Mentoring : Wie erfahrene Lehrkräfte und Quereinsteiger voneinander profitieren

Damit der Quereinstieg in den Lehrerberuf gelingt, kommt es neben einer guten Ausbildung auch darauf an, wie die angehenden Lehrkräfte in der Schule aufgenommen und, vor allem in der Anfangsphase, begleitet werden. Dabei können Mentoring-Programme helfen. Christin Tellisch, Vizepräsidentin für Forschung der Hochschule für angewandte Pädagogik in Berlin, hat sich solche Programme genauer angeschaut und erklärt im Interview mit dem Schulportal, wie Inklusion von Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern in der Schule gelingen kann, wie Mentorinnen und Mentoren von dem Input der Mentees profitieren können und wie sich Mentoring auch in Zeiten von Lehrkräftemangel umsetzen lässt.

Mentoring zwei Frauen im Gespräch
Damit Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger erfolgreich ins Schulleben starten können, ist der Austausch mit erfahrenen Lehrkräften sehr wichtig.
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Deutsches Schulportal: Viele Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger kommen voller Engagement in die Schule, geben aber bald wieder auf. Worauf kommt es an, damit ein Quereinstieg erfolgreich ist?
Christin Tellisch: Das Wichtigste ist, dass das Potenzial dieser angehenden Pädagoginnen und Pädagogen gesehen wird und sie mit offenen Armen in einer Kultur der Wertschätzung und des Teamworks aufgenommen werden. Das ist, nach meiner Erfahrung als ehemalige Schulleiterin, eine Frage der Haltung des Teams, des Teamworks und der unterstützenden Strukturen.

Wie sollte denn eine Unterstützung an der Schule aussehen?
Welche Begleitung Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger brauchen, kann man nicht pauschalisieren. Das hängt davon ab, welche Kompetenzen sie bereits ausbilden konnten und welche es noch weiterzuentwickeln gilt. Die Erfahrungen spielen dabei natürlich auch eine große Rolle: Waren die neuen Kolleginnen und Kollegen bereits pädagogisch professionell tätig, oder kommen sie aus ganz anderen Bereichen? Haben sie selbst Kinder? Welche Vorbereitungsprogramme haben sie bereits durchlaufen? Entsprechend sollte die Förderung und Begleitung arrangiert werden.

Mentoring kann helfen, in der Schule anzukommen

Wie wichtig sind dabei Mentoring-Programme?
Mentoring-Programme können ein wichtiger Baustein sein, um im Lehrerberuf anzukommen und professionell in diesem Ankommen begleitet zu werden. Aber es gibt noch mehr Formate. An der Schule, die ich bis vor Kurzem geleitet habe, hatten wir eine „Lehrerakademie“ gegründet. Alle Kolleginnen und Kollegen, die neu zu uns kamen und über keine hinreichend fundierte pädagogische Ausbildung verfügten, nahmen daran teil. Mit der Zeit waren auch immer mehr Lehrkräfte aus dem Team dabei.

In der „Lehrerakademie“ haben wir uns mit verschiedensten Themen auseinandergesetzt, die Pädagoginnen und Pädagogen im Alltag herausfordern: von Unterrichtsstörungen über die Entwicklung differenzierter Lernformate und dem Lernen von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf bis hin zu Rechtsvorschriften im Schulalltag und herausfordernden Elterngesprächen.

Die Themen brachten die Lehrkräfte aus ihrem Alltag mit. Geleitet wurde diese „Lehrerakademie“ von der stellvertretenden Schulleitung. Die „Lehrerakademie“ fand über das gesamte Jahr jede Schulwoche einmal statt und stand im Stundenplan wie eine reguläre Unterrichtsstunde.

Die „Lehrerakademie“ war ein geschützter sowie innovativer Raum für Probleme und für kreative Lösungen. Innerhalb der „Lehrerakademie“ gab es auch gegenseitige Hospitationen und Anregungen – alles auf einer kollegialen und wertschätzenden Basis. Und auf Basis einer positiven Fehlerkultur.

Aus den Hospitationen lässt sich oft mehr lernen als aus einem Fachbuch.

Wie kann ein Mentoring-Programms konkret aussehen?
Gut ist, wenn neue Kolleginnen und Kollegen ohne fachlich fundierte pädagogische Ausbildung eine Ansprechpartnerin oder einen Ansprechpartner an ihrer Seite haben. Sie oder er gibt Unterstützung bei der Sequenz- und Stundenplanung, checkt Klassenarbeiten oder hilft bei schwierigen Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern oder Eltern. Ganz wichtig sind auch Hospitationen. Mentorinnen und Mentoren hospitieren im Unterricht der Mentees und laden sie, umgekehrt, zu Hospitationen ihres eigenen Unterrichts ein. Aus den Hospitationen lässt sich oft mehr lernen als aus einem Fachbuch.

Über welchen Zeitraum sollte ein Mentoring-Programm laufen?
Das lässt sich schwer verallgemeinern. Wenn wir von inklusiver Bildung sprechen, dann eben auch für angehende Lehrerinnen und Lehrer. Das bedeutet dann, dass nicht etwa ein Standardprogramm abgespult wird, in dem der Mentee zum Beispiel am Anfang fünf Stunden und am Ende eine Stunde pro Woche begleitet wird. Wichtiger ist, dass gezielt an den Stellen Unterstützung erfolgt, an denen Schwierigkeiten oder Unsicherheiten bestehen. Sinnvoll erscheint es mir aber, wenn ein Mentoring-Programm mindestens ein gesamtes Schuljahr umfasst. Am Ende müssen dann Mentor und Mentee entscheiden, welche weiteren Unterstützungsformate notwendig sind. Vielleicht geht der Mentee aber dann schon über mehrere Monate hinweg eigene Wege – alles ist möglich.

