Resilienz : Wie können Schulen besser mit Krisen umgehen?

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie schnell Schulen erschüttert werden können und wie wenig sie auf den Umgang mit Krisen vorbereitet sind. Wie werden Schulen resilienter? Welche Faktoren spielen beim Thema Resilienz in der Schule die entscheidende Rolle? Welche Aufgaben haben Schulleitungen dabei? Schulentwicklungsforscherin Esther Dominique Klein beantwortet im Interview mit dem Schulportal die wichtigsten Fragen.

Beim Zukunftscamp „Well-Being und Resilienz in Krisenzeiten“ im Mai 2022 auf dem Campus des Deutschen Schulpreises hat Dominique Klein die Keynote gehalten.

Deutsches Schulportal: Was heißt eigentlich resiliente Schule?
Esther Dominique Klein: Vor allem zwei Faktoren sind für den Begriff der Resilienz entscheidend: Zum einen, dass es eine Situation gibt, die widrig, herausfordernd, vielleicht sogar bedrohlich ist. Zum anderen ist es der Umgang mit dieser Situation. Dabei gibt es verschiedene Sichtweisen: Resilienz wird zum Beispiel als Fähigkeit beschrieben, eine Krise zu bewältigen oder nach einer Erfahrung des Scheiterns wieder in die Ausgangslage zurückzukehren. Oder die stressvolle Situation ist ein Anstoß, um sich weiterzuentwickeln und die eigenen Stärken auszubauen.

Bezieht man das auf die Schulen in der Pandemie, lassen sich verschiedene mögliche Umgangsweisen ableiten: In den ersten Wochen des Distanzlernens haben sich die meisten Schulen tatsächlich auf das Bewältigen der Krise fokussiert. Sie haben ihre Strategien darauf ausgerichtet, die Krise kontrollierbar zu machen, und ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die Dinge gelenkt, die für die Bewältigung der Krise wichtig waren.

Manche Schulen haben aber dann schnell angefangen, neue Strategien zu entwickeln, die es ihnen ermöglichten, weiterhin an den eigenen Zielen zu arbeiten, sich produktiv zu verändern und auch Positives aus der Krise zu ziehen, das auch nach der Krise Bestand hat. Hier geht es darum, nicht in den Ausgangszustand zurückzukehren, sondern stärker aus der Krise hervorzugehen.

Resilienz hat man nicht, sondern entwickelt sich

Die wenigsten Schulen haben sich in der Pandemie als resilient betrachtet. Das haben zum Beispiel auch die Lehrkräftebefragungen für das Deutsche Schulbarometer gezeigt. Woran liegt das?
Resilienz ist nicht etwas, was man hat oder nicht, sondern was sich gerade in herausfordernden Situationen entwickelt. So gesehen, hat die Pandemie die Schulen zwar extrem herausgefordert, aber für viele Schulen war sie auch ein Anlass, sich über die Faktoren, die für ihre Resilienz wichtig sind, Gedanken zu machen.

Das hat auch der Deutsche Schulpreis Spezial 20I21 gezeigt: Die große Zahl an Bewerbungen deutet darauf hin, dass sehr viele Schulen die Pandemie zum Anlass genommen haben, neue Strategien zu entwickeln. Viele Schulen haben gesehen, wie es sie voranbringt, wenn sie gemeinsam ihr Wissen erweitern und ihre Ansätze weiterentwickeln. Das Gefühl, in einer Situation der Widrigkeit gemeinsam erfolgreich zu sein, also die kollektive Selbstwirksamkeit, ist ein ganz wesentlicher Aspekt organisationaler Resilienz – ein Begriff, den die Wirtschaftsforscherin Kathleen M. Sutcliffe geprägt hat.

Es gibt noch zu wenig Strukturen zum Aufbau von Resilienz

Welche Faktoren sind für die Entwicklung von Resilienz einer Schule entscheidend?
Die Organisationsforschung zeigt, dass es vor allem zwei Dinge sind, die man zur Entwicklung von Resilienz braucht:

Zum einen sind es die Ressourcen. Gemeint sind zwar auch materielle, aber insbesondere personale und soziale Ressourcen, die zum Aufbau und zum Erhalt von Wissen benötigt werden. Je mehr solcher Ressourcen eine Schule hat und je diverser diese sind, desto mehr Handlungsspielraum hat sie auch. Und je mehr Handlungsspielraum sie hat, desto schneller ist sie in der Lage, eine Lösung für Herausforderungen zu finden. Dieser Erfolg stärkt die kollektive Selbstwirksamkeit einer Schule. Die Akteur:innen einer Schule erleben also, dass sie gemeinsam schwierige Aufgaben bewältigen können. Und über diese Erfahrung baut die Schule weitere Kompetenzen auf.

