Umstrittenes Projekt : An einer Berliner Schule lernen nur Geflüchtete

40 Jugendliche lernen an der ehemaligen Teske-Schule in Schöneberg die deutsche Sprache. Fast alle von ihnen sind zuvor in Willkommensklassen einer Regelschule gescheitert. Über das Projekt wird heftig gestritten. Die Linke und die CDU lehnen reine Klassen für Geflüchtete ab.

Außenansicht der ehemaligen Teske-Schule in Berlin.
In der ehemaligen Teske-Schule in Berlin lernen derzeit 40 Geflüchtete die deutsche Sprache.
©Wikimedia Commons/Jörg Zägel

Dương hat in acht Monaten Deutsch gelernt

Glücklich hält Dương, 16, sein Zeugnis hoch. Er hat die neunte Klasse des Bildungs­zentrums Tempel­hofer Weg im Berliner Bezirk Tempel­hof-Schöne­berg mit guten Noten abgeschlossen. Nach den Sommer­ferien wird er an einem Berliner Gymnasium weiter­lernen. Für ihn ist das ein großer Erfolg, konnte er doch nicht ein Wort Deutsch, als er vor acht Monaten aus Vietnam nach Deutsch­land kam. „Ich habe inzwischen viel gelernt“, sagt Dương. Seine Klasse sei klein gewesen, die Lehrer­innen und Lehrer hätten Zeit gehabt, sich um jede Einzelne und jeden Einzelnen zu kümmern. Außer­dem hätten alle Mit­schüler­innen und Mit­schüler zunächst kaum Deutsch gekonnt. „Keiner hat gelacht, wenn jemand Fehler beim Sprechen gemacht hat. Wir haben zusammen­gehalten und uns gegen­seitig respektiert.“

Die Schule wird als „Apartheids­schule“ kritisiert

Schulleiterin Marlene Müller-Rytlewski kann noch mehr Erfolgs­geschichten wie die von Dương erzählen. Viele ihrer Schüler­innen und Schüler werden im neuen Schul­jahr die neunte Klasse einer Regel­schule besuchen, sagt sie. Trotz­dem bekommt ihre Schule seit der Eröffnung im Oktober vergangenen Jahres viel Gegenwind. Von „Apartheids­schule“ ist die Rede, weil aus­schließlich Lernende mit geringen Deutsch­kenntnissen – fast nur Geflüchtete – die Schule besuchen. Im vergangenen Schul­jahr waren es 40 Schüler­innen und Schüler im Alter zwischen 15 und 17 Jahren. Sie kommen aus Syrien, Afghanistan, Iran, aus Serbien und dem Irak, aus Vietnam. Fast alle haben zuvor Willkommens­klassen an unter­schiedlichen Ober­schulen besucht, den Sprung in eine Regel­klasse wegen mangelnder Sprach­kenntnisse aber nicht geschafft. Viele ihrer Schüler­innen und Schüler, sagt Schul­leiterin Müller-Rytlewski, seien an zwei, gar drei anderen Schulen gescheitert, hätten kaum Deutsch gelernt, weil die Lehrkräfte zu wenig Zeit hatten oder sie von Mit­schüler­innen und Mit­schülern gemobbt worden seien.

Stammschule des Projekts ist die Hugo-Gaudig-Schule

Im Bildungszentrum am Tempelhofer Weg werden die Jugendlichen auf den Übergang an eine Sekundar­schule, ein Gymnasium oder auf eine vor­berufliche Aus­bildung vorbereitet. Ziel ist, sie sprachlich so fit zu machen, dass sie dem Unter­richt an der Regel­schule folgen können. „Die Jugend­lichen wissen, dass das ihre letzte Chance ist, und sind motiviert“, sagt Müller-Rytlewski. Für den Unterricht in den Wahl­pflicht­fächern Musik und Kunst gehen die Jugendlichen in die nahe gelegene Integrierte Sekundar­schule Hugo-Gaudig-Schule.

