Demokratie in der Grundschule : Mit Blume und „Stopp“-Schild in den Klassenrat

An der Grundschule St. Michael im saarländischen Lebach spricht jedes zweite Kind kein Deutsch oder hat noch größere Probleme mit der Sprache. Die Schule hat einen eigenen Weg gefunden, um sich dieser besonderen Herausforderung zu stellen. Seit gut einem Jahr wird hier das Projekt „Wir lernen Demokratie“ Schritt für Schritt umgesetzt, um Kinder stärker am Schulleben zu beteiligen. Wie sie Demokratie und Partizipation lernen, hat die Schulleiterin beim Forum „Schule. Macht. Demokratie.“ der Deutschen Schulakademie vorgestellt.

Karten, Sanduhr, Zettel für den Klassenrat auf dem Boden
Für einen Klassenrat sind viele zuständig, und es gibt verschiedene Aufgaben zu erfüllen. Die Grundschule St. Michael hat für die Arbeit des Klassenrats eigene Materialien zusammengestellt.
©Grundschule St. Michael

Der dunkle Flur zur Turnhalle soll jetzt endlich Licht bekommen, die seit Wochen kaputte Toilettentür funktioniert wieder, und die Planungen, wie der verkleinerte Schulhof genutzt werden kann, laufen. Gesorgt haben dafür die Schülerinnen und Schüler der Grundschule St. Michael im saarländischen Lebach.

Hier gibt es Schülergremien, die sich um die Belange der Mitschülerinnen und Mitschüler kümmern und diese durchsetzen. Seit dem vergangenen Schuljahr setzt die Schule das Projekt „Wir lernen Demokratie“ um. Vorgestellt hat es die Schulleiterin Elke Schäfer beim diesjährigen Forum „Schule. Macht. Demokratie.“ der Deutschen Schulakademie. Bei der zweitägigen Veranstaltung wurden Beispiele aus der Praxis präsentiert, die zeigen, wie Schulen Kinder und Jugendliche mit den Grundwerten der Demokratie vertraut machen können und wie Schulen selbst demokratische Prozesse umsetzen.

Die Grundschule St. Michael hat sich auf den Weg gemacht. Das Projekt ist noch im Werden, aber gerade deshalb sind die ersten Schritte so präsent, die Elke Schäfer beim Forum anschaulich vorgestellt hat. Sie ist seit einem Jahr Schulleiterin, kommt aus Lebach und hat die Grundschule selbst als Kind besucht.

Jedes Kind ins Lebach weiß, was „Abschiebung“ heißt

Die Schule muss sich besonderen Herausforderungen stellen. Lebach ist eine Kleinstadt im ländlichen Raum. 8.000 Menschen leben hier, mit den umliegenden Gemeinden sind es 19.000. Mitten in Lebach steht ein Ankerzentrum für Asylbewerberinnen und Asylbewerber.

Neu ist daran allerdings nur der Name. Eine Aufnahmestelle für Geflüchtete hat es in Lebach bereits seit den 1950er-Jahren gegeben. Die Einrichtung ist heute für etwa 1.200 Menschen ausgelegt – während der massenhaften Fluchtbewegung nach Europa im Jahr 2015 lebten hier zeitweilig 4.500 Menschen. Das hat nicht nur die Stadt geprägt, sondern auch die Grundschule.

Hier lernen insgesamt 244 Kinder aus 24 Nationen. „Die Hälfte von ihnen spricht kein Deutsch oder hat größere Schwierigkeiten mit der Sprache“, erklärt Elke Schäfer. In den Förder-, aber auch in den regulären Klassen kommt es vor, dass ein Kind von einem Tag auf den anderen nicht mehr erscheint, weil die Familie abgeschoben wird. Geflüchtete gehören in Lebach zum Alltag der Stadt.

Wegen ihrer besonderen Herausforderungen ist die Grundschule St. Michael eine von zwölf Schulen im Projekt „Schulen stark machen“, das seit Anfang 2018 im Saarland an sechs Grundschulen und sechs Gemeinschaftsschulen umgesetzt wird. In einer zweiten Phase kamen noch sechs Berufsbildungszentren dazu. Das saarländische Bildungsministerium will mit dem Projekt besonders belastete Schulen darin unterstützen, die Herausforderungen, denen sie sich stellen müssen, zu bewältigen. Das Projekt läuft zunächst über vier Jahre, für die Umsetzung sind jährlich 700.000 Euro angesetzt. Davon finanziert das Ministerium zum Beispiel externe Coaches, die die Schulen in ihrer Entwicklung beraten. Begleitet wird das Projekt dabei auch von der Deutschen Schulakademie.

Partizipation und Demokratie so früh wie möglich lernen

Jede Schule im Projekt konnte sich selbst überlegen, in welche Richtung sie sich entwickeln will und in welchem Bereich sie Unterstützung sucht. Um das herauszufinden, hat sich das Kollegium der Grundschule St. Michael zu einem „Pädagogischen Tag“ getroffen, verschiedene Vorschläge beraten und sich schließlich auf das Projekt „Wir lernen Demokratie“ geeinigt.

