Gender : Model-Show und Mobbing im Klassenzimmer

Kinder, die sich den Stereotypen der Geschlechter nicht anpassen, werden in Schulen schnell zu Mobbing-Opfern. Die Protest-Organisation Pinkstinks macht dafür auch die Werbeindustrie und Sendungen wie „Germany’s Next Topmodel“ („GNTM“) verantwortlich. Für Schulen hat Pinkstinks Angebote entwickelt, die zu Diskussionen über Geschlechterrollen anregen sollen. Das Deutsche Schulportal sprach mit Stevie Schmiedel, Gender-Forscherin und Gründerin der Protestgruppe.

Die Gender-Forscherin Stevie Schmiedel hat die Protestgruppe Pinkstinks gegründet.
© Yvonne Schmedemann

Das Deutsche Schulportal: Millionen Mädchen fiebern derzeit dem Finale der Casting-Show „GNTM“ entgegen. Sie, Frau Schmiedel, haben mit Pinkstinks schon zu Beginn der Staffel die Kampagne „Not Heidis Girl“ gestartet. Ist das an den Schulen ein Thema?
Schmiedel: Die Sticker und Videos werden vor allem an Schulen massenhaft nachgefragt. Wir drucken auf Wunsch der Lehrerinnen und Lehrer jetzt auch Poster zu dem Thema. Das zeigt uns, dass wir da auf ein großes Problem aufmerksam machen. Vom Sender ProSieben kam bisher keine Reaktion auf unsere Forderung, die Model-Show auf den späteren Abend zu verlegen. Die Zielgruppe sind ja gerade die 11- bis 16-Jährigen, und in dieser Altersgruppe ist die Show eben auch besonders erfolgreich. Trotzdem sehen wir die Kampagne als Erfolg, denn viele Jugendliche haben sich dadurch an den Diskussionen zu den fragwürdigen Rollenbildern in den Medien beteiligt. Durch das Video fühlen sich Mädchen bestärkt, sich dem Schönheitszwang zu widersetzen.

Wie gefährlich sind denn die Geschlechterstereotypen in den Medien für Kinder, und wie macht sich das in den Schulen bemerkbar?
Die einseitigen Geschlechterrollen verursachen sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen psychologische Probleme. Immer mehr Mädchen haben Essstörungen oder verletzen sich selbst, zum Beispiel durch Ritzen. Bei den Jungen dagegen äußern sich die Probleme eher in Spielsucht oder in aggressivem Verhalten. Natürlich sind die Gründe dafür vielfältig, aber eine wesentliche Ursache ist der Druck, der durch bestimmte Frauen- oder Männerbilder in der Gesellschaft erzeugt wird. Den Mädchen wird suggeriert, sie müssten schön sein, Leistungen zeigen und sich zurücknehmen. Das ist auch bei „GNTM“ so. Heidis Mädchen müssen schlank sein und tun, was Heidi sagt, auch wenn es ihnen nicht gefällt. Jungen dagegen leiden eher unter den Stereotypen, stark sein zu müssen und ihre Gefühle nicht zeigen zu dürfen. Wer sich nicht in den vorgegebenen Geschlechterrollen bewegt, wird in der Schule schnell gemobbt.

Ist es nicht überzogen, Sendungen wie „GNTM“ für Mobbing in der Schule und für psychische Krankheiten verantwortlich zu machen?
Nein – das sind leider unsere Erfahrungen! Lehrerinnen und Lehrer berichten, dass schon in den ersten Klassen die Casting-Show auf dem Schulhof oder auf Kindergeburtstagen nachgespielt wird. Dabei geht es natürlich auch darum, dass die Mädchen einander gegenseitig kritisieren und bewerten – wie in der Sendung. Das kann schnell das gesamte Klima in der Klasse vergiften. Schon ab der dritten Klasse haben in der Regel viele Kinder ein Smartphone, dann werden die Probleme noch massiver. Der visuelle Druck, der durch die Bilder bei Youtube oder in sozialen Netzwerken auf die Kinder wirkt, ist heute viel größer als früher. Es ist wichtig, dass das in den Schulen thematisiert wird. Mit unserem Angebot für Schulen, dem Theaterstück „David und sein rosa Pony“, richten wir uns genau an diese Altersgruppe. Das Stück nimmt Bezug auf einen Fall, der sich 2014 in Ohio ereignet hat. Dort wurde ein Junge wegen seines rosa Ponys in der Schule so stark gemobbt, dass er versuchte, sich das Leben zu nehmen. Nach dem Theaterstück diskutieren wir mit den Kindern über ihre Erfahrungen mit Geschlechterrollen. Und viele berichten von ähnlichen Situationen.

Immer mehr Mädchen haben Essstörungen oder verletzen sich selbst, zum Beispiel durch Ritzen. Bei den Jungen dagegen äußern sich die Probleme eher in Spielsucht oder in aggressivem Verhalten.
Gender-Forscherin Stevie Schmiedel

Welche Rolle spielen dabei die Eltern? Werden die Geschlechterbilder nicht noch stärker in den Familien als in den Medien geprägt?
Auch Eltern vermitteln häufig solche Klischees, damit die Kinder sich in der Gesellschaft anpassen. Eine Mutter erzählte mir zum Beispiel, dass sie ihren Sohn nicht mit rosa Shorts zum Fußball gehen lassen wollte, weil sie Angst hatte, die anderen Eltern könnten denken, ihr Kind sei schwul. Andere Eltern befürchten einfach, ihr Kind könnte gemobbt werden, und verbieten deshalb dem Mädchen, sich wie ein Junge zu verhalten, oder dem Jungen, mit Puppen zu spielen. Wenn wir an eine Schule gehen, haben wir auch immer einen Elternbrief vorbereitet. Häufig befürchten Eltern, wir würden mit unserem Angebot ihre Kinder umerziehen wollen. Darum geht es uns aber überhaupt nicht. Wir möchten die Kinder ermutigen, so zu sein, wie sie es möchten. Wir wollen ihnen zeigen, dass gerade die Vielfalt schön ist. Es ist immer wieder erstaunlich, dass sich am Ende der 90 Minuten in den Schulklassen die Jungen der Klasse gern mit einem rosa Pony fotografieren lassen und auch die Mädchen das überhaupt nicht uncool finden. Für die Vor- und Nachbereitung geben wir den Lehrkräften Unterrichtsmaterialien an die Hand. Die Nachfrage vonseiten der Schulen ist viel größer als unsere Möglichkeiten. Da die Förderung durch das Bundesfamilienministerium im vergangenen Jahr ausgelaufen ist, können die Programme derzeit nur über Spenden finanziert werden.