Interview : Elternarbeit muss Thema der Schulentwicklung werden
Viele Lehrkräfte sehen in der Kooperation mit den Eltern eine ihrer größten Herausforderungen in der Schule. Das Schulportal sprach mit Bildungsforscherin Anne Sliwka von der Universität Heidelberg darüber, warum das Verhältnis zwischen Lehrkräften und Eltern oft so schwierig ist und welche Wege es gibt, daran etwas zu ändern.
Schulportal: Frau Sliwka, laut einer aktuellen Forsa-Umfrage sehen die Lehrkräfte in der Zusammenarbeit mit den Eltern aktuell eine ihrer größten Herausforderungen an der Schule. Warum ist die Beziehung zu den Eltern für die Lehrkräfte so schwierig?
Anne Sliwka: Das Ergebnis der Umfrage überrascht mich nicht. Lehrkräfte stehen an den meisten Schulen sehr isoliert den Eltern gegenüber. Nur selten gibt es da eine im Team abgestimmte Strategie. Zudem haben gerade Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen eine große Heterogenität in der Klasse. Die Kinder liegen in ihrem Entwicklungsstand bis zu drei Jahre auseinander. Da ist es kaum möglich, jedem einzelnen Kind gerecht zu werden, und angesichts des Lehrermangels verstärkt sich dieses Problem noch. Hier wären eigentlich multiprofessionelle Teams nötig.
Die Eltern werfen der Lehrkraft vor, sie würde nicht genug für das Kind tun, und die Lehrkräfte geben den Eltern die Schuld.
Demgegenüber stehen Eltern, die naturgemäß das Beste für ihr Kind wollen. Auch die Eltern stehen unter Druck. Sowohl die sogenannten Helikoptereltern, die dafür sorgen wollen, dass ihr Kind einen Bildungsvorsprung hat, als auch die Eltern, die ihren Kindern keine besondere Förderung geben können, weil ihnen zum Beispiel die Sprachkompetenzen fehlen. In der Praxis führt diese Konfrontation dann häufig zu einem wechselseitigen „Blaming“: Die Eltern werfen der Lehrkraft vor, sie würde nicht genug für das Kind tun, und die Lehrkräfte geben den Eltern die Schuld.
Als Bildungsforscherin richten Sie den Blick auch oft ins Ausland. Haben Sie den Eindruck, dass die Konfrontation zwischen Elternhaus und Schule hierzulande besonders ausgeprägt ist?
Es gibt in Deutschland in dieser Hinsicht einige ungünstige Bedingungen. So setzt zum Beispiel die frühe Selektion der Kinder nach der Grundschule die Eltern zusätzlich unter Druck. Zudem ist hier bekanntlich der Bildungserfolg sehr stark vom Elternhaus abhängig. Das heißt, die Sorge der Eltern, die Kinder würden in der Schule nicht ausreichend gefördert, ist ja berechtigt. Da fehlt ein Stück Vertrauen in die staatliche Institution.
Da fehlt ein Stück Vertrauen in die staatliche Institution.
Das ist beispielsweise in Estland und Finnland anders. Zudem gibt es in Deutschland im Vergleich zu diesen Ländern ein relativ großes soziales Gefälle – das steigert die Abstiegsängste. Und dann gibt es Länder, wie etwa Kanada, in denen die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Eltern und Lehrkräften institutionell viel weiter entwickelt ist. Da finden auf der Grundlage von Diagnostik regelmäßig Entwicklungsgespräche statt, und dann wird gemeinsam überlegt und aufeinander abgestimmt, was Schule und was Eltern leisten können, um das Kind weiter voranzubringen.
Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, um das Verhältnis zu verbessern?
Aus meiner Sicht muss die Elternarbeit als ein Thema der Schulentwicklung erkannt werden. Es bringt nicht viel, zu sagen, „wir haben jetzt alle ein partnerschaftliches Verhältnis“, und dann die Lehrkräfte damit alleinzulassen. Jede Schule muss – auch im Dialog mit den Eltern – die Rollenerwartungen an Eltern und an Lehrkräfte klären. Sonst entstehen auf beiden Seiten unrealistische Erwartungen. Eine Mutter, die kaum Deutsch spricht, kann zum Beispiel nicht die Deutschkenntnisse ihres Kindes fördern. Sie kann aber beispielsweise dafür sorgen, dass das Kind rechtzeitig ins Bett kommt. Außerdem ist es wichtig, Zeiten für den Austausch zu institutionalisieren. Es gibt schon ganz erfolgreiche Modellversuche für eine solche Bildungs- und Erziehungspartnerschaft.
Es bringt nicht viel, zu sagen, „wir haben jetzt alle ein partnerschaftliches Verhältnis“, und dann die Lehrkräfte damit alleinzulassen.
Welche Qualitätsmerkmale gehören aus Ihrer Sicht unbedingt zu einer gelungenen Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und Eltern?
Wichtig sind auf jeden Fall wechselseitige Transparenz der Erwartungen und auch die Ansprechbarkeit. Und mit „Ansprechbarkeit“ meine ich nicht, dass die Eltern die Lehrkraft jederzeit zwischen Tür und Angel mit ihren Anliegen ansprechen können. Vielmehr muss es geregelte Zeiten für den Austausch geben. Außerdem sollte die Schule auch mal neue soziale Formate erproben. Das gelingt zum Beispiel, wenn man aus dem klassischen Elternabend mal einen schulübergreifenden Workshop macht, zu dem jeder etwas für das Buffet mitbringt und dann, nach einem gemeinsamen Abendessen, Lehrkräfte und Eltern im Dialog Ideen für ein besseres Miteinander entwickeln.
Ein besonderes Konzept der Elternarbeit hat die Robert-Bosch-Gesamtschule in Hildesheim entwickelt: Eltern leiten Kleingruppen im Rahmen des Unterrichts über ein ganzes Schuljahr und erhalten durch ihren Austausch mit den Lehrkräften sowie mit Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen einen tiefen Einblick in den Schulalltag ihrer Kinder. Auf dem Schulportal ist das Konzept mit einem Video und umfangreichem Material veranschaulicht.
In dem Artikel „Wenn Eltern den Unterricht übernehmen“ erzählt ein Vater der Robert-Bosch-Gesamtschule, welche Erfahrungen er mit dem Konzept gemacht hat und wie es die Beziehungskultur zwischen Eltern und Lehrkräften verändert hat.