Gruppenstunden : Wenn Eltern den Unterricht übernehmen

An der Robert-Bosch-Gesamtschule Hildesheim geben Eltern Unterrichtsstunden der anderen Art und erfahren dabei über die Kinder manchmal mehr als die Lehrkräfte. Ein Vater erzählt vom Abenteuer Schule.

Der Gruppenvater Helge Heinze unterrichtet an der Robert-Bosch-Gesamtschule Hildesheim auf nicht herkömmliche Weise.
©Lars Rettberg (Die Deutsche Schulakademie)

Vier weiterführende Schulen hatte sich Helge Heinze mit seinem Sohn Niclas am Ende der Grundschulzeit in Hildesheim angesehen – die richtige Schule war irgendwie nicht dabei. Erst beim Info-Nachmittag an der Robert-Bosch-Gesamtschule, als ein Vater von den sogenannten „Gruppenstunden“ erzählte, sei der Funke bei beiden sofort übergesprungen. „Ich war gleich neugierig, obwohl ich vorher noch nie Projekte mit Schülerinnen und Schülern gemacht habe“, sagt Heinze.

An der Grundschule seines Sohns seien die Eltern zwar auch aktiv gewesen, aber eher, wenn es darum ging, im Förderverein Schulfeste zu organisieren. In den Unterricht selbst hätten die Eltern wenig Einblick gehabt, und an den Elternsprechtagen sei man im Eiltempo nur den Notenstand durchgegangen.

An der Robert-Bosch-Gesamtschule dagegen übernehmen die Eltern selbst Unterrichtsstunden in Kleingruppen und tauschen sich anschließend mit den Klassenlehrerinnen und -lehrern darüber aus. Dabei bestimmen die Mütter und Väter auch die Inhalte der Gruppenstunden. „Die Schule ist keine Insel für sich. Eltern werden beim Lernen als echte Partner gesehen. Das gefiel mir“, sagt Helge Heinze. Gleich in der fünften Klasse stieg er als „Gruppenvater“ der ersten Stunde in den Schulbetrieb mit ein. Einmal pro Woche hatte er nun zwei Unterrichtsstunden lang Zeit, um mit sechs Kindern Abenteuer zu erleben, Gespräche zu führen, Sport zu machen oder Brettspiele zu spielen.

Sechs Kinder, sechs verschiedene Charaktere

Vor seiner ersten Stunde sei er natürlich aufgeregt gewesen. Wie würden die Kinder auf ihn reagieren? Wie würden sie sich untereinander verstehen, und welche Interessen haben sie? All diese Fragen ließen sich in der theoretischen Einführung nicht klären.

„Es fing dann gleich gut an“, erzählt Heinze. Vier Jungen und zwei Mädchen wurden seiner Gruppe zugeteilt. Sie wollten sich „Die Kuschelbärchen“ nennen, doch Heinze wurde schnell klar, dass das nur ein Witz sein konnte. „Sie waren alles andere als Kuschelbärchen – eher sehr aufgeweckte und sehr verschiedene Charaktere“, sagt er.

Anfangs hat sich Heinze mit seiner Gruppe vor allem auf Aktivitäten in der Schule konzentriert: Mal haben sie gekocht – wobei eher die Kinder dem Vater noch einiges beibringen konnten. Mal haben sie die Turnhalle genutzt. „Die Kinder bildeten schnell eine starke Einheit“, sagt Heinze. Das Verhältnis der Kinder zu ihrem Gruppenvater beschreibt er als „respektvoll und freundschaftlich“.

Die Kinder wissen, dass das kein herkömmlicher Unterricht ist und dass ich kein Lehrer bin. Dadurch verhalten sie sich auch anders.
Helge Heinze, unterrichtender Vater an der Robert-Bosch-Gesamtschule Hildesheim

Es kommen Dinge zur Sprache, die sonst verschwiegen werden

„Die Kinder wissen, dass das kein herkömmlicher Unterricht ist und ich kein Lehrer bin. Dadurch verhalten sie sich auch anders.“ Es würden Dinge besprochen, die im Klassenzimmer nie zur Sprache kämen. Schülerinnen oder Schüler, die sonst vielleicht im Unterricht störten, seien plötzlich umsichtig und hilfsbereit. „Wenn ich die Gruppenstunde im Anschluss mit dem Klassenlehrer auswerte, ist dieser oft ganz überrascht“, sagt Heinze. Es sei manchmal auch für die Lehrerin oder den Lehrer hilfreich, die Kinder aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.

Je enger die Gruppe zusammenwuchs, desto mutiger wurde Heinze. Immer häufiger unternahm er mit „seinen“ Kindern Ausflüge ins Schwimmbad oder auf den Weihnachtsmarkt: „Ich habe gemerkt, dass mir das mehr liegt als Kochen oder Basteln.“ In der sechsten Jahrgangsstufe entwickelte er dann zusammen mit einer Gruppenmutter ein eigenes Projekt mit dem Namen „Hildesheim, was geht?“. Die Kinder kletterten auf Kirchtürme, machten eine Führung durch ein Luxushotel, besuchten soziale Einrichtungen oder schauten im Theater hinter die Kulissen. Für jedes Kind sollte etwas dabei sein, das es in seiner Stadt so noch nie gesehen oder erlebt hat.

Durch diese Gruppenarbeit sei auch die Elternschaft inzwischen sehr gut vernetzt, für demnächst sei sogar an einem freien Tag ein gemeinsamer Ausflug mit der Klasse in einen Freizeitpark geplant. „In der Grundschule kennen sich die Eltern meist noch, aber in der weiterführenden Schule ist das ja eher selten“, sagt Heinze. Er sieht in der Vernetzung einen großen Vorteil: Sollte es mal Probleme geben, zum Beispiel mit Mobbing oder bei Schuldistanz, könnten sich die Eltern untereinander gut austauschen.

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Das Hauptziel der Gruppenstunde ist es, Freude am gemeinsamen Erleben zu entwickeln und die Sozialkompetenz und das Verantwortungsgefühl der Kinder in ihrer Gruppe zu fördern.
©Lars Rettberg (Die Deutsche Schulakademie)

Pizzabacken oder Batiken, Inline-Hockey oder Pantomime – an der Robert-Bosch-Gesamtschule bietet das Konzept der Gruppenstunden Fünft- bis Siebtklässlern eine abwechslungsreiche Ergänzung zum Unterricht. Dabei üben die Schülerinnen und Schüler wichtige soziale Kompetenzen ein, wie zum Beispiel, Entscheidungen kooperativ zu treffen. Eltern leiten die Kleingruppen über ein ganzes Schuljahr und erhalten über ihren Austausch mit den Lehrkräften sowie Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen einen tiefen Einblick in den Schulalltag ihrer Kinder.

Hier geht es zum Konzept „Gruppenstunden mit Eltern“.