Zum anderen braucht eine Schule für die Entwicklung von Resilienz Strukturen und Prozesse, die den Menschen in der Schule den Aufbau von Kompetenzen sowie auch eine Systematisierung der Ressourcen ermöglichen. Dafür muss die Schule analysieren, welche Ressourcen sie bereits hat, welche sie noch zusätzlich braucht und wer was dazu beitragen kann, um dann entsprechende Strukturen aufzubauen.

Aus der Schulentwicklungsforschung wissen wir allerdings, dass diese organisationalen Strukturen an vielen Schulen noch nicht sehr ausgebildet sind. Das kokonstruktive Bearbeiten von Praxisproblemen geschieht an Schulen zum Beispiel noch wenig. Und es gibt auch noch selten eine systematische Fortbildungsplanung.

Viele Schulen haben aber vor allem im Blick, was nicht gut funktioniert und was kompensiert werden muss. Das ist das Gegenteil von dem, was Resilienz eigentlich will.

Schulen arbeiten unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen. Das hat nicht zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt. Haben es Schulen an sozial benachteiligten Standorten schwerer, Resilienz zu entwickeln?
Das lässt sich nicht unbedingt daraus ableiten. Schulen an sozialräumlich schwächeren Standorten arbeiten zwar ohnehin oft unter widrigen Rahmenbedingungen, aber gerade in der Pandemie haben wir gesehen, dass Schulen in schwieriger Lage ganz unterschiedlich mit Herausforderungen umgehen.

Für Schulen an benachteiligten Standorten, die schon im Umgang mit alltäglichen Herausforderungen vor allem auf Krisenbewältigung setzen und in ihrem Handeln stark auf die Herstellung von Ordnung fokussiert sind, war die Wahrscheinlichkeit groß, diese Vorgehensweise auch in der Pandemie fortzusetzen und auf Krisenmodus zu schalten. Das hatte dann teilweise zur Folge, dass gerade an benachteiligten Standorten unterrichtliche Standards herunterreguliert wurden, weil sie an die Schüler:innen in der krisenhaften Situation nicht noch größere Anforderungen stellen wollten, um sie nicht zu überfordern.

Es gibt aber auch ganz viele Schulen an benachteiligten Standorten, an denen es durch die andauernd herausfordernde Situation bereits gut ausgebaute Strukturen gibt und die sehr innovativ arbeiten. In der Pandemie war bei ihnen die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie gestärkt aus der Krise hervorgehen und sich weiterentwickeln.

Natürlich waren auch diese Schulen am Anfang genauso überwältigt von der Tatsache, von einem auf den anderen Tag Distanzlernen umsetzen zu müssen, aber sie sind schneller aus dieser Schockstarre herausgekommen und waren dann in der Lage, die Prozesse und Strukturen, die sie schon hatten, zu nutzen und auszubauen. Genau das ist der Kern der organisationalen Resilienz.

Dass es diese Schulen gibt, sehen wir auch am Deutschen Schulpreis Spezial. Da gab es sehr viele Bewerbungen von Schulen in benachteiligter Lage, die in der Krise innovative Konzepte entwickelt haben.

Vertrauen auf eigene Stärke ist wichtige Komponente für Resilienz

Wenn eine Schule erst am Anfang steht: Wie und wo beginnt der Prozess auf dem Weg zu einer resilienten Schule? Was sind die Schritte?
Ich glaube, dass keine Schule ganz am Anfang steht, was Resilienz betrifft. Jede Schule hat Stärken und Strukturen, die ihnen Halt geben können und die sie nutzen kann, um noch resilienter zu werden. Aber viele Schulen müssen sich wahrscheinlich erst mal über diese eigenen Stärken bewusst werden. Das Wissen über und das Vertrauen auf die eigenen Stärken ist eine entscheidende Komponente bei der Resilienz. Viele Schulen haben aber vor allem im Blick, was nicht gut funktioniert und was kompensiert werden muss. Das ist das Gegenteil von dem, was Resilienz eigentlich will.