Das Konzept ist erfolgreich. Das zeigt auch das Beispiel von Fereshte aus Afghanistan. Die inzwischen 18-Jährige wird nach den Sommer­ferien das Ober­stufen­zentrum Gesund­heit in Berlin-Wedding besuchen – sie möchte Kranken­schwester werden. Fereshte ist seit drei Jahren in Deutsch­land. Zwei Jahre lang hat sie die Willkommens­klasse eines Gymnasiums besucht. „Richtig viel gelernt habe ich aber erst an der Schule von Frau Müller-Rytlewski“, sagt sie.

Schülerin Fereshte aus Afghanistan und Marlene Müller-Rytlewski
Schülerin Fereshte aus Afghanistan möchte Krankenschwester werden. Nach zwei Jahren in einer Willkommensklasse habe sie erst an der Schule von Leiterin Marlene Müller-Rytlewski viel gelernt.
©privat

Bildungs­politiker fordern dezentrale Lösungen

Die öffentliche Kritik am Tempelhofer Bildungs­zentrum reißt dennoch nicht ab. Der Verein „Schöneberg hilft“, der sich um geflüchtete Kinder und Jugendliche sowie deren Familien kümmert, hält es für pädagogisch falsch, jugendliche Geflüchtete in speziellen Klassen zu gruppieren. Mit Integration habe das nichts zu tun, heißt es. Das Konzept sei ein Rück­schritt gegenüber den bildungs­politischen Reform­bemühungen, die Berlin in den vergangenen Jahren im Bereich der Inklusion erfolgreich bewältigt habe. Der Verein fordert Bildungs­senatorin Sandra Scheeres (SPD) auf, nach dezentralen Lösungen für die schulische Integration der Jugendlichen zu suchen.

Auch Regina Kittler, bildungs­politische Sprecherin der Fraktion Die Linke, lehnt reine Flüchtlings­klassen ab. „Das ist kein Modell der Zukunft – bei allem Respekt vor der Arbeit der Lehr­kräfte an dieser Schule“, sagt sie. Sinn­voll wäre es indes, das Team um Schul­leiterin Müller-Rytlewski an einem Ober­stufen­zentrum anzusiedeln und die Jugendlichen dort zu fördern.

Schule als Schutz­raum für die Jugendlichen

Schulleiterin Marlene Müller-Rytlewski ist anderer Meinung. Integration könne nur gelingen, wenn bestimmte Voraus­setzungen gegeben sind. An denen arbeite man an ihrer Schule, sagt sie. „Wir sind ein Schutz­raum für die Jugendlichen.“ In Ruhe könnten sie Deutsch lernen und den Anschluss an eine Regel­schule oder die Voraus­setzungen für eine Ausbildung erreichen. Niemand werde gemobbt, weil er noch nicht gut Deutsch spreche oder Schwierig­keiten habe, sich in den Schul­betrieb einzufinden. „Bei uns lernen Jugendliche aus verschiedenen Ländern mit ganz unter­schiedlichen Werte­vorstellungen. Sie müssen miteinander klarkommen – auch das ist Integration.“

In kommenden Schul­jahr kann die Schule ihre Arbeit fortsetzen

Müller-Rytlewski wünscht sich mehr Unter­stützung vom Senat, der die Schule eröffnet hat. Denn sie ärgere sich darüber, dass verschiedene Bildungs­träger Front gegen ihre Schule machen. „Die bringen die Flüchtlinge in Werk­stätten unter und bekommen viel Geld für diese Form der Integration. Eine gute schulische Ausbildung erhalten die Jugendlichen dort aber nicht.“

Dương ist froh, dass er die Chance hatte, am Bildungs­zentrum Tempel­hofer Weg Deutsch zu lernen. Er will später Programmierer werden, dazu braucht er das Abitur. ist Auch die Berliner Bildungs­verwaltung ist von der Arbeit des Teams um Schul­leiterin Marlene Müller-Rytlewski überzeugt. Bildungs­senatorin Sandra Scheeres hat vor den Sommer­ferien entschieden, dass die Schule ihre Arbeit im neuen Schul­jahr fortsetzen kann.

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