Alkoholkonsum : Aufklärung sollte ab der sechsten Klasse beginnen

Die Zahl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die regelmäßig Alkohol konsumieren, ist deutlich zurückgegangen. Ein großes Problem ist jedoch nach wie vor das sogenannte Rauschtrinken. In der Altersgruppe der 10- bis 20-Jährigen werden jährlich 20.000 Fälle registriert, die wegen einer akuten Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen. Alkoholprävention ist also ein großes Thema, auch in der Schule. Doch ab wann sollte über die Gefahren von Alkohol gesprochen werden, und wie können Lehrkräfte dabei vorgehen? Über diese Fragen sprach das Schulportal mit Michaela Goecke, Leiterin des Referats für Suchtprävention der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).

Ein Jugendlicher sitzt hinter Flaschen mit Alkohol. Bei Alkohol ist Deutschland ein Hochkonsumland und auch in Nordrhein-Westfalen trinken Experten zufolge viele Menschen in problematischen Mengen. Allein in der Altersgruppe der 18- bis 64-Jährigen nehmen bundesweit rund 7,8 Millionen Menschen in riskantem Mafle Alkohol zu sich, wie die Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen mitteilte.
Bei Alkohol ist Deutschland ein Hochkonsumland. Immer wieder trinken sich auch Jugendliche bis ins Krankenhaus.
©dpa

Deutsches Schulportal: Frau Goecke, welche Entwicklung hat es bezüglich des Alkoholkonsums Jugendlicher und junger Erwachsener in den vergangenen Jahren gegeben?
Michaela Goecke: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung führt seit den 1970er Jahren regelmäßig repräsentative Umfragen zu diesem Thema durch. Wir können daher einen langfristigen Trend ausmachen. Demnach trinken Jugendliche (12 bis 17 Jahre) und junge Erwachsene (18 bis 25 Jahre) aktuell weniger Alkohol. Ein Beispiel dafür ist der regelmäßige Alkoholkonsum der Altersgruppe 12 bis 17 Jahre. 2018 gaben 8,7 Prozent von ihnen an, mindestens einmal pro Woche Alkohol zu trinken. 2004 waren es noch 21,2 Prozent. Wir sehen auch, dass die Jugendlichen später anfangen, Alkohol zu konsumieren. 2018 waren sie beim ersten Schluck Alkohol im Durchschnitt 15 Jahre alt, 2004 war das Durchschnittsalter 14 Jahre.

Wie erklären Sie diesen starken Rückgang?
Es gibt insgesamt einen Gesundheitstrend in der Gesellschaft. Fitness ist ein großes Thema, das auch durch moderne Gesundheits-Apps an Bedeutung gewinnt. Das Gesundheitsbewusstsein ist bei jungen Menschen gewachsen: Sie rauchen zum Beispiel auch wesentlich weniger als noch vor Jahren. Außerdem bietet der Markt inzwischen ein großes Angebot an alkoholfreien Varianten, und zwar nicht nur bei Bier, sondern auch bei Sekt und Cocktails.

Michaela Goecke, Leiterin des Referats für Suchtprävention der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Michaela Goecke ist Leiterin des Referats für Suchtprävention der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Was ist mit dem sogenannten Rauschtrinken? Solche Fälle sorgen ja immer wieder für Schlagzeilen.
Das ist in der Tat noch immer ein großes Problem. Aktuelle Zahlen zeigen, dass Alkoholintoxikationen, die einen Krankenhausaufenthalt erforderlich machen, im Jugendalter nach wie vor verbreitet sind. Mehr als 20.000 Fälle werden jährlich in der Altersgruppe der 10- bis 20-Jährigen vom Statistischen Bundesamt erfasst. Das ist eine noch immer erschreckend hohe Zahl.

Gibt es Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen bezüglich des Alkoholkonsums?
Alkoholkonsum im Jugendalter ist insbesondere ein Problem bei männlichen Jugendlichen. Es sind deutlich mehr Jungen, die einen riskanten Konsum aufweisen. Mädchen sind allerdings besonders gefährdet, sich durch hohen Konsum von Alkohol akut zu vergiften, da sie meist weniger Körpergewicht haben als Jungen in diesem Alter.

