Generationenwechsel : Abschied und Neuanfang an der Spitze einer Schule

Helga Boldt hat sich in diesem Schuljahr nach zehn Jahren Schulleitung an der Neuen Schule Wolfsburg in den Ruhestand verabschiedet und ihr Amt an Klaus-Peter Nieschulz übergeben. Das Schulportal hat beide getroffen und nachgefragt, wie der Generationenwechsel an einer Schule gelingen kann.

Die ehemalige Schulleiterin Helga Boldt.
Die ehemalige Schulleiterin der Neuen Schule Wolfsburg hat den Generationenwechsel in der Schulleitung lange vorbereitet.
©Beatrice Jansen
Klaus-Peter Nieschulz im Schulgebäude
Klaus-Peter Nieschulz ist neuer Schulleiter der Neuen Schule Wolfsburg und freut sich über die Unterstützung im Kollegium.
©Florentine Anders

Zwei Tage lang gab es ein rauschendes Abschiedsfest an der Neuen Schule Wolfsburg, als Schulleiterin Helga Boldt in den Ruhestand ging. Sie hatte die Schule in freier Trägerschaft seit ihrer Gründung vor zehn Jahren begleitet und geprägt. Nun war es Zeit für einen Wechsel.

Die Pensionierungswelle, die derzeit die Kollegien der Schulen durcheinanderwirbelt, betrifft auch die Schulleitungen: Zahlreiche Schulleiterinnen und Schulleiter wechseln in den Ruhestand. Eine erste Herausforderung ist es bereits, die offenen Stellen überhaupt mit geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern zu besetzen. Und selbst wenn es gelingt, kompetente Kandidatinnen und Kandidaten zu finden, erleben Schulen nicht selten einen Bruch in ihrer Entwicklung, falls die Übergabe der Schulleitung nicht angemessen vorbereitet worden ist.

Nervennahrung und eine Schultüte für den neuen Schulleiter

Helga Boldt hatte sich entschieden, nicht – wie es normalerweise üblich ist – zum Ende des Schuljahrs aufzuhören, sondern erst nach den trubeligen Anfangswochen des neuen Schuljahrs, in denen sich alles erst mal wieder neu einspielen muss. „Im Nachhinein hat sich das als eine sehr gute Entscheidung erwiesen“, sagt sie. Und das nicht nur, weil das gesamte Kollegium und auch die Schülerinnen und Schüler nach den Ferien mehr Lust und Energie zur Vorbereitung eines großen Abschiedsfests haben. „In den Sommerferien hat man genügend Zeit, die Übergabeangelegenheiten in Ruhe zu ordnen. Und in den ersten Wochen des neuen Schuljahrs ist Routine ganz nützlich, bis sich die Abläufe wieder eingespielt haben“, sagt Boldt. Die Personalbesetzung muss stimmen, neue Kollegen müssen eingeführt, die Stundenpläne nachjustiert, die Einschulungsfeiern gestaltet werden. Um all das konnte Helga Boldt sich noch kümmern, bevor sie die Geschäfte an ihren Nachfolger Klaus-Peter Nieschulz übergab.

Der Mathematiklehrer Nieschulz ist nicht neu an der Schule – er gehört zu jenen Kolleginnen und Kollegen, die fast die gesamte Entwicklung der Schule miterlebt haben. Jahrelang war er bereits als Oberstufenleiter Teil der erweiterten Schulleitung. Und dennoch sind viele Aufgaben in der Position als Direktor Neuland für ihn. Auf einem Sideboard in seinem Büro liegen eine Schultüte, eine Papierkrone und ein kleiner Ranzen, dessen Inhalt vor allem aus „Nervennahrung“ besteht – das Geschenk der Kolleginnen und Kollegen zur Amtsübernahme hat sich bewährt. „Nervennahrung war dringend nötig – die ersten Wochen waren die Hölle!“, sagt Nieschulz und kann dabei immerhin lachen.

Die zweitgrößte Gesamtschule der Stadt

Er habe viel Rückenwind durchs Kollegium bekommen, sagt er. Das habe ihn vor allem in seiner Anfangszeit gestärkt. Und wenn Nieschulz durchs Schulgebäude mit seinen offenen Galerien und Lernnischen geht, wird er nicht nur von den Kolleginnen und Kollegen, sondern auch von den Schülerinnen und Schülern, meist schon von Weitem, gegrüßt. „Wir proben gerade eine 17-Stunden-Oper von Wagner“, erzählt bei dieser Gelegenheit eine Schülerin aus der Oberstufe. In einer Klasse der Schulanfangsphase wird der Schulleiter bei seinem Rundgang von den Kindern spontan zum Frühstück eingeladen, das sie gerade gemeinsam zubereiten. Die Neue Schule Wolfsburg ist eine Ganztagsschule, die von der ersten Klasse bis zum Abitur führt. Sie ist in freier Trägerschaft, doch Schulgeld müssen die Eltern nicht zahlen. Die Schule wird gefördert durch die Volkswagen AG und die Stadt Wolfsburg und soll offen für alle sein. Der besondere Fokus liegt auf der Förderung aller Begabungen der Kinder und auf Internationalität.

