Was stimmt? : Mythos und Wahrheit über den besten Beruf der Welt
Der Weltlehrertag ist ein guter Anlass, die verantwortungsvolle Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer zu würdigen und mit ein paar verstaubten Vorurteilen aufzuräumen. Denn statt Wertschätzung halten sich hierzulande noch immer weit verbreitete Mythen über die Menschen, die sich mit viel Engagement der Erziehung und Bildung unserer Kinder widmen. Das Schulportal hat Lehrerinnen und Lehrer befragt, wie Klischee und Wirklichkeit zusammenpassen. Diskutieren Sie mit, und schreiben Sie uns in den Kommentaren, wie Sie diesen Beruf erleben!
- Dejan Mihajlovic, Realschullehrer in Freiburg: Ferien haben die Schülerinnen und Schüler. Bei uns Lehrkräften heißt das korrekterweise ,unterrichtsfreie Zeit‘. Wie viel Unterrichtsvor- und nachbereitung in diesen Zeiträumen stattfindet, ist eben individuell unterschiedlich.
- Martina T.*, Grundschullehrerin in Bayern: Lehrkräfte haben unterrichtsfreie Zeit, die meisten Lehrkräfte, die ich kenne – insbesondere die, die in der Primarstufe arbeiten –, arbeiten gut die Hälfte der Ferien. Und an den Wochenenden sowieso. Studien haben gezeigt, dass Lehrerinnen und Lehrer insgesamt weit mehr arbeiten als andere Beschäftigte.
- Matthias Peitz, stellvertretender Schulleiter der Waldparkschule Heidelberg: Lehrkräfte haben 30 Tage Urlaub und arbeiten auch in ihrer unterrichtsfreien Zeit – und das nicht zu knapp!
*Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt.
- Dejan Mihajlovic, Realschullehrer in Freiburg: Meine Augenringe belegen das Gegenteil – auch wenn ein Teil davon von meinen Kindern stammt.
- Martina T.*, Grundschullehrerin in Bayern: Lehrerinnen und Lehrer arbeiten nur halbtags – in der Schule. Und selbst das ist in Zeiten von gebundenem Ganztag und Nachmittagsunterricht nicht immer richtig. Daheim geht die Arbeit erst richtig los. Das lässt sich mit einem Computer vergleichen: Auf dem Bildschirm sind 49 Fenster offen – und auf jedem Fenster läuft ein Prozess, der begleitet werden muss.
- Matthias Peitz, stellvertretender Schulleiter der Waldparkschule Heidelberg: An einer Ganztagsschule arbeiten die Lehrkräfte den ganzen Tag!
- Matthias Förtsch, Gymnasiallehrer in Baden-Württemberg: ,Lehrerinnen und Lehrer arbeiten nur halbtags‘ – oder anders gesagt: ,Lehrkräfte haben vormittags recht und nachmittags frei‘. In Zeiten von gebundenen Ganztagsschulen müsste der Spruch wohl eher lauten: ,Lehrkräfte haben vormittags recht und nachmittags auch‘. Aber Spaß beiseite: Je mehr Schulen die Ganztagsbetreuung in den Schulalltag integrieren, desto weniger stimmt dieses Klischee. Abgesehen davon, dass der Nachmittag, wenn nicht durch Unterricht, dann durch dessen Vorbereitung und auch durch Korrekturen sowie Elterngespräche oftmals gut gefüllt ist. Die Flexibilität, die Lehrkräfte haben, indem sie ihre Arbeit auch in die Abendstunden verlegen können, macht manche dann aber wieder neidisch. Und seien wir ehrlich: Das ist auch ein Privileg.
- Sabine K*., Grundschullehrerin in Mecklenburg-Vorpommern: Richtig ist: Ich stehe halbtags vor der Klasse. Danach arbeite ich zu Hause. Was bei meiner Diagnoseförderklasse heißt: Förderpläne für alle Schülerinnen und Schüler erstellen und fortlaufend aktualisieren, Förderpläne mit den Eltern besprechen, Anträge zum sonderpädagogischen Förderbedarf stellen, dazu notwendige Gespräche mit Eltern und dem Fachteam führen, Arbeitsblätter konzipieren, die jedem Kind – angepasst an seinen persönlichen Entwicklungsstand – das Arbeiten ermöglichen, Elterninformationen entwickeln, um den Eltern Hilfestellung zu geben, ihre Kinder zu unterstützen und Verantwortung wahrzunehmen, Unterricht des Vormittags nachbereiten, Unterricht des Folgetages vorbereiten, Protokolle schreiben, Versammlungen und Konferenzen vorbereiten, Arbeiten der Schülerinnen und Schüler korrigieren, und, und, und… Damit erübrigt sich meiner Meinung nach auch das nächste Vorurteil ‚Lehrerinnen und Lehrer sind faul‘.
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- Dejan Mihajlovic, Realschullehrer in Freiburg: Lehrkräfte sind faul – nicht mehr und nicht weniger als Personen aller anderen Berufsgruppen auch.