„Ich habe nicht damit gerechnet, dass gerade dieses Thema sich durchsetzt“, sagt Elke Schäfer. Sie ist froh über diese Entscheidung: „Die Kinder leben doch nicht in einem luftleeren Raum.“ Und darum sollten sie aus ihrer Sicht Partizipation so früh wie möglich lernen.

Auf einer anschließenden Schulkonferenz wurde das Projekt auch den Eltern und der Schülerschaft vorgestellt und zunächst für zwei Jahre beschlossen. Der erste Schritt auf dem Weg zur Umsetzung war dann die Bildung einer Steuerungsgruppe, die für die Planung und Organisation des Projekts zuständig ist.

Unterstützung gab dabei eine „Schoolworkerin“, die sich intensiv mit dem Thema Demokratie in der Schule beschäftigt hat und viel praktische Erfahrung mitbrachte. Als „Schoolworker“ werden im Saarland Kontaktpersonen bezeichnet, die Schule und Jugendhilfe koordinieren. Unterstützung gab es außerdem auch durch Schulberaterin Birgit Kilian, die früher selbst Schulleiterin war und jetzt an mehreren Schulen das Programm „Schulen stark machen“ als Coach mit umsetzt.

Größter Stolperstein war der Zeitmangel

Zunächst wurden dann in allen Klassen Klassensprecherinnen oder Klassensprecher gewählt. Solch eine Wahl ist für Grundschulen im Saarland eigentlich nicht vorgeschrieben. Vor der Wahl haben die Lehrerinnen und Lehrer in der Klasse über die Rolle, die Aufgaben und die Verantwortung dieses Amts gesprochen. Nach der Wahl gingen alle Klassensprecherinnen und Klassensprecher dann gemeinsam für zwei Tage in Klausur, um sich als Gruppe zu finden, über Aufgaben und Ziele zu sprechen und Kommunikationswege zu lernen.

Zusätzlich gibt es jetzt in allen Klassen einen Klassenrat, der jede Woche tagt. Bei der Ein- und Durchführung können die Lehrkräfte Unterstützung von der Schoolworkerin bekommen. Welche Themen auf der Tagesordnung stehen, bestimmen die Kinder selbst. Eine Gefahr, dass dabei Dinge vorgebracht werden, die vielleicht nicht die Klasse betreffen, sieht Elke Schäfer nicht: „Die Kinder besprechen sich gemeinsam mit den Lehrerinnen und stimmen dann darüber ab, ob etwas ein Thema für den Klassenrat ist oder nicht. Dabei lernen sie auch, Argumente vorzubringen, den anderen zuzuhören und auch mal einen Mehrheitsbeschluss zu akzeptieren.“

Erst mal kommt es darauf an, den Kindern eine Haltung zu vermitteln und Struktur zu schaffen

Wichtig war es der Demokratiebewegung an der Schule St. Michael, insbesondere auch diejenigen Kinder mit einzubeziehen, die weniger gut Deutsch sprechen. Um sie an den Klassenrat heranzuführen, werden Karten mit verschiedenen Symbolen eingesetzt. Eine Blume drückt beispielsweise Dank aus, eine „Stopp“-Hand heißt: „Aufhören“. Im zweiten Halbjahr dieses Schuljahrs soll dann die erste Schülerversammlung stattfinden.

Das Kollegium hat die Grundschule St. Michael nicht auf den Kopf gestellt, aber es hat einen Anfang gewagt. „Erst mal kommt es darauf an, den Kindern eine Haltung zu vermitteln und Struktur zu schaffen“, erklärt die Schulleiterin. Und in dieser Hinsicht sieht sie schon große Erfolge: „Es wird viel mehr zugehört. Es gibt mehr Respekt vor einer anderen Meinung.“ Das bezieht sie nicht nur auf die Schülerinnen und Schüler, sondern auch auf die Lehrkräfte. Denn von denen seien anfangs nicht alle gleichermaßen von der Projektidee begeistert gewesen, räumt Elke Schäfer ein.

Hauptargument dagegen – und damit größter Stolperstein – sei der Zeitmangel gewesen, erklärt sie. „Wann sollen wir das denn noch machen?“, habe sie oft gehört. Doch mittlerweile sei die Zustimmung überwiegend groß. Das ist wichtig, denn die Schule möchte ihren Weg zu mehr Demokratie noch weitergehen – vor allem mit Blick auf die Auswahl von Unterrichtsthemen oder die Gestaltung des Schultags. Konkret könne sich das aber natürlich erst in einem demokratischen Prozess entwickeln.

Mehr zum Thema

Für Grundschulen gebe es bislang nur wenig Material für die Vermittlung von Demokratie in der Schule, kritisiert Schulleiterin Elke Schäfer. Ein paar Empfehlungen hat sie aber doch:

  • „Eine gute Klassengemeinschaft entwickeln. Der Praxisleitfaden mit Ideen und Arbeitsmaterialien für die Grundschule“, Persen Verlag, 19,95 Euro.
  • „Klassensprecher-(innen)wahlen“. Aus: Arbeitsblätter zur Demokratieerziehung in der Grundschule als Download.
  • „Das Mitmach-Set zum Klassenrat“, Hrsg.: Der Klassenrat, 9,95 Euro.