Das Mentoring können auch pensionierte Lehrkräfte übernehmen

Mentoring kostet Zeit. Die Lehrkräfte im Kollegium haben aber nur wenig freie Kapazität, die Neuen sind oft schon viele Stunden im Unterrichtsbetrieb eingebunden. Wie lässt sich dieses Dilemma lösen?
Als Dilemma würde ich die Situation nicht bezeichnen – allenfalls als herausfordernd. Es müssen ja nicht in jedem Fall Lehrkräfte aus der Schule sein. Das wäre natürlich passend, ist aber aufgrund des Zeit- und Lehrkräftemangels realitätsfern. Es gibt zum Beispiel ein Programm der GEW Berlin, bei dem Lehrkräfte aus dem Ruhestand die Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger begleiten – als ehrenamtliches Engagement. Vielleicht ließen sich auch noch andere Personengruppen dafür gewinnen und dieses Engagement ausbauen.

Quereinsteigerinnen und -einsteiger bringen Erfahrungen aus ihrer vorherigen beruflichen Vita mit in die Schule. Wie kann Mentoring dabei helfen, dass die Schule, die Lehrkräfte und der Unterricht von diesen Erfahrungen profitieren?
Die „Lehrerakademie“ an unserer Schule bot den neuen Lehrkräften zum Beispiel einen offenen Raum für den Austausch und Möglichkeiten, von ihren bisherigen beruflichen Erfahrungen zu berichten. Sie brachten oft auch Kontakte zu Expertinnen und Experten mit, die neue Lernmöglichkeiten anbieten konnten oder Ideen für Exkursionen. Gerade wenn es um fächerverbindendes Lernen, Lernen in Projekten, Berufs- und Studienorientierung oder Ganztagsangebote geht, sind das wertvolle Informationen und Anhaltspunkte, die es weiterzuverfolgen gilt. Schule muss sich öffnen. Dafür bieten Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger gute Ansatzpunkte.

Im Austausch entstehen oft neue Ansätze, weil die Neuen ja aus ihrem früheren beruflichen Background oft ganz andere Erfahrungen mitbringen.

Profitieren auch Mentorinnen und Mentoren von so einem Programm?
Natürlich lernen auch die erfahrenen Kolleginnen und Kollegen dabei, denn im Austausch entstehen oft neue Ansätze, gerade weil die Neuen ja aus ihrem früheren beruflichen Background oft ganz andere Erfahrungen mitbringen. Für Lehrkräfte, die ihr gesamtes Leben an der Schule verbracht haben, kann auch dies ein interessanter Input sein und dazu anregen, das eigene Fach aus einer anderen Perspektive zu sehen. Und beim Hospitieren sehen sie nicht nur die neue Lehrkraft, sondern auch die jeweiligen Klassen aus einem anderen Blickwinkel. Es ist also eigentlich eine Win-win-Situation – wenn man neben der Investition an Zeit auch die Vorteile des Mentorings sieht.

Welche Qualifikation brauchen Mentorinnen und Mentoren?
Während sich in vielen pädagogischen Bereichen beispielsweise Fachanleitungen über mehrteilige Weiterbildungen professionalisieren, ist das im Bereich des Lehramts noch nicht ganz so typisch. Dennoch gibt es diese Möglichkeiten, die von den Bundesländern unterschiedlich realisiert werden. Sachsen beispielsweise hat eine mehrteilige Weiterbildung für Mentorinnen und Mentoren initialisiert. Dort geht es zum Beispiel um Beratung und Begleitung, Unterrichtsbeobachtung, fachdidaktische Angebote und eine wertschätzende Kommunikation. Diese Weiterbildung richtet sich an Lehrkräfte, die sowohl Referendarinnen und Referendare als auch Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger begleiten möchten.ch bin kein Freund fertiger Schemata, die im Rahmen von Weiterbildungen abgearbeitet werden sollen. Gut wäre es, wenn auch hier Angebote vorliegen würden, die stärker individualisiert werden könnten. Ideal wäre es, aus einer Reihe an Weiterbildungsangeboten auszuwählen, was man braucht, um die eigenen Potenziale zu entwickeln. Dazu müsste zuvor eine Kompetenzeinschätzung durch die Lehrkraft selbst, aber gegebenenfalls auch eine Fremdeinschätzung durch Kollegen und Kolleginnen oder die Schulleitung erfolgen.

Christin Tellisch hat sich auch in ihrem neuen Buch „Instrumente für eine inklusive Schulentwicklung“ mit dem Thema Quer- und Seiteneinstieg sowie Mentoring beschäftigt. Das entsprechende Kapitel steht hier zum kostenlosen Download bereit.

Zur Person

Christin Tellisch
Christin Tellisch, Vizepräsidentin für Forschung an der Hochschule für angewandte Pädagogik in Berlin
©Ulrich Wethkamp
  • Christin Tellisch ist Professorin für Schulpädagogik und allgemeine Didaktik und Vizepräsidentin für Forschung an der Hochschule für angewandte Pädagogik in Berlin.
  • Zuvor war sie Schulleiterin des Christlichen Gymnasiums „Rudolf Stempel“ in Riesa. Die Leitungsposition an der sächsischen Privatschule hatte sie nach nur einem halben Jahr als Lehrerin für Deutsch, Musik und Latein übernommen und war damals mit 26 Jahren Deutschlands jüngste Schulleiterin. Im Jahr 2018 erhielt die Schule den Sächsischen Schulpreis in der Kategorie „Persönlichkeit macht Schule“.
  • Zu Tellischs Forschungsgebieten gehören u. a. Ganztagsschulentwicklung, Inklusion und fächerübergreifendes Lernen.