Arbeitsprotokoll : Ein Tag mit der Schulaufsicht in Bremen-Nord

Das Schulportal hat einen Tag lang die Schulaufsicht in Bremen-Blumenthal begleitet. In dieser Stadtgemeinde haben sich die Oberschulräte vor einiger Zeit für eine andere Form der Zusammenarbeit zwischen Schulen und Schulaufsicht entschieden, um die besonderen sozialen Herausforderungen dort gemeinsam mit den Schulleitungen zu bewältigen. Ein Arbeitsprotokoll zeigt, wie das Modell funktioniert und wo die Beteiligten an ihre Grenzen stoßen.

Schulaufsicht in Bremen
Olaf Genthe-Welzel arbeitet für die Schulaufsicht in Bremen-Nord und begleitet dort die Grundschulen.
©Fabian Schindler

Die Schulaufsicht der Stadtgemeinde Bremen ist in ihrer Zuständigkeit in verschiedene Regionen und nach Schulformen aufgeteilt. Die Schulaufsichtsregion in Bremen-Nord besteht aus drei Planbezirken. Im Planbezirk 53 – Blumenthal – haben sich die dortigen Schulen (fünf Grundschulen und drei Oberschulen) mit der zuständigen Schulaufsicht auf den Weg gemacht, die bereits bestehende Vernetzung so zu systematisieren und zu intensivieren, dass die Schülerinnen und Schüler den bestmöglichen Bildungserfolg erreichen können. Hierbei ist Schulaufsichtsbeamtin Elke Wolf verantwortlich für die weiterführenden Schulen in Bremen-Nord, Olaf Genthe-Welzel ist für die Grundschulen zuständig.

Bremen-Blumenthal ist von einem großen Strukturwandel in den vergangenen Jahren geprägt. Der Niedergang der dortigen Industriestandorte hat zu Arbeitslosigkeit, dann zu Wohnungsleerstand und Mietpreisverfall geführt. Dieser günstige Wohnraum wird seit 2015 durch Geflüchtete und Zugewanderte aus EU-Staaten wieder genutzt. Die Folge war eine weitere Ballung prekärer Lebenslagen im Quartier und somit in den Schulen.

„Eine Region wird besser“ lautet die Devise 

8 Uhr: Elke Wolf und Olaf Genthe-Welzel betreten ihre Büros im zweiten Stock des Hauses der Senatorin für Kinder und Bildung der Hansestadt Bremen. In Bremen gibt es zehn Schulaufsichtsreferentinnen und -referenten für die allgemeinbildenden Schulen. Ginge es nach ihnen, wäre die Zahl viel größer, denn das Team hat alle Hände voll zu tun. Bereits früh am Morgen liegen bei den beiden Mails mit Anfragen von Schulen vor. Im Laufe des Tages sind es zahlreiche Mails, die gelesen, sortiert, weitergeleitet oder beantwortet werden müssen. Das Telefon klingelt zwischendurch, Kolleginnen und Kollegen fragen nach aktuellen Informationen. Luft holen – und überlegen, wie und mit welcher Priorität die vielen Aufgaben des Tages flexibel angegangen werden können.

9 Uhr: Kurzbesprechung mit Referatsleiter Karsten Thiele. Dieser umreißt die Herausforderungen, das Umfeld des Planbezirks Blumenthal. Angesichts der sozialen Herausforderungen haben sich die Schulen mit der Schulaufsicht der Devise „Eine Region wird besser“ verschrieben. Neben innerschulischen Prozessen sollen weitere Maßnahmen im sozialen Umfeld der Schule dazu beitragen, dass die Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit ihrem Stadtteil gestärkt werden.

9.30 Uhr: Olaf Genthe-Welzel verlässt das Büro. Heute hat er einen Termin in einer Grundschule. Eine von 16 Schulen, die ihm zugeordnet sind. Mindestens einmal im Jahr besucht er jede Schule im Rahmen eines Schulbesuchs, auch um Zielvereinbarungsgespräche zu führen. Genthe-Welzel war viele Jahre Lehrer in Bremen, dann Schulleiter. Vor siebeneinhalb Jahren ist er gefragt worden, ob er in die Schulaufsicht gehen wolle. Er hat sich dafür entschieden, um stärker gestalten zu können.

