können. Darüber hinaus ist tatsächlich das pädagogisch-psychologische Wissen von Lehrkräften eine wichtige Ressource. Zusätzlich hilfreich ist eine gewisse emotionale Stabilität.
Kooperation – Stressor oder Ressource?
Doch wohin gehört das Thema Kooperation? Ist der Austausch mit anderen eher eine Ressource oder mehr ein Stressor? Zunächst mal: Kooperation hat sehr viele unterschiedliche Gesichter. Das fängt an bei den Gesprächen „zwischen Tür und Angel“, führt über das Einholen von Hilfe und den Austausch von Materialien bis hin zur gemeinsamen Organisation und zu intensiver Zusammenarbeit. Aus theoretischer Sicht gibt es viele Gründe dafür, dass Kooperation eine Ressource sein kann, aber auch ein Stressor. Wer die Arbeit aufteilt, gewinnt Zeit – und Zeit ist eine wichtige Ressource. Vielleicht gewinnt unter bestimmten Bedingungen auch die Qualität der Arbeit, was als sehr positiv erlebt wird. Außerdem ist Kooperation eine Möglichkeit, sich eingebunden zu fühlen, was ein zentrales, menschliches Grundbedürfnis darstellt. Darüber hinaus bietet die Kooperation eine Quelle der gegenseitigen Wertschätzung. Psychologen sind davon überzeugt, dass sozialer Austausch eine wichtige Bewältigungsstrategie ist. Über seine eigenen Gefühle zu reden, sie zu benennen und anzusprechen ist eine gute Möglichkeit, sich davon zu distanzieren.
Bei jeder Zusammenarbeit kann es aber natürlich auch zu Konflikten kommen, zum Beispiel über die Frage, welche Ziele man wie gemeinsam verfolgt. Wer intensiv zusammenarbeitet, reduziert zwangsläufig das eigene Autonomieerleben. Dabei ist Autonomie ein zentrales menschliches Bedürfnis: Wir wollen unsere Handlungen selbst bestimmen! Außerdem könnte es zu Ansteckungseffekten kommen. Studien haben gezeigt: Wer mit Personen kooperiert, die sehr belastet sind, erlebt nicht selten auch eine höhere Belastung.
Lehrkräfte, die Unterstützung erfahren, engagieren sich mehr
Allerdings gibt es bislang nur wenige Studien über den Zusammenhang von Kooperation unter Lehrkräften und deren Wohlbefinden. Es zeigte sich, dass weniger die Art, Form oder Häufigkeit der Kooperation eine Rolle spielt, sondern eher, wie man sich dabei fühlt: Fühle ich mich unterstützt und respektiert? Habe ich das Gefühl, ich kann meine Kolleginnen und Kollegen um Hilfe fragen? Letzteres ist ein ganz entscheidendes Gefühl, das zu den stärksten Ressourcen überhaupt zählt. Lehrkräfte, die sich vom Kollegium oder der Leitung unterstützt fühlen, engagieren sich stärker und sind zufriedener. Auch die Absicht, den Beruf wechseln zu wollen, wird durch die Ressource „soziale Unterstützung“ verringert: Lehrkräfte, die sich unterstützt fühlten, hatten bei gleicher Arbeitsbelastung weniger das Gefühl, sich einen anderen Beruf suchen zu wollen.
Soziale Unterstützung ist eine zentrale Ressource, der man Raum geben sollte. Doch wie sieht der Alltag von Lehrkräften an dieser Stelle aus? Wie häufig haben sie diese positiven Erlebnisse mit ihren Kolleginnen und Kollegen? Um diese Fragen beantworten zu können, haben wir mehrere Tagebuchstudien durchgeführt. Zwei Wochen lang haben wir Lehrkräfte jeden Abend gefragt: Was haben Sie heute erlebt im Beruf? Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben ihre positiven und negativen Erlebnisse ganz offen aufgeschrieben – wir haben nichts vorgegeben. Ein Befund lautet: Die Lehrkräfte haben deutlich mehr positive als negative Ereignisse berichtet – fast doppelt so viele. Die Studie hat auch gezeigt, dass das Kollegium eine riesige Rolle bei der Reflexion des Arbeitstags spielt. Natürlich steht der Unterricht im Mittelpunkt; darüber haben die Lehrkräfte am häufigsten berichtet – direkt gefolgt von der Interaktion mit den Kolleginnen und Kollegen. Die positive Interaktion überwiegt dabei, aber das Kollegium ist bei nicht gelingender Interaktion auch gleichzeitig der dritthäufigste Stressor im Alltag.
Drei wirkungsvolle Ansätze für Kooperation, die Lehrkräften guttut
Es wäre also ein sinnvolles Ziel der Gesundheitsförderung, die Kooperation im Kollegium als Ressource zu stärken und als Stressor zu reduzieren. Um das zu erreichen, kann man insbesondere an drei Stellschrauben ansetzen:
- Die Feedbackkultur einer Schule: Es gibt bereits viele vorbildliche Schulen, die sehr gute Gelegenheiten zum Austausch und zur Kommunikation bieten. Wie man unterstützendes und konstruktives Feedback gibt, lässt sich sehr gut lernen.
- Gemeinsame Aktivitäten: Auch hier gibt es schon viele tolle Vorbild-Schulen, die verschiedene Rituale etabliert haben. Manche Schulen haben zum Beispiel einen „Tagesordnungspunkt null“ auf ihrer Agenda und besprechen dann soziale Themen.
- Sich soziale Unterstützung holen: Ob Stressmanagementtraining, wie zum Beispiel das positiv evaluierte Agil-Training, oder Schulpsychologinnen und -psychologen – hier sind verschiedene Formen der Unterstützung denkbar.
Fazit: Das müssen Schulen über den Zusammenhang von Gesundheit und Kooperation wissen
Abschließend möchte ich Botschaften zusammenfassen. Die erste Botschaft lautet: Stress und Erschöpfung resultieren aus dem Ungleichgewicht von Stressoren und Ressourcen. Zweitens: Für die Gesundheit ist es weniger wichtig, wie häufig oder in welcher Form man kooperiert. Entscheidend ist, wie man sich dabei fühlt. Drittens: Sich sozial unterstützt zu fühlen ist maßgeblich für das Wohlbefinden von Lehrkräften, weil es die vorhandenen Belastungen reduzieren kann und das Engagement fördert. Es ist also wichtiger Bestandteil professionellen Arbeitens. Und, zum Schluss: Diese so wichtige Unterstützung können Schulen selbst fördern, indem sie ihr überhaupt Aufmerksamkeit widmen und dem Thema auf allen Ebenen Raum geben: in der Schulleitung, im Kollegium und ganz individuell.
Zur Person
- Die promivierte Psychologin Uta Klusmann ist seit 2013 stellvertretende Direktorin der Abteilung Erziehungswissenschaft und Pädagogische Psychologie am Kieler Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN).
- An der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ist sie Professorin für Empirische Bildungsforschung.
- In ihrer wissenschaftlichen Arbeit konzentriert sich Uta Klusmann unter anderem auf die professionelle Kompetenz von Lehrkräften und die Gesundheit im Lehrerberuf.
- Mehr über Uta Klusmann und ihre aktuellen Projekte gibt es auf der Website des IPN.