Schulentwicklung : Welche Vorstellungen haben Schüler von guter Schule?

Wie definieren Kinder und Jugendliche eine gute Schule? Was ist aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern guter Unterricht? Wo sehen sie die Stärken ihrer Schule? Welche Anregungen haben sie, um Schulen weiterzuentwickeln? Um diese Fragen geht es in der Publikation „So gelingt gute Schule“, die die Erfahrungen und die Expertise junger Menschen in den Mittelpunkt rückt. Die Broschüre ist das Ergebnis eines Schülerkongresses und einer Umfrage der Robert Bosch Stiftung in Kooperation mit der Universität Heidelberg. Beide Formate hat die Bildungsforscherin Monika Buhl begleitet. Im Interview mit dem Schulportal erklärt sie, was sie in der Auseinandersetzung mit den Schülerinnen und Schülern besonders beeindruckt hat und warum Schulen davon profitieren, die Ideen und Impulse junger Menschen bei Entscheidungsprozessen in der Schule stärker einzubinden.

Kinder und Jugendliche stehen in der Schule eigentlich im Mittelpunkt. Sie werden aber nur selten oder gar nicht einbezogen, wenn es darum geht, Schule zu gestalten und Schulentwicklung voranzubringen. Dabei haben Schülerinnen und Schüler viel zu sagen und einen kritischen Blick auf das Thema Schule. Und sie haben Ideen, was sich in der Schule verändern ließe.

Um mehr über ihre Ideen und Impulse für die Schulentwicklung zu erfahren, fand im März 2018 im Rahmen des Entwicklungsprogramms des Deutschen Schulpreises ein Schülerkongress statt. In Workshops mit Bildungsexperten und Diskussionen haben sich die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen intensiv mit den sechs Qualitätsbereichen des Deutschen Schulpreises auseinandergesetzt: „Leistung“, „Umgang mit Vielfalt“, „Unterrichtsqualität“, „Verantwortung“, „Schulklima, Schulleben und außerschulische Partner“ sowie „Schule als lernende Institution“.

Außerdem hat die Robert Bosch Stiftung in Kooperation mit der Universität Heidelberg im Herbst 2019 eine Umfrage an Schulen im Entwicklungsprogramm und an Preisträgerschulen des Deutschen Schulpreises durchgeführt. Rund 60 Kinder und Jugendliche im Alter von etwa 10 bis 20 Jahren von zwölf Schulen haben teilgenommen. Vertreten waren dabei alle Schulformen – von der Grundschule bis zur berufsbildenden Schule.

Die Ergebnisse des Schülerkongresses und der Umfrage sind in der Broschüre „So gelingt gute Schule. Ideen und Impulse von Schülerinnen und Schülern“ zusammengefasst, die rechts zum Download bereitsteht. Flankiert werden die Ergebnisse von Beiträgen der Schülerinnen und Schüler und von Informationen aus aktuellen Studien zu dem Thema.

Hier können Sie die Broschüre lesen

Zum Download

Schulportal: Was ist Ihnen in den Workshops und Diskussionen besonders aufgefallen?
Monika Buhl:
Bemerkenswert ist, wie gut Kinder und Jugendliche Schule beschreiben können und Prozesse wahrnehmen, von denen man vielleicht gedacht hätte, dass sie dort gar nicht hinschauen. Sie wissen sehr genau, was die Schulleitung entscheidet und wie das Kollegium zusammenarbeitet. Oft denken wir, die Kinder sehen nur ihre Klasse und den Unterricht, den sie erleben. Aber ihr Blick geht viel tiefer. Zudem wird in unseren Analysen deutlich, dass Schülerinnen und Schüler sehr sensibel darauf reagieren, wie sie in der Schule behandelt werden. Sie sehen, wie ernst Lehrkräfte sie nehmen und ob es Bevormundung und Ungerechtigkeit gibt. Außerdem hinterfragen sie, was und wie sie in der Schule lernen und was ihnen das für die Zukunft und ihre individuellen Ziele bringt.

Werden die Vorstellungen, Wünsche, Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler in der Schule ausreichend berücksichtigt?
Da gibt es auf jeden Fall noch Bedarf. Die Bandbreite der Partizipationsmöglichkeiten von Schülerinnen und Schülern ist groß, wird aber selten voll ausgeschöpft. In den Bundesländern ist gesetzlich geregelt, dass es eine Schülervertretung gibt, und auch, dass Schülerinnen und Schüler in den Schulkonferenzen mit dabei sind. Aber das ist natürlich nur ein Teil – einige Schulen sind da viel weiter. Da geht es dann nicht nur darum, mitzuentscheiden, wo die Klassenfahrt hingeht oder welches Thema der nächste Projekttag haben soll, sondern zum Beispiel auch um die die Weiterentwicklung des Unterrichts oder das Leitbild der Schule.

Wie kann so eine weitreichende Beteiligung konkret aussehen?
Es gibt an manchen Schulen zum Beispiel einen Arbeitskreis mit Schulleitungen und Schülervertretungen, die ein 360-Grad-Feedback für den Unterricht und die Lehrkräfte machen. Da werden Schülerinnen und Schüler regelmäßig befragt, und die Ergebnisse fließen konkret in die Schulentwicklung ein. Manche Schulen organisieren sich auch wie eine demokratische Gemeinschaft nach dem „Just Community“-Ansatz: Das ist ein auf Erfahrungslernen basierender Ansatz, in dem der Auftrag der Schule auch die Vorbereitung auf eine verantwortliche Teilnahme am Leben der Gesellschaft umfasst. Bei den Schulkonferenzen, die mehrmals im Jahr stattfinden, werden dann alle Kinder in Diskussionen und Entscheidungen einbezogen.

Dieser Ansatz wirkt stark in die Schule hinein und sorgt für Transparenz und Mitbestimmung. Außerdem ist er ein gutes Übungsfeld für Schülerinnen und Schüler, vor einer großen Gruppe zu sprechen, eigene Positionen vorzubringen und auch mal abweichende Argumente auszutauschen. Das hilft ihnen dabei, sich zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu entwickeln.

Was braucht es, damit eine Schülerbeteiligung tatsächlich funktioniert?
Wichtig ist die Haltung von Schulleitung und Kollegium, Kinder als Gegenüber auf Augenhöhe wahrzunehmen und so auch mit ihnen zu interagieren. Statt ihnen die Welt erklären zu wollen, sollten Lehrkräfte die Schülerinnen und Schüler als diejenigen sehen, die später selbst die Welt gestalten und deshalb schon heute andere Ansichten und Interessen haben können. Außerdem ist es wichtig, das hierarchische Gefälle, das es an der Schule ja allein schon dadurch gibt, dass die Lehrkräfte die Noten und Abschlüsse vergeben, von der Mitbestimmung zu lösen. Kinder dürfen keine Angst haben, dass es negative Auswirkungen für ihre Lernsituation und ihre Noten haben kann, wenn sie Ansichten vorbringen, die vielleicht kontrovers zur Schulleitung oder zu den Lehrkräften sind. Wenn Schulen es wirklich schaffen, Kinder in dieser Weise ernst zu nehmen, ist der Weg für eine echte Partizipation geöffnet.

Was hat eine Schule davon, wenn sie Schülerinnen und Schüler stärker bei der Schulentwicklung beteiligt?
Natürlich braucht das viel Mut – auch von der einzelnen Lehrkraft, wenn sie sich vor die Klasse stellt und die Kinder auffordert, ein Feedback zu ihrem Unterricht zu geben. Sie muss dann ja auch aushalten, dass Kinder zum Beispiel sagen: „Das war stinklangweilig heute!“ Aber ich glaube, diese Beteiligung führt insgesamt zu einem anderen Klima an der Schule. Wenn alle Beteiligten in der Lage sind, ihr Tun und ihr Verhalten zu reflektieren, ermöglicht dies, insgesamt die Qualität von Schule und Unterricht zu steigern. Demokratische Mitsprache einzuräumen ist auch ein wichtiger Hebel, mit dem es Lehrerinnen und Lehrern gelingen kann, Kinder in ihrer persönlichen Entwicklung vertrauensvoll zu begleiten und eine positive Beziehung aufzubauen. Und da sollte es hingehen, denn Schule ist ja nicht nur ein Lern-, sondern auch ein Lebensort.

Zur Person

Monika Buhl
  • Monika Buhl ist Professorin für Schulpädagogik am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Heidelberg.
  • Zu ihren Arbeits- und Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem die Evaluation von Projekten zur Schulentwicklung, die Analyse der Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen im schulischen Kontext sowie Demokratiepädagogik.
  • Buhl ist Mitglied der Vorjury des Deutschen Schulpreises, und sie hat die fachliche Leitung des Regionalbüros Stuttgart für den Deutschen Schulpreis und die Deutsche Schulakademie inne.