Präsenzzeiten : In dieser Schule haben alle Lehrkräfte einen eigenen Arbeitsplatz

In der Gemeinschaftsschule Harksheide in Schleswig-Holstein entwickeln die Lehrkräfte gemeinsam das gesamte Unterrichtsmaterial und alle Unterrichtseinheiten. Damit das machbar ist, hat die Schule in Norderstedt zwei Konferenztage in der Woche eingerichtet und bietet allen Lehrerinnen und Lehrer einen eigenen Arbeitsplatz. Das Schulportal hat sich vor Ort angeschaut, wie die Schule die Präsenzzeiten umsetzt.

Gemeinschaftsschule Harksheide Lehrkräfte haben hier mehr Präsenzzeiten
Unterricht wird an der Gemeinschaftsschule Harksheide gemeinsam entwickelt.
©Patricia Haas
Raum in der Schule Harksheide
In der Schule gibt es viele Räume, in denen sich die Teams besprechen können
©Patricia Haas
Konferenz: Lehrer am Tisch
An zwei Tagen in der Woche gibt es feste Konferenzfenster an der GMS Harksheide.
©Patricia Haas

Wer auf die Gemeinschaftsschule Harksheide zuläuft und auf die großen Fensterfronten im ersten Stock schaut, ist überrascht: Dahinter sieht es aus wie in einem großen Büro. Zu sehen sind in mehreren Reihen Arbeitsplätze, abgetrennt mit Regalen und Schränken. Es ist das Lehrerzimmer der Schule, in dem alle Lehrkräfte ihren eigenen Arbeitsplatz haben.

An den meisten Schulen fahren die meisten Lehrkräfte nach der Unterrichtszeit nach Hause und machen dort die Vorbereitung und Nachbereitung des Unterrichts. An der Gemeinschaftsschule Harksheide in Norderstedt, einer mittelgroßen Stadt nördlich von Hamburg, ist das anders. Im Lehrerzimmer sitzen fast immer Kolleginnen und Kollegen und arbeiten – in ihren Freistunden oder auch am Nachmittag nach Schulschluss. Alle haben ein eigenes Dienstgerät und genug Platz in Regal und Schrank, um ihre Arbeitssachen zu verstauen.

Statt Lehrerzimmer gibt es ein „Großraumbüro“ und ein „Wohnzimmer“

Vor sieben Jahren ist die Schule, die 2022 für den Deutschen Schulpreis nominiert war, in das kernsanierte Gebäude gezogen und hat das Lehrerzimmer von Anfang an gleich entsprechend konzipiert. Eigentlich sind es zwei Lehrerzimmer. Neben dem „Großraumbüro“, in dem geschäftige Ruhe herrscht, gibt es das sogenannte „Wohnzimmer“ – oder der „Chill Room“, wie er auch gern genannt wird – mit Küchenzeile, großen Tischen und Sitzgelegenheiten, die zum Austausch und Verweilen einladen und in dem auf den ersten Blick nichts an Schule erinnert. „Das wollte das Kollegium so“, erklärt Schulleiter Rainer Bülck. In der ersten Planung sollte im „Wohnzimmer“ mal der große Konferenzplan hängen, aber den habe das Kollegium gleich nach nebenan ins Lehrerzimmer verbannt.

Fest vereinbarte Präsenzzeiten für Konferenzen

Der Konferenzplan ist ein DIN-A2-großer Kalender, auf dem alle Wochen des laufenden Schuljahres zu sehen sind. Handschriftlich und mit verschiedenen Farben werden hier alle Konferenzen und weiteren Teamtreffen eingetragen. „Bei uns läuft das meiste digital, aber der Plan funktioniert analog noch am besten“, erklärt der Schulleiter.

Es gibt zwei Konferenztage in der Woche, die sich alle Lehrkräfte frei halten müssen. Am Montag-  und Donnerstagnachmittag sind das jeweils zwei Stunden nach dem Ganztagsbetrieb, der an der Schule bis 15 Uhr läuft.

