Demokratie in der Schule : „Im Unterricht hört die Mitbestimmung oft auf“

Wahlen in Thüringen, antisemitischer Terroranschlag in Halle, Jubiläum des Mauerfalls – immer wieder wird angesichts der aktuellen Ereignisse eine Stärkung der Demokratiebildung an Schulen gefordert. Doch wie sieht es mit der gelebten Demokratie an Schulen aus? Können Schülerinnen und Schüler tatsächlich in allen Bereichen mitbestimmen, oder wird das Engagement nur geschätzt, wenn es um das nächste Schulfest geht? Darüber diskutierte das Schulportal mit vier Schülerinnen und Schülern aus den Landesverbänden Berlin und Brandenburg.

Vier Schülerinnen und Schüler aus Berlin und Brandenburg sprechen über Demokratie
Adrian Alexander Petzold und Katharina Swinka vom Landesschülerrat Brandenburg sowie Felix Stephanowitz und Luisa Regel vom Landesschülerausschuss Berlin (v.l.n.r.) haben mit dem Schulportal darüber gesprochen, wie viel Demokratie an Schulen wirklich möglich ist.
©Florentine Anders

Schulportal: Nach dem antisemitischen Terroranschlag in Halle wurde häufig gefordert, die gelebte Demokratie an Schulen zu stärken. Ist das aus Ihrer Sicht ein geeignetes Mittel zur Extremismus-Prävention?
Adrian Petzold (19), Landesschülerrat Brandenburg:
Zur gelebten Demokratie in der Schule gehören auch rechte Positionen. Die Frage ist, wie sie ausgelebt werden und wo die Grenzen sind. Die Grenze ist bei Antisemitismus klar überschritten. Das muss auch in der Schule klar sein.

Katharina Swinka (17), Landesschülerrat Brandenburg: Da spielt natürlich auch das Umfeld außerhalb der Schule eine Rolle – Eltern, Jugendklubs oder Vereine. Hier kommen die Kinder und Jugendlichen in Kontakt mit rechtsradikalen Haltungen.

Luisa Regel (18), Landesschülerausschuss Berlin: Das Problem ist doch, dass Schülerinnen und Schüler an vielen Schulen gar keine Gelegenheit zu echter Mitbestimmung haben. Gerade an Grundschulen ist das oft der Fall. Dadurch entsteht auch eine Art Demokratieverdrossenheit. Viele glauben, sie können sowieso nichts bewirken, und sind dann offen für rechtsextreme Ideologien.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit der Demokratie? Ist es Ihnen persönlich gelungen, als Schülerinnen und Schüler Veränderungen in der Schule zu bewirken?
Luisa Regel:
Ein gutes Beispiel für echte gelebte Demokratie ist die Projektwoche an meiner Schule. Die findet immer einmal im Jahr statt. In der Vergangenheit haben die Lehrerinnen und Lehrer die Themen bestimmt. Die Schüler fanden das oft total langweilig. In der Schülervertretung haben wir dann beschlossen, dass wir die Projektwoche selber machen. Inzwischen sind die Projekte komplett in Schülerhand. Wir organisieren Workshops oder Projekte für andere Schülerinnen und Schüler zu selbst gewählten Themen. Das kann ,Fantasy Roleplay‘ sein oder ,Papierflieger basteln‘ – alles ist möglich. Man muss nur bei der Anmeldung des Projekts begründen können, warum es sinnvoll ist – zum Beispiel für das Gemeinschaftsgefühl oder für die Förderung der Kreativität.

Adrian Petzold: Bei uns an der Schule wird der gesamte Campus neu gestaltet, auch im Zuge der Digitalisierung. Die Schülerinnen und Schüler können in der gesamten Planungsphase ihre Vorstellungen mit einbringen. Zum Beispiel bei der Gestaltung des Schulhofs. Uns war es wichtig, auch Ruhezonen zu schaffen, die frei sind von digitalen Medien. Dafür bekommen wir sogar zusätzlich Geld von der Kommune.

Felix Stephanowitz (15), Landesschülerausschuss Berlin: Bei uns organisiert die Schülervertretung viele Feste oder Sportwettkämpfe, um das Ganztagsschulleben aufzulockern. Das ist an den meisten Schulen möglich. Allerdings stößt man als Schülervertretung schnell an Grenzen, wenn man tatsächlich am Unterricht etwas ändern will. Da wollen die meisten Lehrkräfte die Schülerinnen und Schüler nicht mitreden lassen. Viele wissen noch nicht mal, dass das eigentlich gesetzlich vorgeschrieben ist.