Trotz Rückgang des Alkoholkonsums bleiben Aufklärung und Prävention also ein großes Thema. Nicht nur für Eltern, auch für Lehrerinnen und Lehrer. Wann sollte in der Schule angefangen werden, sich diesem Problem zu widmen?
Wir raten dazu, etwa in der sechsten Klasse damit anzufangen. Ab einem Alter von 12 Jahren beginnen die meisten Jugendlichen, sich für das Thema Alkohol zu interessieren. Sie werden neugierig darauf, wie Alkohol wirkt und schmeckt. Dabei ist der individuelle Entwicklungsstand von Jugendlichen ja auch immer unterschiedlich. Die jeweilige Lehrkraft kann das sicher am besten einschätzen.

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bietet unterschiedliche Programme an, um Lehrerinnen und Lehrer zu unterstützen. Welche sind das?
Für Kinder von 12 bis 16 Jahren haben wir unsere Kampagne „Null Alkohol – Voll Power“ entwickelt. Ziel ist es, bei ihnen eine kritische Einstellung gegenüber Alkohol zu fördern und den Einstieg in den Alkoholkonsum hinauszuzögern.

„Alkohol? Kenn dein Limit.“ ist eine Kampagne für Jugendliche ab 16 Jahren. Hier ist das Ziel, dass Jugendliche für einen verantwortlichen Umgang mit Alkohol sensibilisiert werden und auf Rauschtrinken ganz verzichten. Uns ist auch wichtig, dass sie verstehen, warum es für Frauen und Männer unterschiedliche Empfehlungen für den risikoarmen Alkoholkonsum gibt. Lehrkräfte können bei der BZgA vielfältige Materialien kostenfrei bestellen, um das Thema Alkohol im Unterricht oder Projekten aufzugreifen. Die „Null Alkohol – Voll Power“-Box beispielsweise enthält Broschüren zum Thema Alkohol, ein Alkohol-Quiz, ein Rezeptheft für alkoholfreie Cocktails und Poster. Außerdem können Klassen ab der zehnten Jahrgangstufe an dem bundesweiten Wettbewerb „Klar bleiben – Feiern ohne Alkoholrausch“ teilnehmen.

Was ist das für ein Wettbewerb?
Eine Klassengemeinschaft verpflichtet sich mit der Teilnahme dazu, vier bis sechs Wochen auf riskanten Alkoholkonsum zu verzichten, und kann bei Erfolg einen attraktiven Preis gewinnen.

In der Pubertät ist der Reiz, der von psychoaktiven Substanzen ausgeht, zu denen Alkohol gehört, groß

Problematisch ist ja auch, dass Alkohol aus dem gesellschaftlichen Leben noch immer nicht wegzudenken ist. Was muss sich ändern?
Deutschland ist beim Alkohol noch immer ein Hochkonsumland im internationalen Vergleich. Und das, obwohl ein positiver Trend, also insgesamt ein Rückgang des Alkoholkonsums, zu beobachten ist. Bier und Wein werden sozusagen als Kulturgut gesehen und gepflegt. Jugendliche können wohl auch deshalb in Deutschland ab einem Alter von 16 Jahren Bier, Wein oder Sekt kaufen und konsumieren. In vielen anderen Ländern – so Frankreich, Italien oder auch USA – ist das erst mit der Volljährigkeit beziehungsweise ab 21 Jahren erlaubt.

Bei der Prävention spielt aber auch die Familie eine große Rolle. Eltern sollten ihren Kindern einen verantwortungsbewussten Umgang mit Alkohol vorleben. Sie sollten abends zum Beispiel nicht automatisch und regelmäßig zu Wein oder Bier greifen. Und sie sollten es unbedingt vermeiden, dass ihre Kinder sie betrunken sehen. Das Gleiche gilt natürlich auch für Lehrkräfte oder Trainerinnen und Trainer im Sportverein. Alle Erwachsenen haben diese Vorbildfunktion.

