Pilotprojekt : Schulen stärken Integration von zugewanderten Kindern
An vielen deutschen Schulen gehört es längst zum Alltag, dass Kinder verschiedener Nationalitäten gemeinsam lernen. Schulkonzepte, die diese Vielfalt produktiv machen, gibt es aber noch viel zu wenige. Ein Pilotprojekt, an dem 16 hessische Schulen teilnahmen, soll das ändern und dafür sorgen, dass die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Flucht- und Migrationserfahrung besser gelingt. Zu den Teilnehmern der Fortbildungsreihe „Willkommen, Ankommen, Weiterkommen“ der Deutschen Schulakademie gehörte auch die Offenbacher Eichendorff-Grundschule. Die stellvertretende Schulleiterin, Carolin Stimmler, erklärt, wie das Projekt ihre Schule verändert hat.

An der Eichendorff-Grundschule in Offenbach lernen Kinder aus 38 Nationen. Carolin Stimmler ist stellvertretende Schulleiterin der Schule und Klassenlehrerin der 4e. „97 Prozent unserer Schülerinnen und Schüler haben einen Migrationshintergrund“, sagt sie. Besonders viele Kinder kommen ihren Angaben zufolge aus Bulgarien, der Türkei und Rumänien. Deutsch zu lernen sei für alle das Wichtigste.
Hospitation an Preisträgerschulen des Deutschen Schulpreises
Das hessische Bildungsministerium wählte die Eichendorff-Grundschule zusammen mit 15 weiteren Schulen verschiedener Schulformen für die Teilnahme an dem Pilotprojekt Werkstatt „Willkommen, Ankommen, Weiterkommen“ aus, in dem es darum ging, Schulkonzepte zu entwickeln, um neu zugewanderte Kinder besser zu integrieren.
Die Deutsche Schulakademie hatte die Fortbildungsreihe in Kooperation mit der Hessischen Lehrkräfteakademie im Herbst 2017 gestartet. Das Pilotprojekt war ein Baustein der umfangreichen hessischen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen im Bereich der Integration. Je drei Teilnehmerinnen und Teilnehmer pro Schule durften an der Werkstatt teilnehmen und konnten in diesem Rahmen auch vier Schulen kennenlernen, die erfolgreiche Konzepte für den Umgang mit Vielfalt entwickelt haben.
„Wir haben uns gefreut, dabei sein zu können“, sagt Stimmler. Zuerst hätten sie allerdings das Kollegium um seine Zustimmung gebeten. Schließlich seien die Schulleiterin, ein Kollege und sie im Verlauf des Projekts immer wieder für einige Tage unterwegs gewesen – die anderen hätten das auffangen müssen. „Wir haben Schulen in ganz Deutschland besucht und viele gute Beispiele aus der Praxis kennengelernt“, sagt Stimmler.
Anke Wagner von der Deutschen Schulakademie hat die Werkstatt zusammen mit Stefan Brömel und Raika Wiethe entwickelt. „Ziel unseres Projektes war es – ausgehend von der Integration neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler – die Schule als Ganzes weiter zu entwickeln“, sagt sie. Schwerpunkt des Projekts seien die Schulbesuche an Preisträgerschulen des Deutschen Schulpreises gewesen. Vier der sechs Module hätten sich damit befasst (siehe Infokasten). „Für die Teilnehmer war es wie eine Lernreise durch Deutschland.“ Jede der besuchten Schulen habe langjährige Erfahrungen mit zugewanderten Schülerinnen und Schülern und für ihre gute Arbeit den Deutschen Schulpreis bekommen.
Viele Kinder kommen aus sozial schwachen Familien
Die Eichendorff-Grundschule liegt in der Innenstadt von Offenbach. Grün gibt es hier kaum, dafür viele Cafés, Läden und Einkaufspassagen. Der Migrationshintergrund ihrer Schülerinnen und Schüler sei nicht das Problem, sagt Stimmler, sondern die soziale Lage der Familien. Etliche der Kinder wohnen noch immer in einer Notunterkunft, weil ihre Eltern keine Wohnung finden. Andere leben mit ihrer Familie in einem Zimmer. Viele Eltern sind arbeitslos, sprechen nur unzureichend oder gar kein Deutsch und können ihre Kinder auch deshalb nicht so gut unterstützen, wie es nötig wäre. „Fast alle Kinder kommen aber gern zu uns in die Schule – hier erleben sie Struktur, werden gefördert und anerkannt“, sagt Carolin Stimmler.