Im zweiten Schritt geht es dann darum, die eigenen Stärken weiter auszubauen und sie dafür zu nutzen, auch in anderen Bereichen noch stärker zu werden.

Dazu müssen Schulen Ziele für die eigene Schulentwicklung setzen und sich fragen: Wer sind wir eigentlich, wie wollen wir in Zukunft arbeiten, was wünschen wir uns für unsere Schüler:innen? Mit diesen Zielen vor Augen, wird Schulen eher klar, welche Strukturen sie konkret verändern können und was sie für diesen Prozess brauchen.

Schulen sollten dabei im Sinne von „next level work“ Schritt für Schritt vorgehen, denn es lässt sich nicht alles auf einmal realisieren. Und ganz wichtig ist auf diesem Weg auch, Erfolge sichtbar zu machen.

Im täglichen Agieren von Schulleitungen als Feuerwehr geht das Thema Resilienz leider oft unter und wird als Bonbon on top betrachtet.

Welche Rolle nimmt die Schulleitung dabei ein?
Schulleitungen haben viele Hüte auf und müssen viele Herausforderungen bewältigen. Im täglichen Agieren von Schulleitungen als Feuerwehr geht das Thema Resilienz leider oft unter und wird als Bonbon on top betrachtet. Dabei ist die Entwicklung von organisationaler Resilienz eine wichtige Führungsaufgabe.

Neben der Gestaltung von Strukturen bedeutet das auch, dass Schulleitungen die Menschen in der Schule am besten unterstützen, indem sie sie in die Lage versetzen, ihre eigenen Stärken zu erkennen. In der amerikanischen Schulforschung wird vor diesem Hintergrund schon länger das Konzept der „Caring Leadership“, also der fürsorglichen Führung, beschrieben. Bei dieser Art der Führung geht es nicht darum, Effektivität zu steigern, sondern die Bedürfnisse der geführten Personen im Blick zu behalten. Ziel ist es, dass sich die Lehrer:innen mehr wahrgenommen, wertgeschätzt und anerkannt fühlen.

Es gibt in der Forschung auch erste Hinweise darauf, dass sich das positiv auf die Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte auswirken kann, sie eher bereit sind, sich in der Schule zu engagieren und Neues auszuprobieren. Außerdem kann sich dadurch das Belastungsempfinden von Lehrer:innen verringern.

Tatsächlich kann dieser Prozess aber nicht allein auf den Schultern der Schulleitung liegen. Die Entwicklung von Resilienz darf nicht nur auf die Schulleitungen fokussiert beziehungsweise als individuelles Problem einzelner Schulen betrachtet werden. Schulen brauchen für die Entwicklung von Resilienz die entsprechenden Rahmenbedingungen.

Schulen brauchen mehr Unterstützung durch Schulverwaltung

Welche sind das?
Die Schulverwaltung muss Schulen und Schulleitungen in die Lage versetzen, ihre Aufgaben gut zu erfüllen. Dafür trägt sie die Verantwortung. In der Pandemie hat sich die Schulverwaltung vielerorts stark auf das Überleben der Schulen in der Krise fokussiert. Aus meiner Sicht reicht das nicht. Schulen brauchen mehr systematische Unterstützung dabei, entsprechende Ressourcen aufzubauen, zum Beispiel bei der Erstellung eines Fortbildungskonzepts. Und sie brauchen auch eine stärkere inhaltliche Begleitung bei ihrer Schulentwicklung. Da gibt es auf Seiten der Schulverwaltung aus meiner Sicht noch viele Leerstellen.

Zur Person

Esther Dominique Klein
Schulentwicklungsforscherin Esther Dominique Klein
©Studioline Photography
  • Esther Dominique Klein ist seit Oktober 2021 Universitätsprofessorin für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik im Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik (IADS) an der Technischen Universität Dortmund.
  • In Lehre und Forschung befasst sie sich vor allem mit Fragen der Schulentwicklung und Herausforderungen für Schulleitungen, insbesondere auch mit Blick auf Schulen an sozialräumlich benachteiligten Standorten.
  • Sie ist auch Mitglied der Jury des Deutschen Schulpreises.