Allerdings stößt man als Schülervertretung schnell an Grenzen, wenn man tatsächlich am Unterricht etwas ändern will. Da wollen die meisten Lehrkräfte die Schülerinnen und Schüler nicht mitreden lassen. Viele wissen noch nicht mal, dass das eigentlich gesetzlich vorgeschrieben ist.
Felix Stephanowitz, Landesschülerausschuss Berlin

(Felix Stephanowitz holt das Berliner Schulgesetz hervor und zitiert Paragraf 46 Absatz 3.)

,Die Schülerinnen und Schüler sind ihrem Alter entsprechend über die Unterrichtsplanung ihrer Lehrkräfte zu informieren und (…) an der Gestaltung des Unterrichts und sonstiger schulischer Veranstaltungen zu beteiligen. In Fragen der Auswahl des Lehrstoffs, der Bildung von Schwerpunkten, der Reihenfolge einzelner Themen und der Anwendung bestimmter Unterrichtsformen ist den Schülerinnen und Schülern Gelegenheit zu Vorschlägen und Aussprachen zu geben. Soweit Vorschläge keine Berücksichtigung finden, sind den Schülerinnen und Schülern die Gründe dafür zu nennen.‘

Ich kenne keine Schule in Berlin, wo das gemacht wird. Da müssten die Lehrkräfte ja am Anfang des Schuljahrs schon mal offenlegen, was sie so vorhaben. Wenn man die Lehrkräfte dann darauf aufmerksam macht, lehnen sie es ab. Das ist meine Erfahrung. Dabei würde sich eine solche Partizipation mit Sicherheit positiv auf den Lernerfolg auswirken, weil die Schülerinnen und Schüler dann viel motivierter wären.

Luisa Regel: Ein anderes Beispiel für die Grenzen der Mitbestimmung ist das Handyverbot. Eigentlich müsste darüber die Schulkonferenz entscheiden, in der Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Eltern und Schulleitung vertreten sind. Aber in der Praxis wird das ganz oft einfach von der Schulleitung und den Lehrkräften vorgegeben. Dabei gilt das Handyverbot meist nur für die Schülerinnen und Schüler – nicht für die Lehrer.

Aber man kann doch ein gesetzlich verbrieftes Recht durchsetzen – dafür gibt es ja die demokratischen Strukturen an der Schule. Warum funktioniert das oft nicht?
Adrian Petzold:
In der Schule ist das eben nicht so einfach. Es gehört schon sehr viel Mut dazu, sich gegen die Meinung der Schulleitung oder der Lehrkräfte zu stellen. Schließlich muss man immer damit rechnen, dass es sich auch auf die Noten oder auf den Schulabschluss auswirkt, wenn man sich unbeliebt macht.

Katharina Swinka: Es wird einem als Schülervertretung von den Lehrkräften schnell klargemacht, wer am längeren Hebel sitzt. Unsere Hauptarbeit besteht darin, die Lehrkräfte oder Schulleitung davon zu überzeugen, dass auch wir einen Hebel haben. Das ist natürlich in den meisten Fällen nicht gern gesehen. Man muss sich klar sein, dass man in dieser Funktion wenig Wertschätzung bekommt von der Schule.

Sie alle sind nicht nur in Ihrer Schule, sondern auch in den Landesverbänden sehr aktiv. Wie wird dieses Engagement wertgeschätzt?
Adrian Petzold:
Im Grundsatz finden die meisten Schulen Partizipation richtig. Als engagierter Schülervertreter wird man aber eben auch mal unangenehm, und sei es nur dadurch, dass man Arbeit verursacht, weil irgendwelche Gelder von der Schulleitung beantragt werden müssen, die den Schülern für Projekte zustehen.

Felix Stephanowitz: Das Engagement wird akzeptiert, solange es in der Freizeit nach der Schule stattfindet. Ich höre oft den Spruch ,Unterricht geht vor Schülervertretung‘ von den Lehrerinnen und Lehrern. Das beginnt schon bei ganz banalen Sachen wie den regelmäßigen Treffen. Normalerweise sind für die SV-Treffen zwei mal zwei Stunden pro Monat während der Schulzeit vorgesehen. An vielen Schulen wird das einfach reduziert auf ein Treffen pro Monat. Der Rest muss dann außerhalb der Schulzeit passieren.