Für die Kolleginnen und Kollegen bringen die zwei Konferenztage eine größtmögliche Planungssicherheit. Sie wissen immer, wann sie in der Schule verfügbar sein müssen.
Iris Sajons, Unterstufenkoordinatorin der Gemeinschaftsschule Harksheide

An den Konferenztagen finden Lehrerkonferenzen, Fachkonferenzen, pädagogische Konferenzen und am Ende jedes Halbjahres Zeugniskonferenzen statt. Die Termine werden immer vor Beginn des aktuellen Halbjahres in den Plan eingetragen. Zusätzlich können auch Kolleginnen und Kollegen selbst in diesen Präsenzzeiten Teamtreffen und Besprechungstermine untereinander vereinbaren. Einmal in der Woche ist auch eine Elternsprechstunde an den Konferenztagen vorgesehen.

Schulleiter Rainer Bülck und Unterstufenkoordinatorin Iris Sajons
Schulleiter Rainer Bülck und Unterstufenkoordinatorin Iris Sajons haben das pädagogische Konzept der Schule von Anfang an mit umgesetzt.
©Annette Kuhn

Präsenzzeiten führen zu Entlastung

Alle Termine – auch die zwischen einzelnen Lehrkräften – werden in den Konferenzplan eingetragen, sodass jeder sieht, wer wann verfügbar ist oder nicht. Wer keine Konferenzen und Teambesprechungen hat, muss natürlich nicht in der Schule bleiben.

„Für die Kolleginnen und Kollegen bringen die zwei Konferenztage eine größtmögliche Planungssicherheit. Sie wissen immer, wann sie in der Schule verfügbar sein müssen, und werden nicht von spontan anberaumten Terminen überrascht“, erklärt die Unterstufenkoordinatorin Iris Sajons. Und die meisten hätten erkannt, dass Präsenztreffen einen großen Mehrwert haben, versichert Rainer Bülck.

Für die Besprechungen in den Teams stehen auch kleinere Konferenzzimmer und Differenzierungsräume zur Verfügung, die zwischen den meisten Klassenräumen liegen.

Jede Lehrerin und jeder Lehrer haben natürlich ihre eigene Art zu unterrichten, aber die Inhalte sind verlässlich ¬– und damit ist auch die Qualität des Unterrichts nicht abhängig von einer Person.
Rainer Bülck, Schulleiter der Gemeinschaftsschule Harksheide

Dass an der Gemeinschaftsschule Harksheide so viele Konferenzen und Besprechungen stattfinden, ist kein Selbstzweck, sondern gehört zum Konzept der Schule, denn hier plant nicht jede Lehrkraft den Unterricht für sich allein, sondern die Unterrichtsplanung und die Entwicklung des Unterrichtsmaterials finden ausschließlich im Team statt. Dieses kooperative Arbeiten erfordert auch mehr Absprachen im Team. „Präsenzkultur und gemeinsame Unterrichtsvorbereitung bedingen sich gegenseitig“, erklärt der Schulleiter.

Alle Unterrichtsinhalte, Materialien und auch die Klassenarbeiten sind mittlerweile in allen drei Klassen eines Jahrgangs gleich und liegen in digitalisierter Form für alle zugänglich auf der Lernplattform „itslearning“. Am Ende jedes Schuljahres wird evaluiert, was gut lief und wo möglicherweise noch Optimierungsbedarf ist.

„Jede Lehrerin und jeder Lehrer haben natürlich ihre eigene Art zu unterrichten“, sagt der Schulleiter, „aber die Inhalte sind verlässlich, und damit ist auch die Qualität des Unterrichts nicht abhängig von einer Person.“ Und die Unterstufenkoordinatorin ergänzt: „Nicht jeder Kollege muss das Rad selbst neu erfinden.“ Die gemeinsame Unterrichtsentwicklung führt daher auch aus ihrer Sicht zu einer großen Entlastung.

Die Schule differenziert auf drei Niveaustufen

Allerdings sei der Weg dahin lang und steinig gewesen, räumt Rainer Bülck ein. Der Weg begann, als 2009 aus der früheren Realschule die Gemeinschaftsschule Harksheide wurde. Das machte es erforderlich, viel stärker im Unterricht zu differenzieren. Drei Niveaustufen mussten abgedeckt werden, um alle Kinder je nach Schulart-Empfehlung abzuholen.