- Martina T.*, Grundschullehrerin in Bayern: Lehrerinnen und Lehrer sind eher erschöpft! Dieser Beruf ist nämlich extrem anstrengend. Die Tagesenergie ist oft nach wenigen Schulstunden aufgebraucht – auch wenn man bewusst versucht, sich fit zu halten, sich gesund ernährt, meditiert. Lehrerin oder Lehrer zu sein kostet viel Kraft und innere Stärke. Denn in Beziehung stehen und Beziehung leben ist generell fordernd. Doch es ist täglich eine große Herausforderung, mit 28 oder mehr Menschen gleichzeitig auf engem Raum, mit stark begrenzter Zeit und klarem Bildungsauftrag Beziehung zu leben und zu gestalten. Ebenso herausfordernd ist, dabei die individuellen Bedürfnisse gleichermaßen zu berücksichtigen wie tagesaktuelle Gemütszustände, jedem gerecht zu werden und dennoch in der Gemeinschaft als Gruppe in guter Energie zu leben und zu lernen.
- Matthias Peitz, stellvertretender Schulleiter der Waldparkschule Heidelberg: Wer das sagt, hat vom Thema keine Ahnung, und darf gern mal zu uns kommen und eine Woche mitarbeiten.
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- Dejan Mihajlovic, Realschullehrer in Freiburg: Für mich bedeutet der Beamtenstatus auch Ruhen-Müssen, weil ich nicht streiken darf.
- Martina T.*, Grundschullehrerin in Bayern: Ich schätze, viele Lehrkräfte wären ohne Beamtenstatus wohl keine Lehrer mehr, weil Anstrengung, Unterrichtsverpflichtung, Arbeitsaufwand und Arbeitszeit an sich in keinem Verhältnis mehr zur Bezahlung und der Wertschätzung stehen und die Vorteile des Beamtentums und damit auch der Krankenversicherung das zumindest ein wenig ausgleichen.
- Sabine K.*, Grundschullehrerin in Mecklenburg-Vorpommern: Im Übrigen sind nicht alle Lehrerinnen und Lehrer verbeamtet. Ich arbeite im Angestelltenverhältnis, da mein DDR- Studium und mein Alter eine Verbeamtung ausschließen.
- Matthias Peitz, stellvertretender Schulleiter der Waldparkschule Heidelberg: Ausruhen – egal welchen Berufsstatus man hat – geht heutzutage als Lehrkraft überhaupt nicht mehr.
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- Dejan Mihajlovic, Realschullehrer in Freiburg: Ich verfolge seit Jahren, wie die Anzahl der Lehrenden, die sich über Social Media vernetzen, sich Wissen aneignen und austauschen, stetig zunimmt. Damit wandelt sich gerade das ,sind‘ in dieser Aussage immer mehr zu einem ,waren‘.
- Martina T.*, Grundschullehrerin aus Bayern: Es fehlt bislang an passenden Aus- und Weiterbildungsangeboten. Zudem lässt die Ausstattung sehr zu wünschen übrig. Den digitalen Fortschritt hat man eher privat mitgemacht – und auch privat für die notwendigen und oft kostenintensiven Geräte gesorgt. Insofern gibt es wohl, wie allgemein in der Bevölkerung, einen Zusammenhang zwischen digitaler Kompetenz und dem Alter der Lehrkraft. In meiner Schule gab es noch vor einigen Jahre zwei PCs, von denen regelmäßig einer nicht funktionierte. Diesen musste man sich dann mit einem 28-köpfigen Kollegium teilen. Vergangenes Jahr nun wurde jeder Lehrkraft ein Notebook zur Verfügung gestellt: zum Verbleib im Klassenzimmer – also ohne Nutzungsmöglichkeit zu Hause!
- Matthias Peitz, stellvertretender Schulleiter der Waldparkschule Heidelberg: Da lernen Lehrkräfte genauso schnell wie andere Menschen auch.
- Matthias Förtsch, Gymnasiallehrer in Baden-Württemberg: Stellen Sie sich mal vor, Ihr Arbeitgeber stellt Ihnen für Fortbildungen in Ihrer Abteilung ein Zimmer mit Overheadprojektor zur Verfügung, WLAN gibt’s nicht und einen Computer kaufen Sie sich bitte selbst – ,wer braucht schon Dienstgeräte?‘. Aus Datenschutzgründen dürfen Sie keine Daten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darauf speichern. Dann legen Sie mal los… Die Bedingungen für die Entwicklung digitaler Kompetenz sind denkbar schlecht – und trotzdem machen sich immer mehr Schulen und Lehrkräfte auf den Weg und vernetzen sich auf großen Tagungen zum Teil bundesweit. Ist das nicht ein ermutigendes Zeichen?
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- Dejan Mihajlovic, Realschullehrer in Freiburg: Ich glaube tatsächlich, dass, berufsbedingt, die eigene Kritikfähigkeit dazu neigt, abzunehmen. Wer ständig in einem Raum arbeitet, in dem er Themen vorgibt, in denen er in der Regel über einen Wissensvorsprung verfügt, ist zumindest inhaltliche Kritik nicht gewohnt, beziehungsweise baut sie in diesem Bereich durch fehlendes Training ab.
