Podcast : Denkanstöße für neue Wege in der Schule
In ihrem Podcast „Schule kann mehr“ wollen der ehemalige Schulleiter Helmut Hochschild und der Radiojournalist Leon Stebe Denkanstöße zur Schulentwicklung geben. Hochschild war fast 40 Jahre im Berliner Schuldienst, als Mathelehrer, Schulleiter, Schulrat und zuletzt Seminardirektor in der Ausbildung von Referendarinnen und Referendaren. Doch auch im gerade angetretenen Ruhestand lässt ihn das Thema Schule nicht los. Das Schulportal sprach mit den Podcast-Machern über verkrustete Strukturen, über moderne Formen des Lernens, über Probleme mit Mathematik und über ihre aktuelle Podcast-Folge, in der es um Noten geht.
Deutsches Schulportal: Herr Hochschild, Sie waren fast 40 Jahre im Schuldienst, haben als Ausbilder in 160 Schulen geschaut. Jetzt sind Sie im Ruhestand – haben Sie noch immer nicht genug von Schule?
Helmut Hochschild: Ich habe sehr viele Erfahrungen sammeln können, vor allem in den vergangenen elf Jahren als Seminarleiter in der zweiten Phase der Lehramtsausbildung. Hier habe ich in 160 Schulen im Unterricht hospitiert und mit den Referendarinnen und Referendaren diese Erfahrungen reflektiert. Das hat sehr viele Diskussionen über den Schulalltag in Gang gesetzt: Wie funktioniert Lernen? Was ist heute Allgemeinbildung? Auf welche Kompetenzen kommt es an? Diesen Diskussionsprozess wollen wir mit dem Podcast ein wenig mitgestalten.
Wie entstand die Idee zum Podcast?
Leon Stebe: Wir sind befreundet und haben privat immer wieder über Schulthemen gesprochen. Da habe ich gedacht: Das muss man hörbar machen. Und so kam die Idee: Lass uns doch einen Podcast machen. Wir hoffen, dass es ein Angebot ist, das die Menschen inspiriert, das die Poren für eine Debatte etwas weitet.
Herr Stebe, Sie selbst sind ja kein Bildungsexperte. Was reizt Sie an einem Podcast ausgerechnet über Schule?
Leon Stebe: Ich beschäftige mich viel mit Veränderungen in der Gesellschaft, vor allem durch die Digitalisierung. Es gibt ja keine Ecke in unserer Welt, die nicht betroffen ist von diesem Wandel. Ein wichtiger Baustein dabei ist die Schule. Mein Eindruck ist, dass gerade dort das Strukturverharrungsvermögen am größten ist, obwohl doch hier am schnellsten neue Wege gefunden werden müssten, um Kinder und Jugendliche für die Zukunft auszubilden. Wir hängen doch alle davon ab, dass Schule funktioniert.
Schon in den ersten drei Folgen Ihres Podcasts haben Sie viel auf den Prüfstein gestellt: Noten, Hausaufgaben, sogar den Mathematikunterricht. Wo sollen Schulen denn anfangen?
Helmut Hochschild: Es gibt schon viele Schulen, die etwas verändern, die den Unterricht kommunikativer und kooperativer gestalten. Ich erzähle ja keine Theorien. Ich möchte weg von diesem Defizitblick, sondern einen konstruktiven Blick auf Schule werfen. Zeigen, wie es laufen kann. Besonders Grundschulen sind da oft schon sehr weit. Ich hoffe, dass solche Beispiele auch andere inspirieren, etwas zu verändern.
Es muss ja nicht gleich der Umsturz gewagt werden, sondern es können kleine Schritte sein. Und das bedeutet nicht mal mehr Arbeit für die Lehrkräfte. Die Vermittlung von Sozialkompetenzen ist ja zum Beispiel keine zusätzliche Aufgabe, sondern ergibt sich mit den richtigen Methoden der Wissensvermittlung ganz von allein.
Nach der ersten Folge haben Sie viele Kommentare bekommen. Welche Themen haben die Hörer vor allem beschäftigt?
Leon Stebe: Mathe. Sehr viele Hörer haben uns ihre Leidensgeschichte in dem Fach erzählt.
Helmut Hochschild: In der ersten Folge kommt das Thema Mathematik nur kurz vor. Natürlich muss jeder die Grundrechenarten beherrschen und Grundkenntnisse der Geometrie lernen. Aber bereits in der fünften Klasse gehen wir in die Bruchrechnung hinein, in einer Art und Weise, wie wir sie für den Alltag überhaupt nicht brauchen. Wir gehen in der Mathematik viel zu schnell in die Abstraktion. Diese Aussage hat bei den Hörern offenbar einen Nerv getroffen.
Im nächsten Beitrag geht es um die Frage: Braucht Schule Noten?
Leon Stebe: Als Schüler habe ich das nie hinterfragt. Es werden Klassenarbeiten geschrieben und dafür gibt es Noten und Korrekturen mit Rotstift. Aber jetzt, nach 25 Jahren, frage ich mich: warum?