10 Uhr: Ankunft an der Grundschule. Kinder spielen vergnügt Fußball auf dem Hof. Die Schulleiterin begrüßt ihn herzlich. Im Büro der Schulleiterin wird der heutige Ablaufplan besprochen und was sonst noch ansteht: etwa die Frage, wie sichergestellt werden soll, dass sich ein Kind mit Autismus an der Schule „austoben“ kann, ohne sich zu verletzen. Oder ob die Schule ein weiteres Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf aufnehmen kann, trotz Personalmangels. Genthe-Welzel macht sich viele Notizen.

10.15 Uhr: Begrüßung in der Aula. Die Kinder versammeln sich zum Singen und Vortragen von neuen Schulregeln. Genthe-Welzel wird von den 280 Schülerinnen und Schülern mit Applaus empfangen. „Das erlebe ich nicht oft“, sagt er und lacht.

Hospitationen im Unterricht

10.30 Uhr: Hospitation in einer dritten Klasse. Die Lehrerin scheint die Klasse sehr gut im Griff zu haben, geht auf individuelle Fragen ein; die Kinder sind engagiert im Unterricht. Ein Bewertungsbogen wird ausgefüllt – wie bei jeder Hospitation: Wie viele Kinder sind in der Klasse, wie sind die Tische angeordnet? Dominiert Frontalunterricht? Werden unterschiedliche Lernhorizonte wahrgenommen? Welche Beziehung ist zwischen Lehrkraft und Kindern zu erkennen? Wurde pünktlich begonnen, und gibt es Rituale, die das Lernen unterstützen? Genthe-Welzel macht viele Häkchen und Notizen. Fünf Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf befinden sich in der Klasse. Sie sind gut integriert.

10.55 Uhr: Genthe-Welzel nimmt nun in einer ersten Klasse auf einem Stuhl Platz. Die Klasse ist viel unruhiger. Die Schulleiterin berichtet von Kindern, die besondere Unterstützung brauchen. Manche verweigern sich, haben Wutausbrüche, andere sind antriebslos.

11.15 Uhr: Nachbesprechung im Büro der Schulleiterin. Für ein Kind, das aufgrund persönlicher Schicksale völlig traumatisiert ist, muss eine besondere Unterstützung gefunden werden. Hierzu wird die Jugendhilfe mit einbezogen, um eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten. Weitere Themen in dem kurzen Austausch mit der Schulleiterin sind die Anschaffung neuer Lehrbücher für den inklusiven Unterricht, die Drogenproblematik im Umfeld der Schule, der Krankenstand im Kollegium, die fehlenden Fachkräfte in der Sonderpädagogik und ebenso die dringend benötigten Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter.

Kooperation auf Augenhöhe lautet der neue Ansatz der Schulaufsicht

13.00 Uhr: Zurück in der Bildungsbehörde. Kurze Besprechung mit Kollegin Elke Wolf, die die weiterführenden Schulen seit zwei Jahren betreut. Zuvor lebte Wolf mehrere Jahre in Großbritannien und Neuseeland, wo sie als Lehrerin und stellvertretende Schulleiterin tätig war. „Dadurch kann ich andere Perspektiven mit einbringen“, sagt sie. In Neuseeland beispielsweise sei die Autonomie der Schulen noch viel stärker ausgeprägt als in Deutschland. Wolf bereitet sich auf ein Treffen mit mehreren Schulleiterinnen und Schulleitern vor. Wieder klingelt das Telefon. Ein Zwischenfall an einer Schule. Wolf beruhigt die Schulleitung, gibt Hinweise, was zu tun ist. Nächster Anruf: Ein weiteres Kind muss inklusiv beschult werden, aber wo ist noch Platz?

