Hans Anand Pant im Interview : Warum die Martinschule die Schule des Jahres ist
Der Deutsche Schulpreis 2018 geht an die Martinschule in Greifswald. Was sie zum Vorbild macht, erklärt Hans Anand Pant, Geschäftsführer der Deutschen Schulakademie, im Interview.
Deutsches Schulportal: Warum geht der Hauptpreis an die Martinschule?
Hans Anand Pant: Inklusion ist anstrengend – diese Auffassung teilen in Deutschland viele Eltern, Lehrkräfte und Bildungspolitiker. Die Martinschule in Greifswald, Mecklenburg-Vorpommern, ist den Weg der „umgekehrten“ Inklusion gegangen, und das sehr erfolgreich. Nach einem Besuch der Martinschule Greifswald fühlt man sich bestätigt: Ja, Inklusion ist anstrengend – und sie gelingt nicht zum Nulltarif! Aber Inklusion lohnt sich. Die Martinschule steht modellhaft für eine inklusivere Gesellschaft.
Wie wirkt sich die „umgekehrte“ Inklusion an der Martinschule auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler aus?
Die Idee des gemeinsamen Lernens von gehandicapten und nichtgehandicapten Kindern wird in der Martinschule konsequent ausgereizt. Ungefähr die Hälfte der Kinder hat hier einen sonderpädagogischen Förderbedarf diagnostiziert bekommen. Jedes Kind erlebt hier sowohl binnendifferenziertes Lernen in stabilen Stammgruppen als auch äußere Differenzierung, die die Förderung individueller Begabungen und Neigungen in flexiblen Lerngruppen ermöglicht. Die Leistungen der „normalen“ Schülerinnen und Schüler an der Martinschule leiden darunter nicht. Im Gegenteil: Sie schneiden regelmäßig in landesweiten Lernstandserhebungen und zentralen Abschlussprüfungen über dem Landesdurchschnitt ab. Und das, obwohl – oder gerade, weil – auf Ziffernnoten bis zur neunten Klasse verzichtet wird.
In guten Schulen sind Lehrkräfte Teamplayer und keine Einzelkämpfer
Was können andere Schulen, die auf dem Weg zur Inklusion sind, von der Martinschule lernen?
Die Martinschule zeichnet sich durch eine starke Eltern- und Schülerpartizipation, besondere förder-diagnostische Kompetenz des Lehrpersonals sowie ausgeprägte Kooperation in multiprofessionellen Teamstrukturen aus. Gehandicapte Jugendliche können systematisch Selbstwirksamkeitserfahrungen machen. Hinter den professionell reflektierten Alltagsroutinen lebt in der Martinschule aber vor allem eines: der unbedingte Wille, das „Anderssein“ der Kinder und Jugendlichen radikal zu akzeptieren und wertzuschätzen. Das ist vorbildlich!
Wie sieht gute Schule 2018 aus?
Gute Schulen zeichnen sich heute durch eine ausgeprägte Feedbackkultur auf allen Ebenen aus. Ihre Lehrkräfte verstehen sich eher als Teamplayer und weniger als Einzelkämpfer. Gute Schulen suchen außerdem nach Netzwerken im sozialen Umfeld. Vor allem aber haben sie eine Leistungskultur mit einem weit gefächerten, positiven Leistungsbegriff entwickelt.
Veränderungsbereite Schulen profitieren vom Erfahrungsschatz der Preisträgerschulen
Die Robert Bosch Stiftung hat insgesamt sechs Schulen ausgezeichnet. Wie geht es jetzt weiter?
Nach über zehn Jahren ist aus dem Deutschen Schulpreis jetzt erheblich mehr geworden als der Wettbewerb selbst: Es ist ein bundesweites Netzwerk guter Schulen entstanden, das heute das Herzstück der Deutschen Schulakademie bildet. Die Akademie arbeitet mit den erfolgreichen Konzepten der Preisträger weiter. Auch die neuen Preisträger werden Teil dieses Netzwerks sein. Die exzellente Praxis der Preisträgerschulen ist ein Erfahrungsschatz, den die Akademie unter Einbezug von aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen so weiterentwickelt, dass veränderungsbereite Schulen davon lernen und profitieren können. Dazu bieten wir Fortbildungen, Veranstaltungen und Hospitationen an den Preisträgerschulen an. Die Preisträgerschulen treffen sich einmal jährlich zur Konferenz der Preisträger. Sie wählen vier Sprecherinnen und Sprecher und entsenden Vertreterinnen und Vertreter aus ihrem Kreise in das Programmteam, das für die inhaltliche Ausrichtung der Deutschen Schulakademie zuständig ist. Darüber hinaus sind sie von der Entwicklung bis zur Durchführung in die Programme der Deutschen Schulakademie eingebunden. Im Forschungsprogramm „Wie geht gute Schule? – Forschen für die Praxis“ untersuchen wir die exzellente Schulpraxis der Preisträgerschulen, um die „Transfer“-Lücke zwischen Bildungsforschung und Schulpraxis zu schließen.
Zur Person
- Hans Anand Pant hat an der Philipps-Universität Marburg Psychologie und Soziologie studiert und an der Freien Universität (FU) Berlin in Psychologie promoviert.
- Nach Forschungsaufenthalten an der University of Michigan in Ann Arbor und der Stanford University war er drei Jahre wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Schulqualität der Länder Berlin und Brandenburg an der FU Berlin.
- Seit 2010 ist er Professor für Erziehungswissenschaftliche Methodenlehre an der Humboldt-Universität zu Berlin.
- Gemeinsam mit Petra Stanat leitete Hans Anand Pant bis Mitte 2015 das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen.
- Seit 2011 ist er Mitglied in der Jury des Deutschen Schulpreises.
- Seit 1. Juni 2015 verantwortet er als Geschäftsführer das Programm der Deutschen Schulakademie.
Die Martinschule in Greifswald hat Abläufe und Prozesse entwickelt, die ihrer heterogenen Schülerschaft dabei helfen sollen, das Lernen in die eigene Hand zu nehmen, sich selbst Ziele zu setzen und erfolgreich zu erreichen.
Hier geht es zum Konzept
Lernen individualisieren