Schulalltag in der Pandemie : „Ich habe mehr Angst vor einer Schulschließung als vor einer Ansteckung“
In der Corona-Krise wird Lehrkräften viel abverlangt. Immer wieder ändern sich die Hygieneregeln, gewohnte Routinen können nicht stattfinden, neue Aufgaben sind zu bewältigen. Bei der steigenden Zahl von Corona-Neuinfektionen ist außerdem jeder Tag begleitet von der Ungewissheit, wie es an den Schulen weitergeht. Und auch die Sorge vor einer eigenen Ansteckung wächst. Das Schulportal hat zwei Lehrkräfte von einem Gymnasium in Nordrhein-Westfalen gefragt, mit welchem Gefühl sie jetzt in die Schule gehen und wie sie den Schulalltag erleben. Und der Blogger Bob Blume hat Lehrerinnen und Lehrer gefragt, was sie sich in der momentanen Situation wünschen und daraus unter dem Hashtag „#hört uns zu“ ein Video erstellt.
Im Oktober wollten wir auf dem Schulportal wissen, was Lehrkräfte in der Corona-Pandemie am meisten belastet. In dieser Umfrage gaben 41 Prozent der 1.031 Teilnehmer an, dass sie das zu hohe Arbeitspensum als größte Belastung empfinden. Die „geringe Planbarkeit“ machte 20 Prozent zu schaffen. 14 Prozent nannten die „Angst vor einer Infektion“ als größte Belastung.
Würde man heute noch mal fragen, würde der Anteil bei diesem Punkt möglicherweise höher ausfallen, weil das Infektionsgeschehen seitdem noch mal deutlich zugenommen hat – auch in den Schulen. Inwieweit Schulen allerdings Pandemie-Treiber sind und welche Altersgruppen eher Ansteckungsherde auslösen können – darüber gibt es noch immer keine gesicherten Informationen. Wie leben Lehrkräfte mit dieser Unsicherheit?
Alexandra Lohmeyer und Bernd Berthold arbeiten an einem Gymnasium nahe Münster. Bis vor zwei Wochen gab es hier keinen einzigen Infektionsfall. Inzwischen hat die Corona-Pandemie aber auch ihren Schulalltag erreicht. Jeder Tag bringt nun neue Herausforderungen: welche Lerngruppe wie arbeiten kann, wer in Quarantäne muss, wie die Schülerinnen und Schüler dort Unterricht bekommen können. Die beiden Lehrkräfte erzählen, wie sie mit dieser Situation umgehen und wie sie sich dabei fühlen.
Alexandra Lohmeyer, 42, Lehrerin für Englisch und Religion: „Angst vor einer Ansteckung? Nein, es ist eher ein beunruhigendes Gefühl. Wenn ich höre, dass fünf meiner Schüler in Quarantäne müssen, ist das natürlich ein Schreckmoment, aber ich versuche dann, ganz realistisch die Situation zu betrachten. Es ist doch eigentlich recht unwahrscheinlich, dass ich mich in der Schule anstecke. Daher hoffe ich auch, dass die Schulen aufbleiben können. Ich habe mehr Angst vor einer Schulschließung als vor einer Ansteckung. Das Arbeiten in der Schule gibt mir auch Sicherheit. Und es tut gut, in dieser Situation unter Menschen zu sein. Das lenkt ab von dem Ganzen, und ich mache mir weniger Gedanken dazu, was passieren könnte, wenn ich erkranke.
Vor allem halte ich es auch für die Schülerinnen und Schüler für wichtig, dass die Schulen offen bleiben. Man weiß doch gar nicht, was bei ihnen zu Hause los ist, ob sie dort auch lernen können, wie sehr die Familie durch die Corona-Krise betroffen ist. Wir haben doch im Frühjahr gemerkt, wie schwierig es für viele Schülerinnen und Schüler ist, den Anschluss zu halten. Die Schule ist für sie ein stabiler Ort und kann ihnen Halt geben.
Ständig müssen neue Probleme im Schulalltag gelöst werden
Wenn die Schulen jetzt wieder schließen, führt das zu weiteren Defiziten, die man dann vielleicht nicht mehr aufholen kann. Diese Vorstellung ist für mich schon eine große Belastung. Überhaupt ist mir in den vergangenen Monaten die große Verantwortung bewusst geworden, die Schule hat. Darum ist es für mich in Ordnung, wenn wir Lehrkräfte jetzt auch mal mehr arbeiten müssen. Und das Arbeitspensum hat natürlich deutlich zugenommen, weil ständig wieder neue Probleme gelöst werden müssen. Aber ich weiß auch, dass es mir viel besser geht als Menschen in anderen Berufen. Mein Job ist sicher, ich muss nicht jeden Tag Angst haben, dass mein Chef mir sagt: „Ich brauche Sie jetzt nicht mehr.“
Ich fühle mich auch durch die Hygienemaßnahmen ganz gut geschützt. Masken, Desinfektion, Lüften, Sitzordnung, das fühlt sich alles schon normal an, auch wenn die Einhaltung der Regeln im Schulalltag schon ein ziemlich großer Aufwand ist. Ein bisschen nervt es, weil man immer wieder jemanden ermahnen muss, weil die Maske nicht richtig sitzt oder er zu leise durch die Maske spricht. Das war für mich anfangs allerdings auch ein Problem. Ich hatte richtig Sorge, dass ich meine Stimmbänder zu sehr belasten würde. Ich mache daher nun morgens immer logopädische Übungen.
Unterricht mit Maske? Ich hätte nicht gedacht, dass das geht. Wie soll ich als Englischlehrerin den Kindern die richtige Aussprache beibringen, das „th“ zum Beispiel? Aber ich bin selbst manchmal erstaunt, wie man doch auch in dieser Zeit für alles irgendeine Lösung finden kann. Und wenn ich mal nicht weiterkomme, dann frage ich meine Kollegen. Der Zusammenhalt ist bei uns in der Corona-Krise viel stärker geworden.“
Die Krankheit rückt näher heran
Bernd Berthold, 44, Lehrer für Erdkunde, Englisch und Sport : „Es ist nicht so, dass ich jeden Tag mit Angst und Herzklopfen morgens in die Schule gehe und mittags drei Kreuze mache, wenn ich wieder draußen bin. Aber eine erhöhte Wachsamkeit habe ich schon. Die Krankheit ist näher an einen herangerückt. Jederzeit rechne ich mit der Nachricht, dass jemand aus dem Kollegium oder von den Schülerinnen und Schülern positiv getestet wurde. Das wäre dann kein Schock – aber beunruhigend ist es schon. Und schön ist es auch nicht, in diesen Zeiten in der Schule zu arbeiten. Vor allem mache ich mir Sorgen darum, was diese Situation alles nach sich ziehen wird. Wie lange hält das System Schule das aus? Wie lange können wir das alles noch schultern?
Meist habe ich aber gar keine Zeit für diese Gedanken. Es gibt einfach viel mehr zu tun, meine Arbeitstage sind viel länger geworden. Die Unterrichtsgestaltung ist zum Beispiel viel aufwendiger, wenn ein Teil der Klasse in Quarantäne ist, der andere in der Klasse. Wenn es nicht klappt, die Schülerinnen und Schüler von zu Hause über eine Webcam zuzuschalten – und das ist öfter der Fall –, dann muss ich alle Aufgaben, die ich im Unterricht stelle, noch mal verschriftlichen und ihnen schicken. Sie drucken dann die Blätter aus, lösen die Aufgaben und schicken mir Fotos zurück. Die muss dann wiederum ich ausdrucken, mit Feedback versehen, einscannen und wieder zurückschicken.
Seit dem Frühjahr wurde nur wenig geregelt
Das kann langfristig keine Lösung sein. Aber die Technik an den meisten Schulen ist eben noch am Anfang, und es ist seit dem Frühjahr wenig geregelt worden, damit es besser läuft. Darum halte ich in der derzeitigen Situation Fernunterricht auch für sehr schwierig. Und für einen Schichtbetrieb – morgens die eine Schülergruppe, nachmittags die andere – gibt es nicht genügend Personal. Natürlich ist es etwas anderes, wenn Schulen – wie in Solingen – für sich eine Lösung finden. Dort wollten die weiterführenden Schulen die Klassen teilen und auf einen Schichtbetrieb umsteigen. Aber die Schulministerin von Nordrhein-Westfalen stellte sich gegen dieses Modell. Das kann ich gar nicht verstehen.
Am schwierigsten aber finde ich es, mit dieser Ungewissheit zu leben. Ständig gibt es neue Regeln, manchmal bekommen wir erst am Freitag um 22 Uhr eine Schul-Mail, wie es am Montag weitergeht. Für mich sind das alles viel größere Belastungen als die Angst vor der eigenen Ansteckung. Aber ich gehöre ja auch nicht zu einer Risikogruppe. Es gibt natürlich schon Kolleginnen und Kollegen bei uns, die sich da viel größere Sorgen machen. Aber wir reden im Kollegium viel darüber, und dieser Zusammenhalt gibt auch Sicherheit.
Vielleicht sogar mehr als die Hygieneregeln: Lüften, Maske tragen, Abstand halten sind die rudimentärsten Dinge, die die Schule bieten kann. Besonders geschützt fühle ich mich dadurch nicht. Auch wenn ich immer wachsam bin und versuche, jeden näheren Kontakt zu vermeiden: So ganz geht das doch gar nicht. Allerdings fühle ich mich außerhalb der Schule auch nicht geschützter. Wenn ich morgens vor Schulbeginn oder mittags nach Schulschluss an den Bushaltestellen die Trauben von Kindern und Jugendlichen sehe, dann ist das doch noch viel schlimmer.“
Der Lehrer, Blogger und Autor Bob Blume hat Lehrerinnen und Lehrer gefragt, welche Probleme sie im Schulalltag sehen und was sie sich in der momentanen Situation wünschen. Das Video hat er vor einigen Tagen unter dem Hashtag „#hört uns zu“ in seinen Youtube-Kanal gestellt.