Sollte Alkoholprävention ab der sechsten Klasse jährlich stattfinden?
Das wäre aus unserer Sicht ideal. Denn in der Pubertät ist der Reiz, der von psychoaktiven Substanzen ausgeht, zu denen Alkohol gehört, groß. Besonders geeignet sind im schulischen Kontext Projekte, bei denen die Jugendlichen in konkretes Handeln, also ins Mitmachen, ins Mitdenken und Reflektieren kommen. Das kann ein Quiz zum Thema sein oder eine Straßenumfrage, die die Schülerinnen und Schüler machen. Lehrkräfte können ihnen auch die Aufgabe stellen, ein Erklärvideo oder einen Radiobeitrag zum Thema zu erstellen. Es gibt viele interessante Anregungen in unseren Materialien.

Sollten Eltern von den Lehrkräften in die Prävention einbezogen werden?
Unbedingt. Es sollte entsprechende Elternabende geben, auf denen sie informiert und um Unterstützung gebeten werden. Sie kennen ihre Kinder am besten und sind die wichtigsten Vorbilder für sie. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung berät übrigens auch Eltern online zu allen Fragen rund ums Thema Alkohol und bietet spezielle Informationsmaterialien für Eltern.

Viele Lehrkräfte sind in Sorge, wenn sie auf Klassenfahrt gehen. Was können sie tun, damit es bezüglich des Alkoholkonsums nicht eskaliert?
Wir entwickeln aktuell neue Unterrichtsmaterialien und Handreichungen für Lehrerinnen und Lehrer zu diesem Thema. Für die Schülerinnen und Schüler sind diese Klassenfahrten ja immer eine ganz besondere Situation: Sie sind in der Gruppe zusammen, fühlen sich frei, wollen etwas erleben. Insbesondere wenn sie schon 16 Jahre oder älter sind, ist das für Lehrkräfte nicht immer ganz einfach. Die Jugendlichen dürfen dann ja eigentlich schon Alkohol kaufen und konsumieren. Deshalb ist es besonders wichtig, die Klassenfahrt zusammen gut vorzubereiten, auch was den Umgang mit Alkohol angeht, und sich im Klassenverband verbindliche Regeln zu geben. Es muss auch klar sein, welche Konsequenzen es hat, wenn die Regeln nicht eingehalten werden. Lehrkräfte können viel dafür tun, dass Alkohol nicht zum Problem wird auf Klassenfahrten. Mit unseren Materialien wollen wir sie dabei unterstützen.

Mehr zum Thema

Wie Lehrerinnen und Lehrer eine Klassenfahrt vorbereiten können:

Gesetzliche Regeln kennenlernen: Die Klasse recherchiert die gesetzlichen Regelungen zum Umgang mit Alkohol auf Klassenfahrten (z.B. Jugendschutzgesetz, Schulgesetz des jeweiligen Bundeslandes, Hausordnung der Unterbringung am Zielort). Gemeinsam wird über diese Reglungen diskutiert. Bei Reisen ins Ausland sollte auch über die dortige Gesetzeslage zum Alkoholkonsum informiert werden.

Selbstverpflichtungserklärung gemeinsam formulieren: In der Klasse formulieren alle gemeinsam eine Erklärung, dass auf der Klassenfahrt auf alkoholische Getränke ganz verzichtet wird. Die Selbstverpflichtungserklärung wird von allen unterschrieben, einschließlich der Lehrkräfte, die mitreisen werden. Auch die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten werden über diese Selbstverpflichtungserklärung informiert.

Konsequenzen festlegen: Die Lehrkraft legt zusammen mit der Klasse fest, welche Konsequenzen drohen, wenn gegen die Selbstverpflichtungserklärung verstoßen wird (zum Beispiel bestimmte Klassendienste). Bei schwerem Verstoß ist als Konsequenz die vorzeitige Rückreise auf Kosten der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten ratsam.