Schulaufsicht Bremen
Ein kompletter Tag Büroarbeit ist für Elke Wolf die Ausnahme. Meist ist sie unterwegs und besucht die Oberschulen in Bremen-Nord.
©Fabian Schindler

13.30 Uhr: Im Bremer Projekt „Eine Region wird besser“ entscheidet eine Steuergruppe aus Schulaufsichts- und Schulleitungspersonen, wie die spezifischen Probleme angegangen werden. Die drei  beteiligten Schulleiterinnen und Schulleiter treffen zur verabredeten Steuergruppensitzung ein. Die Begrüßung ist herzlich, der Ton respektvoll und vertrauensvoll. Obwohl die Beamten der Schulaufsicht die Dienstvorgesetzten der Schulleitungen sind, läuft hier die Kooperation klar auf Augenhöhe. Ein Resümee des letzten Treffens, was ist positiv hängen geblieben, welche Entwicklungen sind festzumachen? Die Schulleiterinnen und Schulleiter sprechen offen und nehmen kein Blatt vor den Mund. Das gehört zur konstruktiven Kommunikationskultur, die sich Schulen und Schulaufsicht auf die Fahnen geschrieben haben.

14.10 Uhr: Thiele kommt hinzu. Gemeinsam überlegen sie, welches die nächsten Schritte sein sollen, um das gemeinsame Vorhaben voranzubringen. Wann ist der nächste Termin, was sind Themen, wer soll perspektivisch dazu geladen werden?

14.50 Uhr: Genthe-Welzel muss nach der Besprechung mehrere Schreiben aufsetzen, E-Mails beantworten, Telefonate führen, Akten anlegen und aktualisieren.

Im Stadtteil fehlen etliche Schulplätze

15 Uhr: Wolf geht mit einem Schulleiter in der Nachbesprechung Zahlen zur Beschulungssituation durch. In Bremen-Blumenthal fehlen etliche Schulplätze. Noch mehr Kinder werden in den kommenden Monaten hinzukommen, das sagen die aktuellen Zuwanderungsprognosen.

15.30 Uhr: Eine Kollegin benötigt Informationen zu sonderpädagogischen Förderbedarfen und damit verbundenen Ressourcen. Wolf liefert schnell die gewünschten Informationen. Dann widmet sie sich den eingegangenen E-Mails und dienstlichen Beurteilungen. „Dafür muss ich mir Zeitblöcke freihalten. Dann wird auch nur im Notfall telefoniert”, sagt sie.

16 Uhr: Aus dem erlebten Tagesablauf wird deutlich, dass das Pensum an Aufgaben an einem Arbeitstag oft kaum zu schaffen ist. Zusätzlich stehen teilweise noch dienstliche  Abendtermine, etwa im Stadtteilparlament an. Deshalb muss manchmal auch an Wochenenden einiges bearbeitet werden. Ihre Tätigkeit fordert Flexibilität.  Dennoch ist Elke Wolf mit Herzblut dabei. „Schulleitungen können kreativ sein, auch unter schwierigen Bedingungen. Dazu will ich sie ermutigen“, sagt sie.

18.30 Uhr: Für heute ist Feierabend. Wolf und Genthe-Welzel nehmen viele ungelöste Fragen mit nach Hause. Das Arbeitsprotokoll zeigt, dass es eine besondere Herausforderung ist, gemeinsam mit den Schulleitungen ein neues und gemeinsam verabredetes Steuerungsverständnis zu entwickeln und zu erproben. Doch die beteiligten Schulleitungen und Schulaufsichten sind ganz offensichtlich –  trotz aller Probleme – motiviert, eine Verbesserung für alle zu erreichen.

Auf einen Blick

  • Schulen aller Schulformen und andere Institutionen im Umfeld der Schulen sollen stärker vernetzt werden, mit dem Ziel, besser und ohne Brüche auf die Bedarfe der Schülerinnen und Schüler einzugehen.
  • Eine Steuergruppe aus Schulaufsichts- und Schulleitungspersonen entwickelt gemeinsam Lösungen, so dass Entscheidungen nicht aus der Ferne von der Behörde getroffen werden, sondern nah an den Schulen sind.
  • Zentrales Merkmal des veränderten Ansatzes ist eine Kommunikation auf Augenhöhe zwischen Schulaufsicht und Schulleitungen.
  • Das Modell der Schulaufsicht in Bremen-Nord wurde mit Unterstützung des Entwicklungsnetzwerkes der Robert Bosch Stiftung für Schulen in kritischer Lage auf den Weg gebracht. Sieben Bundesländer arbeiten aktiv in diesem Netzwerk mit und tauschen ihre Erfahrungen mit verschiedenen Modellen aus.