Schulen in kritischer Lage : Gemeinsam mehr erreichen durch Netzwerkarbeit
Schulen brauchen Unterstützung, wenn es ihnen nicht gelingt, allen Schülerinnen und Schülern gutes Lernen zu ermöglichen. Doch wie können Schulverwaltungen, Schulaufsichten und Schulleitungen zur Qualität der Bildungsangebote vor Ort beitragen? In einem Entwicklungsnetzwerk arbeiten sieben Bundesländer zusammen, um wirksame Maßnahmen für Schulen in kritischer Lage zu entwickeln. Das Schulportal hat mit den Mitgliedern über die Besonderheiten des Netzwerkes gesprochen und darüber, wie Projekte in den einzelnen Ländern davon profitieren.

Bessere Bildungschancen für sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler: Das ist das Ziel der neuen Bund-Länder-Initiative „Schule macht stark“. Einen ganz ähnlichen Ansatz verfolgt das „Entwicklungsnetzwerk zur Unterstützung für Schule in kritischer Lage“ bereits seit fünf Jahren. Das 2015 von der Robert Bosch Stiftung initiierte Projekt bringt Vertreterinnen und Vertreter aus sieben Bundesländern und aus verschiedenen Institutionen wie Schulverwaltung, Schulaufsicht, Landesinstituten, Modellprojekten und Schulen an einen Tisch. Die Mitglieder tauschen ihre Erfahrungen aus und erproben gemeinsam Lösungsansätze, um Schulen zu helfen, die vor besonders großen sozialen Herausforderungen stehen und sie allein nicht bewältigen können.
Länder stehen vor ähnlichen Herausforderungen
„Am Ende geht es uns allen darum, die Bildungschancen von Kindern aus sozial weniger privilegierten Elternhäusern zu erhöhen“, sagt Netzwerkmitglied Daniel Dettloff, der beim saarländischen Ministerium für Bildung und Kultur zuständig ist für das Projekt „Schulen stark machen!“. Das Vorhaben richtet sich an besonders belastete Schulen im Saarland und soll ihnen helfen, unter anderem die fachlichen und sozialen Kompetenzen ihrer Schülerinnen und Schüler zu stärken. Im Entwicklungsnetzwerk hat Daniel Dettloff gelernt, „dass wir bei aller Unterschiedlichkeit in den Bundesländern mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind.“ Beispielsweise sei die Rolle der Schulaufsicht in Projekten mit Schulen in kritischer Lage in allen Bundesländern eine ganz wesentliche. „Manchmal ist es außerdem beruhigend zu sehen, dass auch andere Fehler machen und wir gemeinsam daraus lernen können“, ergänzt Daniel Dettloff.
Übersicht über beteiligte Länder und Projekte
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Gemeinsames Verständnis entwickeln
Einen ähnlichen Standpunkt vertritt Marion Malz vom Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport. Sie betreut ein vom Europäischen Sozialfonds finanziertes Netzwerk für Schulen mit Unterstützungsbedarf in Südthüringen. Sie schätzt am Entwicklungsnetzwerk, dass „alle an vergleichbaren Fragestellungen arbeiten“. Welche Maßnahmen sind wirksam? Welche weniger? „Der intensive Austausch über Fragen wie diese hat dazu beigetragen, dass wir in unseren eigenen Projekten unnötige Schleifen und Stolpersteine vermeiden“, berichtet Marion Malz. Besonders hilfreich sei außerdem gerade zu Beginn gewesen, im Team die Begrifflichkeiten zu klären. „Was ist eigentlich eine Schule in kritischer Lage? Die Diskussion um die Definition war enorm wichtig, um klarer zu werden und blinde Flecken aufzuzeigen“, sagt sie.
„Allerdings liefern die Netzwerktreffen nicht zwangsläufig fertige Antworten auf gestellte Fragen, sondern werfen vielmehr umgekehrt neue Fragen auf“, ergänzt Daniel Dettloff. Dies sei der Anlass gewesen, um über bestimmte Themen noch einmal vertieft und aus einer anderen Perspektive nachzudenken. „Das Netzwerk hat uns beispielsweise den Impuls gegeben, uns mit der Bedeutung von Daten in Schulentwicklungsprozessen ebenso wie in Steuerungsbemühungen der Bildungsadministration auseinanderzusetzen. Auch die Frage danach, was denn ‚guten‘ Unterricht an herausfordernden Standorten auszeichnet, hat uns intensiver beschäftigt“, berichtet Daniel Dettloff.