Da die Gemeinschaftsschule außerdem eine inklusive Schule ist und Kinder mit unterschiedlichen sonderpädagogischen Förderbedarfen und auch Kinder mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ) aufnimmt, sind weitere Differenzierungen erforderlich. „Allein kann eine Lehrkraft das gar nicht leisten, auf so vielen Niveaustufen gleichzeitig Unterricht zu realisieren“, sagt Bülck. Darum ergriff die Schule mit der Änderung der Schulart die Gelegenheit, ihr pädagogisches Konzept umzustellen und die gemeinsame Unterrichtsplanung in den Fokus zu rücken.

Fünf Jahre hat die Umstellung der Arbeitsstrukturen gedauert

Angefangen bei Klassenstufe 5 wurden nach und nach, aufwachsend für alle Jahrgangsstufen, Unterrichtseinheiten, Unterrichtsmaterial und Klassenarbeiten entwickelt. Das sei zuerst sehr anstrengend gewesen, weil die Strukturen, auf die heute alle zurückgreifen können, ja erst aufgebaut werden mussten und weil die Schulleitung das Kollegium ins Boot holen musste. Etwa fünf Jahre habe dieser Prozess gedauert. Und auch wenn die Bereitschaft groß gewesen sei, im Team zu arbeiten, weil auch anders die Differenzierung gar nicht realisierbar gewesen wäre, gibt Rainer Bülck durchaus zu: „Nicht alle kamen mit dem Konzept gut zurecht.“ Etwa ein Drittel der Lehrerinnen und Lehrer haben damals die Schule verlassen, weil sie sich in ihrer pädagogischen Freiheit eingeschränkt sahen.

Und es ging auch nicht nur um die pädagogische Freiheit, sondern ebenso um die Freiheit der Arbeitszeitgestaltung. Bülck weiß, dass das Thema Präsenzzeiten in der Schule sensibel ist. „Anfangs hatten wir sogar vier Konferenztage in der Woche“, erzählt der Schulleiter, aber dafür habe die Akzeptanz gefehlt. Mit den zwei Präsenztagen in der Schule kämen alle nun gut zurecht – „aber eben auch nur, weil wir die Voraussetzungen, also die Arbeitsplätze in der Schule, geschaffen haben.“ Sonst hätten manche Lehrkräfte möglicherweise stundenlang Leerlauf, den sie nicht sinnvoll nutzen könnten.

Manche Lehrkräfte arbeiten auch am Wochenende in der Schule

Inzwischen arbeiten immer mehr Lehrerinnen und Lehrer in der Schule, auch wenn sie gerade nicht auf eine Konferenz oder eine Besprechung warten. Oft heißt es: „In der Schule schaffe ich nichts“ – für die Gemeinschaftsschule Harksheide gilt das offenbar nicht. Neben den kurzen Wegen zum Kopierer und zum Laminiergerät und den schnellen Austauschmöglichkeiten im Kollegium können manche Lehrerinnen und Lehrer am Schularbeitsplatz offenbar ungestörter arbeiten als zu Hause. Manche blieben über die Präsenzzeiten hinaus sogar bis zum Abend oder kämen auch am Wochenende, sagt der Schulleiter. Alle haben einen Transponder und könne daher jederzeit in die Schule kommen. Manche würden sogar ihre Arbeitssachen gar nicht mehr mit nach Hause nehmen, sondern in der Schule lassen. „Wichtig“, betont der Schulleiter aber, „ist, dass die Kolleginnen und Kollegen selbst entscheiden, ob sie in der Schule oder zu Hause arbeiten.“

Rainer Bülck hofft, dass die Schule die Präsenz- und Arbeitskultur so aufrechterhalten kann, denn allmählich wird es eng im „Großraumbüro“. Als die Schule das neue Gebäude bezog, gab es 25 Lehrerinnen und Lehrer – inzwischen sind es 40. Und die Schule soll bald vierzügig werden. Damit wird auch das Kollegium weiter wachsen und noch mehr Arbeitsplätze brauchen.

Aber irgendwie wird diese Schule einen Weg finden. Im Finden von Lösungen und in der Bewältigung von Herausforderungen ist sie ja geübt. Nur eine Lösung kommt für Schulleiter Rainer Bülck nicht infrage: eine Abkehr von der Präsenzkultur.

Nominiert für den Deutscher Schulpreis 2022

  • Die Gemeinschaftsschule Harksheide in Schleswig-Holstein gehörte zu den 15 nominierten Schulen für den Deutschen Schulpreis 2022.
  • Die nächste Bewerbungsrunde läuft bereits: