Forscher über den Fall Özil : „Schule muss Vielfalt zur Kompetenz erklären“

Migrationsforscher Haci-Halil Uslucan erklärt im Interview mit dem Deutschen Schulportal, was die aktuelle Debatte um Mesut Özil für Kinder und Jugendliche mit türkischen Wurzeln in Deutschland bedeutet und welche Aufgabe Schule jetzt übernehmen muss.

Fußballer Mesut Özil
Die aktuelle Debatte um den Rücktritt von Mesut Özil beschäftigt nicht nur DFB und Politik, sondern auch die vielen Menschen mit türkischen Wurzeln, die in Deutschland leben.
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Deutsches Schulportal: Mesut Özil ist mehr als nur Fußballspieler. Gerade für türkischstämmige Kinder und Jugendliche ist er auch ein Vorbild. Ist diese Rolle jetzt gefährdet?
Haci-Halil Uslucan: FC Arsenal, Real Madrid, Werder Bremen, FC Schalke 04, fast 100 Länderspiele – Mesut Özil hat es weit gebracht. Das schafft nicht jeder; insofern ist er nach wie vor ein Vorbild für viele.

Was Mesut Özil erlebt hat, ist keine marginale Erfahrung, sondern spiegelt das Erleben vieler Menschen wider.
Migrationsforscher Haci-Halil Uslucan

Was bedeutet die Debatte um Mesut Özil für Schülerinnen und Schüler mit türkischen Wurzeln in Deutschland?
Sport verspricht – anders als Schule – für viele Migrantinnen und Migranten die Chance, sich auch mit weniger guten Sprachkenntnissen erfolgreich integrieren zu können. Im Sport führen Werte wie Disziplin, Teamplay oder Ehrgeiz zum Erfolg, auch wenn man die Sprache nicht perfekt beherrscht. Das Vertrauen in diese Einsicht ist erschüttert, sie wird jetzt hinterfragt. Das Signal ist fatal: Es zeigt, dass man trotz guter Leistungen nicht dazu gehört.

Migrationsforscher Haci-Halil Uslucan
Uslucan ist überzeugt, dass sich Schule in die aktuelle Debatte einmischen muss.
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Sie haben kürzlich die aktuelle Studie zur Identifikation und politischen Partizipation türkischstämmiger Zugewanderter vorgestellt. Demnach fühlten sich zuletzt türkischstämmige Menschen wieder stärker mit der Türkei und weniger mit Deutschland verbunden. Wie wird die Diskussion um Özil die Ergebnisse beeinflussen?
Die jüngsten Ereignisse werden nicht ohne Konsequenzen bleiben. Seit 1999 untersuchen wir die heimatliche Bindung der in Nordrhein-Westfalen lebenden Türkinnen und Türken. Fast jeder zweite Türkeistämmige fühlt sich hierzulande der Türkei zugehörig. Als Thilo Sarrazin mit seinen kontroversen Thesen von sich reden machte, lag der Anteil jener, die angaben, mindestens einmal eine Diskriminierungserfahrung im vorangegangenen Jahr gemacht zu haben, bei etwa 80 Prozent.
Was Mesut Özil erlebt hat, ist also keine marginale Erfahrung, sondern spiegelt das Erleben vieler Menschen wider. Klar, er hat einen Fehler gemacht, aber die Antwort darauf ist völlig überzogen. Ob dieses Thema die Gesellschaft weiter spaltet, hängt auch davon ab, wie zum Beispiel DFB und Politik darauf reagieren. Im Fußball ist das Nachtreten immer schlimmer als ein Foul.

Ausgrenzung belastet Freundschaften

Was kann Schule in dieser Hinsicht leisten?
Schule muss Vielfalt leben und zeigen, dass Vielfalt Normalität und nicht die Ausnahme ist. Es darf kein Kriterium sein, ob eine Schülerin oder ein Schüler hier geboren ist oder nicht. Die Kinder und Jugendlichen sollten sich nicht erklären müssen. Wenn das Thema Ausgrenzung zu viel Raum einnimmt, belastet das Freundschaften und Partnerschaften. Dann wird aus einem Freund ganz schnell der Türke oder der Araber. Schule muss schaffen, dass die Trennung zwischen „wir“ und „ihr“ aufgehoben wird.

Schule muss Vielfalt leben und zeigen, dass Vielfalt Normalität und nicht die Ausnahme ist.
Migrationsforscher Haci-Halil Uslucan

Wie kann das gelingen? Genügt es, dass Schule Vielfalt lebt oder sollten Lehrerinnen und Lehrer ganz konkret, zum Beispiel in ihrem Unterricht, auf das Thema eingehen?
Lehrkräfte können zum einen die Gemeinsamkeiten stärken, statt die Unterschiede hervorzuheben. Zum anderen können sie Vielfalt zur Kompetenz erklären und beispielsweise danach fragen, wer mehrsprachig ist und wer nur eine Sprache spricht – statt zu fragen, wer gut oder weniger gut Deutsch beherrscht.

Zur Person

Auf einen Blick

  • Das ZfTI untersucht seit fast 20 Jahren die „Identifikation und politische Partizipation türkeistämmiger Zugewanderter“ in Nordrhein-Westfalen.
  • Die jüngste repräsentative Befragung wurde auf ganz Deutschland ausgeweitet.
  • Die zentralen Ergebnisse: Rund die Hälfte aller Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland betrachten ausschließlich die Türkei als Heimat. Allerdings fühlt sich der größte Teil beiden Ländern zugehörig.
  • Haci-Halil Uslucan geht davon aus, dass die aktuelle Integrationsdebatte um Mesut Özil die heimatliche Verbundenheit der Türkeistämmigen beeinflussen wird.
  • Der ZfTI-Leiter sieht neben der Politik und Zivilgesellschaft auch die Schule in der Verantwortung, um eine weitere Spaltung zu bremsen.

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