Projekte der Bundesländer profitieren von der Netzwerkarbeit
Für Veronika Manitius vom nordrhein-westfälischen Landesinstitut für Schule ist genau das der zentrale Mehrwert des Entwicklungsnetzwerkes: „Wir tauschen uns nicht nur aus. Im Gegenteil: Wir kommen zusammen, um an konkreten inhaltlichen Fragestellungen zu arbeiten.“ Sie ist überzeugt davon, dass sich das Netzwerk positiv auf die spezifischen Projekte in den einzelnen Bundesländern auswirkt. „Das geht sogar so weit, dass laufende Projekte noch mal angepasst werden. Man merkt zum Beispiel, dass die Unterstützung für die Schulleitungen noch nicht ausreicht. Schließlich sind sie ein maßgeblicher Schlüsselfaktor für gute Schulentwicklungsarbeit. Dann kann man schauen, wie die anderen Länder damit umgehen und passende Maßnahmen vor dem Hintergrund der eigenen Strukturen adaptieren“, erklärt Veronika Manitius, die von Beginn an zu den Mitgliedern des Netzwerkes zählt und zunächst vor allem am Projekt „Potenziale entwickeln – Schulen stärken“ in Nordrhein-Westfalen mitwirkte. Inzwischen ist dort mit dem Schulversuch „Talentschulen“ eine neue Initiative an den Start gegangen. „Das Entwicklungsnetzwerk treibt die Professionalisierung der Mitglieder weiter voran. Auch ich habe meine Expertise stärken können und das bei der Konzeption von Nachfolgeprojekten wie zum Beispiel den Talentschulen mit einfließen lassen können“, sagt Veronika Manitius.
Inspirationen aus London
Besonders inspirierend sei für sie die Lernreise nach London gewesen. Dort haben die Netzwerkmitglieder die erfolgreiche „London Challenge“ kennengelernt. Mit weitreichenden Maßnahmen schaffte es die britische Hauptstadt, einstige „Brennpunktschulen“ zum Erfolg zu führen. „Die internationalen Impulse haben auch meine Arbeit enorm bereichert“, sagt Julia Vaccaro, die das Förderprogramm „23+ Starke Schulen“ der Behörde für Schule und Berufsbildung in Hamburg betreut. Daneben schätzt sie vor allem die vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb des Entwicklungsnetzwerks: „Manchmal entsteht daraus ein neuer bilateraler Kontakt – wie zum Beispiel mit den Kolleginnen und Kollegen vom Berliner Bonus-Programm. Was mit einem Austausch zwischen zwei Netzwerkmitgliedern begonnen hat, wird mit einem Treffen in einem größeren Arbeitszusammenhang fortgesetzt“, sagt Julia Vaccaro und ergänzt: „Das ist etwas ganz anderes, als wenn man sich durch ein Organigramm klickt, zum Telefonhörer greift und jemanden anruft, den man noch gar nicht kennt.“
Drei Fragen an Dagmar Wolf, Bereichsleiterin Bildung bei der Robert Bosch Stiftung:
Schulportal: Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere am Entwicklungsnetzwerk?
Dagmar Wolf: Die außergewöhnliche Zusammensetzung der Mitglieder macht das Netzwerk in Deutschland einzigartig. Bundesland- und institutionsübergreifend voneinander lernen und gemeinsam Veränderung bewirken – unter diesem Motto arbeitet das Entwicklungsnetzwerk zur Unterstützung für Schule in kritischer Lage und das bereits seit vielen Jahren.
Was kennzeichnet die Arbeitsweise im Netzwerk?
Alle Mitglieder übernehmen Verantwortung für das gemeinsame Lernen. Sie bringen Herausforderungen und Lösungsansätze ein und erproben erarbeitete Interventionen im eigenen System.
Warum hat die Stiftung dieses Netzwerk initiiert?
Um Chancengleichheit zu gewährleisten, braucht es Schulen, die die Ausgangsbedingungen ihrer Schülerschaft ernst nehmen und diese zu bestmöglichen Lernerfolgen führt. Schulen in kritischer Lage stehen dabei vor besonderen Herausforderungen. Schulverwaltungen und Schulaufsichten unterstützen diese Schulen zielgerichtet. Wir stellten allerdings fest, dass kaum systematisiertes Wissen über wirksame Maßnahmen und Handlungsansätze existierte. Dies war unser Ausgangspunkt für die Gründung des Entwicklungsnetzwerkes.
Auf einen Blick
- Mit der Bund-Länder-Initiative „Schule macht stark“ sollen Schulen in sozial schwierigen Lagen unterstützt werden, um mehr Bildungsgerechtigkeit und bestmögliche Lernchancen für deren Schülerinnen und Schüler zu schaffen.
- Das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie die Länder stellen für dieses Ziel zu gleichen Teilen insgesamt 125 Millionen Euro zur Verfügung.
- Zu den geplanten Arbeitsschwerpunkten gehören die Schul- und Unterrichtsentwicklung, die Vernetzung der Schulen untereinander sowie mit ihrem sozialräumlichen Umfeld.
- Das Bildungsministerium plant, bis Oktober 2020 die Schulen für die Initiative auszuwählen. Voraussichtlicher Start für die Umsetzung der Initiative ist der Schuljahresbeginn 2021/2022.
- Mehr zur Initiative lesen Sie im Beitrag „Bund und Länder wollen „Brennpunktschulen“ stärken“.