Zum Auftakt des Pilotprojekts „Werkstatt ,Willkommen, Ankommen, Weiterkommen‘“ sollten die teilnehmenden Schulen drängende Probleme thematisieren. „Für uns stand schnell fest, dass wir unsere Deutsch-Intensivkurse weiterentwickeln wollen“, sagt Stimmler. „Wir wollten differenziertere Kurse anbieten, um jede Schülerin und jeden Schüler noch gezielter fördern zu können.“
Die Personalausstattung ist für die Integration entscheidend
An der Eichendorffschule wird jedes neue Kind sofort in eine Regelklasse aufgenommen, unabhängig davon, wie gut es Deutsch sprechen kann. Das habe sich bewährt, die Kinder würden sich von Anfang an dazugehörig fühlen, sagt Stimmler. Fünf bis sechs Stunden pro Woche nehmen sie allerdings an parallel laufenden Deutsch-Intensivkursen teil, wobei die Kurse nicht unbedingt nach Alter, sondern vor allem nach dem Sprachniveau der Schülerinnen und Schüler zusammengesetzt sind. „Die Hospitationen an den anderen Schulen haben uns gezeigt, dass der Erfolg dieser Kurse stark von deren Personalausstattung abhängt. Uns wurde klar, dass wir mehr als nur eine Kursleiterin brauchen“, sagt Stimmler.
Inzwischen sind zwei zusätzliche Kolleginnen eingestellt worden. Ausreichend Personal zu finden ist jedoch ein großes Problem für die Eichendorffschule. Gegenwärtig sind vier Lehrerstellen unbesetzt. Der bundesweite Lehrermangel führe dazu, dass Schulen wie ihre oft leer ausgehen, sagt Stimmler. „Wir sind eine Brennpunktschule – die Arbeit hier stellt Lehrkräfte vor große Herausforderungen. Unsere Kolleginnen und Kollegen unterrichten nicht nur, sie übernehmen auch Aufgaben, denen die Eltern nicht gewachsen sind. Sie gehen mit den Kindern zum Arzt oder begleiten sie zu Vereinen, damit sie sich dort anmelden können.“
Die Teilnahme an dem Pilotprojekt hat der Eichendorff-Grundschule sehr geholfen. „Wir haben uns viel abgucken können von den Schulen, in denen es gut läuft“, sagt Carolin Stimmler. Aber auch der Austausch mit den Teilnehmerschulen sei hilfreich gewesen. Zu einigen haben sie noch immer Kontakt. „Wir besuchen uns gegenseitig, helfen einander auch.“ Kolleginnen und Kollegen einer Berufsschule hätten sie zum Beispiel bei der Erstellung der Homepage unterstützt.
Die Eltern sollen stärker einbezogen werden
Ein anderes großes Thema an der Eichendorff-Grundschule ist die Elternarbeit. Es sei nicht leicht, die Eltern mit ins Boot zu holen, sagt Stimmler. „In ihren Heimatländern wie Bulgarien oder der Türkei haben Eltern mit der Schule nichts zu tun. Sie kennen es nicht, dass sie zu Gesprächen mit den Lehrerinnen und Lehrern eingeladen, zur Mitarbeit aufgefordert werden.“ Nicht wenige seien zudem Analphabeten. „Wir haben vor einigen Jahren ein Elterncafé an der Schule eingerichtet, außerdem gibt es Chorauftritte, an denen alle Kinder teilnehmen und zu denen dann auch die Eltern eingeladen werden“, sagt Stimmler.
Während des Pilotprojekts hätten sie gesehen, dass noch mehr möglich ist. So wurde die Werbung für das Elterncafé intensiviert, um mehr Eltern zu erreichen. Demnächst sollen sämtliche Informationsmaterialien für Eltern in mehreren Sprachen zusammengestellt werden. Außerdem will man die Eltern stärker an den Schulfesten und anderen schulischen Veranstaltungen beteiligen.
„Wir sind auf einem guten Weg“, sagt Carolin Stimmler. Die Teilnahme an der Werkstatt, die im Januar 2019 abgeschlossen wurde, habe ihnen schließlich auch gezeigt, dass sie schon vieles richtig machen. „Das hat uns gutgetan und uns sehr motiviert.“
Hessen will Erfahrungen zur Integration aus der Werkstatt landesweit nutzen
Das Kultusministerium in Hessen will nun das Pilotprojekt auswerten und Erfahrungen daraus für das landesweite Fortbildungsprogramm nutzen: „Das Projekt war spannend, und wir sind gerade dabei, zu überlegen, wie wir das flächendeckend nutzbar machen können“, sagte Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) dem Schulportal. Die Erfahrungen aus dem Projekt sollen gezielt in das landesweites Qualifizierungsprogramm eingebunden werden.
Neue Ausschreibung
Nach der ersten erfolgreichen Durchführung, bietet die Hessische Lehrkräfteakademie erneut in Kooperation mit der Deutschen Schulakademie die Werkstatt für Schulen in Hessen an. Insgesamt 15 Schulen nehmen an der Fortbildungsreihe teil.
Bewerben können sich Schulteams noch bis zum 30. September 2019.
Alle Infos zum Bewerbungsverfahren finden Sie online.