Seit ihrer Gründung vor neun Jahren wächst die Schule stetig. Vor zwei Jahren wurde ein neuer Anbau eröffnet, der alle Elemente des modernen Schulbaus in sich vereint. Inzwischen ist die Neue Schule Wolfsburg mit 1.000 Schülerinnen und Schülern bereits die zweitgrößte Gesamtschule der Stadt. Heute sei die Schule „ein Leuchtturm in der Stadt Wolfsburg und darüber hinaus“, lobte VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh die Verdienste der langjährigen Schulleiterin Helga Boldt bei ihrer Verabschiedung. Wird das auch nach dem Wechsel in der Schulleitung so bleiben?

Bilanz vor dem Wechsel in der Schulleitung gibt Orientierung

Helga Boldt sieht der Zukunft der Schule optimistisch entgegen. „Mir war klar, dass ich die Schule nach zehn Jahren abgeben werde, deshalb habe ich den Übergang langfristig vorbereitet“, sagt sie. Von Anfang an habe sie Kolleginnen und Kollegen gefördert, die Ambitionen zeigten, eine Führungsposition zu übernehmen. Unter anderem durch Fortbildungen. Zum einen ging es dabei um die Herausbildung von flachen Hierarchien und um die Entwicklung eines kooperativen Schulleitungsteams, zum anderen um die Option, dass sich aus diesem Kreis potenzielle Amtsnachfolger herausbilden könnten. Auch Nieschulz hatte eine solche Weiterbildung absolviert und gehörte dem Leitungsteam an.

„Mir war klar, dass ich die Schule nach zehn Jahren abgeben werde, deshalb habe ich den Übergang langfristig vorbereitet“
Helga Boldt, ehemalige Schulleiterin

Für die inhaltliche Kontinuität sorgte Helga Boldt mit der Einrichtung einer sogenannten Profilgruppe aus Lehrkräften, Eltern, Schülerinnen und Schülern, die in einem eineinhalbjährigen Prozess eine Bilanz der ersten zehn Jahre zog, das Profil der Schule formulierte und wichtige Entwicklungsziele für die Zukunft identifizierte. In dieser Gruppe wurde intensiv darüber diskutiert, wie das Gründungskonzept der Schule in die Praxis umgesetzt worden ist. Welche Formate gut funktionieren, wo es hakt und vor welchen neuen Herausforderungen die Schule steht.

Zu den Besonderheiten der Neuen Schule Wolfsburg gehört zum Beispiel, dass die kleineren Kinder ein breites Angebot durchlaufen, während die größeren Schülerinnen und Schüler dann je nach Interessen und Neigung eigene Schwerpunkte setzen können. „Auf diese Weise müssen sich die Jugendlichen nicht durch Musikstunden quälen, während sie sich viel lieber in Kunst oder Theater vertiefen würden“, sagt Boldt.

Besonderheiten im Konzept der Schule schriftlich festhalten

Es sei wichtig gewesen, sich innerhalb der Schule nochmals bewusst zu machen, warum bestimmte Konzepte – zum Beispiel der gebundene Ganztag, die Altersmischung im Primarbereich, das parallele Lernen von Englisch und Spanisch, das gemeinsame Essen – eingeführt wurden, und dies dann auch schriftlich festzuhalten, so die Ex-Schulleiterin. Ein partizipativ angelegter Prozess der Reflexion und der bewussten Fortführung bewährter Praktiken schließe die eine Entwicklungsphase der Schule ab und öffne den Blick für das Neue, was kommt. „So können auch nachfolgende Generationen herleiten, wie konzeptionelle Besonderheiten der Schule entstanden sind, und sich auf dieser Basis in die Weiterentwicklung der Schule einbringen“, sagt Boldt.

Klaus-Peter Nieschulz ist angetreten, um genau dieses Konzept fortzuführen. Und dennoch wird er einiges anders machen als seine Vorgängerin. „Für mich ist es zum Beispiel ganz wichtig, dass ich auch weiterhin einige Stunden Mathematik unterrichten kann“, sagt Mathematiker Nieschulz, der über den Quereinstieg aus der Wissenschaft an die Schule gekommen ist. Der Mathematikunterricht sei seine Leidenschaft, und auf diese Weise will er auch den Draht zu den Schülerinnen und Schülern halten.

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