Katharina Swinka: Oft bekommt man sogar Kontra von den eigenen Mitschülerinnen und Mitschülern. Wenn man im Unterricht gefehlt hat für eine Sitzung des Schülerrats, heißt es dann: ,Das machst du doch nur, weil du keine Lust auf die Stunde hast.‘ Man sieht ja auch bei Greta Thunberg, dass das Engagement nicht nur auf Wertschätzung trifft. Sie wird ja auch ganz heftig angegriffen.

Sie engagieren sich aber trotzdem. Was treibt Sie an?
Luisa Regel:
Es macht auch Spaß! Man kann ja trotzdem eine Menge bewirken – man muss eben nur sehr hartnäckig sein und viel Kraft dafür aufwenden.

Katharina Swinka: Es bringt mir auch persönlich sehr viel. Durch die Funktion als Schülersprecherin habe ich mich total verändert. Früher hab ich mich eher als ein graues Mäuschen gesehen, das nie den Mund aufmacht. Ich habe gelernt, meine Stimme zu erheben. Inzwischen kann ich mich sogar mit Politikern anlegen.

Durch die Funktion als Schülersprecherin habe ich mich total verändert. Früher hab ich mich eher als ein graues Mäuschen gesehen, das nie den Mund aufmacht. Ich habe gelernt, meine Stimme zu erheben.
Katharina Swinka, Landesschülerrat Brandenburg

Wie sieht es denn aus mit der Unterstützung der Schülervertretung durch die Politik?
Luisa Regel:
Wir (die Bundesschülerkonferenz Anm. d. Red.) haben die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek seit Beginn ihrer Amtszeit zu jeder Bundesschülerkonferenz  eingeladen. Sie ist bisher nicht ein Mal gekommen! Ich finde, es ist ihr Job, sich auch mit den Schülerinnen und Schülern zu treffen. Sie trifft sich ja auch mit den Kultusministerinnen und Kultusministern der Länder.

Adrian Petzold: Wir haben sogar mal versucht, am Tag der offenen Tür mit ihr zu sprechen. Wurden aber abgewiesen. Ich glaube, viele denken, die Schülervertreterinnen und -vertreter sind sowieso immer nur kontra – und zu jung, um ernst zu nehmende Vorschläge zu machen. Dabei haben wir viele interessante Lösungsansätze.

Was würden Sie Schulen empfehlen, um die gelebte Demokratie zu verbessern?
Felix Stephanowitz:
Wichtig ist es, die Lehrkräfte aufzuklären, welche Rechte die Schülerinnen und Schüler haben, was die Partizipation für die Schule bewirken kann. Lehrkräfte und Schulleitungen können davon ja auch profitieren. Viele Lehrkräfte wissen es einfach nicht. An meiner Schule habe ich den Lehrkräften zum Beispiel eine Fortbildung dazu angeboten. Die Schule war sehr aufgeschlossen und hat mein Angebot gern angenommen. Aber nicht an jeder Schule gibt es Schülerinnen und Schüler, die so etwas anbieten könnten. Viele sind ja selbst nicht genug informiert über unsere Rechte.

Katharina Swinka: Beim Landesinstitut für Schule und Medien für Berlin und Brandenburg gibt es auch Seminare für Schülerinnen und Schüler zu diesem Thema. Das hat mir geholfen und mich bestärkt. Auch Eltern können dort Seminare zur Beteiligung an Schule belegen. Unterstützung können sich Schülerinnen und Schüler zum Beispiel auch bei der Friedrich-Ebert-Stiftung holen.

Felix Stephanowitz: Ich habe auch gute Erfahrungen gemacht, wenn man die Lehrkräfte direkt einbezieht in die SV-Sitzungen. Bei uns ist der Politiklehrer zum Beispiel immer eingeladen, und der thematisiert das, was wir diskutieren, dann wieder in seinem Unterricht. Vor allem unter jungen Lehrkräften und unter den Sozialpädagogen findet man oft Verbündete.

Adrian Petzold: Die Partizipation der Schülerinnen und Schüler müsste schon in der Lehrerbildung eine größere Rolle spielen – und zwar verpflichtend. Schließlich ist das ja einer der besten Wege, politische Bildung in die Praxis umzusetzen. Wenn Schüler erlebt haben, dass sie selbst mitbestimmen und etwas verändern können, werden sie sich immer daran erinnern.

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