Helmut Hochschild: Ich stand neulich mit meiner Enkelin im Märkischen Viertel in Berlin am Stehtisch einer Currybude. Neben uns waren zwei Mütter, die die ersten Schulwochen ihrer Kinder miteinander verglichen. Die eine Mutter sagte: „Ich verstehe noch gar nicht, wie das in der Schule läuft. Komisch finde ich schon, dass es keine Noten gibt.“ Die andere Mutter reagierte sofort: „Das ist das Schöne bei uns – das ist eine richtige Schule, wir haben von Anfang an Noten.“ Das Bild ist also: Nur eine Schule mit Noten ist eine „richtige“ Schule.
Als ich vor 40 Jahren anfing, habe ich Noten natürlich auch genutzt. Oft haben mich Schülerinnen und Schüler gefragt: Gibt es Noten? Wenn ich das bejaht habe, zeigten sie mehr Motivation, als wenn ich keine Noten verteilt habe.
Welche Haltung haben Sie heute zu Noten?
Helmut Hochschild: Relativ schnell habe ich gemerkt, dass der Zugriff auf das, was in der Klassenarbeit abgefragt wurde, danach schnell wieder weg war. Der Punkt ist: Lernen für die Klassenarbeit, weil es Noten gibt, ist genau die falsche Art der Motivation. Insofern sind Noten kontraproduktiv. Und noch etwas: Noten stören den Lernprozess, weil die Kinder sich ständig vergleichen.
In guten Schulen wissen die Schüler selbst, was sie können und was nicht. Dann brauchen sie gar keine Noten für die Selbsteinschätzung. Es kommt darauf an, Kindern die Kompetenz zu vermitteln, sich selbst einzuschätzen.
Klingt recht einfach – aber wieso ändert sich da so wenig? Wieso bewegt sich Schule überhaupt so langsam?
Helmut Hochschild: Erstens, weil es ein komplexes System ist. Zweitens, weil die Ausbildung der Lehrkräfte an den Universitäten strukturerhaltend ist. Dort werden die Studierenden überwiegend in einzelnen Fächern aufs Unterrichten vorbereitet – nach den rechtlichen Vorgaben aber geht es zunehmend in Richtung fächerübergreifender, projektorientierter Unterricht. Und dann spielt, drittens, auch das Mitspracherecht der Eltern eine Rolle. An sich ist es positiv, dass Eltern mitwirken, aber sie wollen meist Kontrolle haben. Und die lässt sich leichter über Zahlennoten als über Kompetenzbeschreibungen bekommen.
Leon Stebe: Jedes System, bei dem viele Beteiligte im Spiel sind, ist schwer zu manövrieren. Start-ups sind deshalb so erfolgreich, weil ihre Strukturen niedrigschwellig sind. Natürlich ist eine Schule kein Start-up, aber mein Plädoyer lautet: Lasst die Schulen Entscheidungen selbst treffen, das macht sie selbstständiger und lässt sie schneller Lösungen finden.
Muss eigentlich alles auf den Kopf gestellt werden oder gibt es auch Werte und Strukturen in der Schule, die noch immer gut sind und funktionieren?
Helmut Hochschild: Natürlich. Schule ist ein Treffpunkt von Menschen, und dieses Miteinander ist ganz wichtig. Dann werden die Grundlagen – Lesen, Schreiben, Rechnen – immer noch gut gelegt. Und Schule schafft es auch, zu vermitteln, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Aber wir könnten bei all dem effizienter sein.
Herr Hochschild, Sie haben elf Jahre lang zukünftige Lehrkräfte ausgebildet. Welche Botschaft haben Sie ihnen mitgegeben?
Helmut Hochschild: „Habt einen Blick aufs Positive und auf das Individuum, nicht auf die Klasse.“ Der Umgang mit Heterogenität ist sehr wichtig. Und dann noch etwas: „Redet weniger und nehmt mehr von den Kindern wahr.“
Zur Person
- Helmut Hochschild ist seit 1980 im Berliner Schuldienst und wirkte als Hauptschullehrer, 15 Jahre als Schulleiter, zwei Jahre als Schulrat und elf Jahre als Seminardirektor in der zweiten Phase der Lehrkräfteausbildung.
- Er war Interimsschulleiter der Berliner Rütli-Schule und knapp zwei Jahre u. a. für diese Schule zuständiger Schulrat.
- Besondere Erfahrungen sammelte der 63-Jährige beim Aufbau von Netzwerken, die Schulen bei ihrer Qualitätsentwicklung unterstützen.
- Leon Stebe ist Radiojournalist. Der 42-Jährige ist in Stuttgart aufgewachsen und zur Schule gegangen. Er hat Politikwissenschaft in Leipzig und Berlin studiert.
- Stebe war ARD-Korrespondent in Washington und Brüssel und ist Moderator beim Inforadio des rbb.
- Er gibt Workshops für Organisationen, die ihre Zielgruppe gezielt übers Ohr erreichen wollen, und trainiert auch Lehrkräfte an Schulen, wie sie Podcasts im Unterricht einsetzen können.
- Jeden zweiten Dienstag widmet sich der Podcast „Schule kann mehr“ einem anderen Thema. Kontakt: info@schule-kann-mehr.de