- Martina T.*, Grundschullehrerin in Bayern.: Die Problematik ist, dass die angebrachte Kritik oft aus einem sehr engen Blickwinkel gefasst wird und die mögliche wertgleiche Vielfalt nicht berücksichtigt. Eltern sehen zum Beispiel oft nur ihr Kind – aber weder die ganze Klasse, noch andere gegebene Umstände, die ein bestimmtes Handeln oder Vorgehen notwendig machen. Ebenso gibt es meist viele verschiedene gleichwertige Möglichkeiten und Wege – einige davon liegen aber einer Lehrkraft aufgrund ihrer Persönlichkeit und ihrer Erfahrung mehr, so dass es sinnvoll ist, nach individuellen Maßstäben zu entscheiden.
- Matthias Peitz, stellvertretender Schulleiter der Waldparkschule Heidelberg: Das hängt immer davon ab, wie man Kritik vorbringt!
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- Dejan Mihajlovic, Realschullehrer in Freiburg: Ich schätze mal, dass man damit auf einen mittelmäßigen Abi-Schnitt anspielen möchte, mit dem man nichts anderes studieren kann außer auf Lehramt. Wer Dummsein an den Noten festmacht, ist vielleicht nicht so intelligent, wie er glaubt.
- Martina T.*, Grundschullehrerin in Bayern: Zu meinem Studienbeginn galt ein NC von 1,6!
- Matthias Peitz, stellvertretender Schulleiter der Waldparkschule Heidelberg: Bei den heutigen Aufnahmebedingungen an Hochschulen kann das nicht sein!
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Dejan Mihajlovic, Realschullehrer in Freiburg: Mich beschäftigt das Thema eigentlich schon seit meinem Studium, weil ich selbst Kommilitoninnen und Kommilitonen hatte, die das offen kommuniziert haben. Mittlerweile weiß ich, dass diejenigen, die diesen Beruf nicht aus Leidenschaft gewählt haben, kein leichtes Leben an der Schule haben und weder sich noch den Klassen damit einen Dienst erweisen.
Martina T.*, Grundschullehrerin in Bayern: Für mich standen noch Physik, Mathematik und Medizin noch zur Auswahl. Alles hätte mich begeistert. Aber am meisten Sinn sah ich in einer Tätigkeit mit Menschen – diese zu befähigen, zu stärken, aufzurichten, so dass sie einen wertvollen Beitrag zur positiven Veränderung unserer Welt leisten können.
Matthias Peitz, stellvertretender Schulleiter der Waldparkschule Heidelberg: Falls es solche Lehrerinnen und Lehrer gibt, halten diese im Job nicht lange durch.
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- Dejan Mihajlovic, Realschullehrer in Freiburg: Ich habe vier Kinder. Ich kann mir Kranksein nicht leisten!
- Martina T.*, Grundschullehrerin in Bayern: Da kenne ich keinen im Primarbereich! Zu eng ist die emotionale Bindung zu den Kindern und das Gefühl der Verantwortlichkeit. Zu problematisch ist auch der Zeitverlust durch die Abwesenheit – und die Not, das wieder reinzuarbeiten. Weder Rollstuhl aufgrund Operation, noch Beinbruch mit Gips oder eine Gehirnerschütterung hat Kolleginnen und Kollegen davon abgehalten, in die Schule zu kommen.
- Matthias Peitz, stellvertretender Schulleiter der Waldparkschule Heidelberg: Lehrkräfte sind genauso oft krank wie andere Beschäftigte auch.
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- Dejan Mihajlovic, Realschullehrer in Freiburg: Ich weiß von den Studierenden, die ich immer wieder an meiner Schule betreue, dass sich das Studium heute im Vergleich zu meinem stark verändert hat. Es ist mittlerweile vollgepackt und viel verschulter. Vielleicht sollten sie tatsächlich wieder mehr Zeit zum Singen und Klatschen erhalten.
- Martina T.*, Grundschullehrerin in Bayern: Schön wäre es, wenn man das lernen würde – das wäre wenigstens sinnvoll! Und nicht zu unterschätzen: Es ist nicht so leicht zu dirigieren, ein Instrument zur Begleitung zu spielen, gleichzeitig mehreren Gruppen den Einsatz zu geben, Noten lesen zu können und schlussendlich gemeinsam mit den Kindern zu musizieren. Stattdessen habe ich im Rahmen meiner Grundschulausbildung in Mathematik zu großen Teilen in den gleichen Vorlesungen gesessen wie die Studierenden im Diplom-Studiengang Mathematik. Heute werde ich allerdings nur selten von den Erstklässlern nach der dritten Ableitung der Integralfunktion gefragt. Lediglich ein kleiner Teil der vielen Fächer war während meines Studiums tatsächlich praktisch angehaucht und für den Grundschulunterricht und die Arbeit mit Kindern ansatzweise vorbereitend.
- Matthias Peitz, stellvertretender Schulleiter der Waldparkschule Heidelberg: Wer das behauptet, hat noch nie auf Lehramt studiert!
*Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt.