Interview : Wie lernen Kinder besser schwimmen?
Fast 60 Prozent der zehnjährigen Kinder können nicht sicher schwimmen. Das hat eine Forsa-Umfrage der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) ergeben. Der Landesverband Schleswig-Holstein des Deutschen Kinderschutzbunds will das ändern und führte zwischen 2016 und 2018 gemeinsam mit der DLRG und der R.SH-Stiftung das Projekt „Schleswig-Holstein lernt schwimmen“ durch. Das Schulportal hat mit Susanne Günther, Geschäftsführerin des Landesverbands Schleswig-Holstein im Deutschen Kinderschutzbund, über die Ergebnisse der Initiative gesprochen.

Schulportal: Frau Günther, 60 Prozent der Zehnjährigen sind laut Umfrage Nichtschwimmer. Woran liegt das?
Susanne Günther: Das hat verschiedene Gründe. Es gibt immer weniger Schwimmbäder. Und die verbleibenden sind für viele Schulen häufig schlecht erreichbar. Zusätzlich nimmt die Infrastruktur des öffentlichen Nahverkehrs weiter ab. Große Entfernungen und fehlende Transportmöglichkeiten machen es also doppelt schwierig, während der Schulzeit zu einem Schwimmbad zu kommen.
Welche Gründe gibt es noch?
Die Anforderungen an Sportlehrerinnen und Sportlehrer, die auch Schwimmen unterrichten dürfen, sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. In Schleswig-Holstein ist die sogenannte Schwimmlehrerbefähigung unbedingte Voraussetzung, um Kindern das Schwimmen beibringen zu können, in anderen Bundesländern nicht. Hier wünschen wir uns mehr Einheitlichkeit, denn in Zeiten des allgemeinen Lehrermangels wird es dadurch noch schwieriger, ausreichend geeignete Lehrkräfte zu finden. Außerdem ist es mit einer Schwimmlehrerin oder einem Schwimmlehrer ja nicht getan. Im Grundschulalter braucht es darüber hinaus auch zusätzliche Fachkräfte, die die Kinder auf dem Weg zum Schwimmbad begleiten und vor Ort dafür sorgen, dass alle angezogen und geföhnt sind, wenn es zurück zur Schule gehen soll. Eine personelle Ausstattung, die viele Schulen heute nicht haben.
Gibt es für die hohe Nichtschwimmerquote auch Gründe, die außerhalb der Schule liegen?
Ja. Denn wenn das Kind in der Schule nicht schwimmen lernt, muss ja theoretisch ein privater Schwimmkurs her. Und Kosten von durchschnittlich 100 Euro können sich bei zunehmender Kinderarmut in unserer Gesellschaft immer weniger Familien leisten. Das Ergebnis: Das Kind lernt weder in der Schule noch in der Freizeit schwimmen. Es treffen sich am Ende also drei Zustände: Schwimmbadmangel, Lehrermangel und zu wenig Geld in den Familien für private Schwimmkurse.
Wie haben der Kinderschutzbund und seine Projektpartner gegengesteuert?
Auf Ortsverbandsebene hat der Deutsche Kinderschutzbund schon im Vorfeld seit Jahren viele Kurse für Kinder angeboten, die uns von den Schulen genannt wurden. Das spendenfinanzierte Projekt „Schleswig-Holstein lernt schwimmen“ hat dann erstmals eine Bestandsaufnahme auf Landesebene und alternative Schwimmangebote für die Schule ermöglicht. Ganz wichtig war, dass alle wichtigen Akteure an einem Tisch saßen und die konkreten Gründe benennen konnten, warum zu wenig Schwimmunterricht stattfindet, obwohl er dezidiert im Lehrplan steht. Zusätzlich bestätigte eine Umfrage des Bildungsministeriums den Ernst der Lage: In Schleswig-Holstein konnte 2016 ein Viertel der Grundschulen keinen Schwimmunterricht anbieten.
Welche Ideen wurden im Projekt entwickelt, um mehr Kindern das Schwimmen beizubringen?
Wir haben erkannt, dass es für einige Schulen viel einfacher ist, das Schwimmen als einwöchiges Projekt anzubieten als einmal in der Woche. Solche Kompaktkurse erleichtern auch den Austausch der Kolleginnen und Kollegen mit Schwimmlehrerbefähigung. Wenn dann noch die Unterstützung von Ehrenamtlichen aus der DLRG hinzukommt, hat die Mehrheit der Kinder am Ende der Woche mindestens das „Seepferdchen“ oder konnte seine Schwimmkompetenzen weiterentwickeln. Außerdem haben wir den Schulen empfohlen, Klassenfahrten zum Thema Schwimmen anzubieten. Zum Beispiel in nahe gelegene Sportzentren mit Übernachtungsmöglichkeiten. Da eine Klassenfahrt in der Grundschulzeit ohnehin ansteht, entstehen keine Mehrkosten.
Warum ist dem Deutschen Kinderschutzbund das Thema so wichtig? Es können ja auch nicht alle Kinder reiten oder Fußball spielen?
Zum einen steht es im Lehrplan. Viel wichtiger aber ist zum anderen, dass Schwimmen nicht nur eine sportliche Kompetenz ist. Es geht auch darum, sein Selbstbewusstsein zu stärken, im Notfall nicht zu ertrinken und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Ein Kind, das nicht schwimmen kann, bleibt im Sommer zu Hause sitzen, während die anderen die Badehose einpacken und ins Freibad, ans Meer oder an den nächsten See fahren. Ein Kind, das schwimmen kann, ist integriert, selbstbewusst, bewegt sich und hat einfach Spaß.
Was ist auf politischer Ebene die Quintessenz des Projekts?
Erfreulicherweise war ein wichtiger Effekt des Projekts, dass alle Akteurinnen und Akteure nun viel stärker sensibilisiert sind für das Thema und seine Bedeutung erkannt haben. Auch im schleswig-holsteinischen Koalitionsvertrag steht nun, dass es ein gemeinsames Ziel ist, dass Kinder am Ende der vierten Klasse schwimmen können.
Wünschenswert wäre aber, dass sich das Bildungsministerium auch zukünftig für das Thema stark machen würde. Außerdem hoffen wir, dass in der anstehenden Novellierung der Zeugnisverordnung die Grundlage geschaffen wird, dass die Schwimmfähigkeit am Ende der vierten Klasse im Zeugnis dokumentiert werden kann. So können sich die weiterführenden Schulen besser auf die notwendige Schwimmförderung vorbereiten.
Natürlich ist es in einem Land, das direkt an zwei Meeren liegt und unzählige Seen hat, besonders wichtig, dass alle Kinder schwimmen können. Gibt es in Sachen Schwimmförderung dennoch eine Abstimmung mit den anderen Bundesländern?
Da gibt es keine bundesweite Patentlösung, auch wenn alle Länder von diesem Problem betroffen sind. Vieles liegt an der Kreativität der Beteiligten vor Ort. Wir haben gelernt, dass es am effektivsten ist, wenn man alle Akteurinnen und Akteure auf Kreisebene an einen Tisch bringt und dann nach sehr individuellen Lösungen sucht. Bei den einen ist es nur der Transport, bei den anderen das fehlende Schwimmbad, und bei den dritten steht der Lehrermangel im Zentrum. Diese individuelle Sicht können wir auch den anderen Bundesländern empfehlen.
Was kann außerhalb der Schule noch helfen, damit Kinder besser schwimmen können?
Was die Kinder im Schwimmkurs lernen, reicht oft nicht, um wirklich gute Schwimmer zu sein. Es fehlt die Routine. Daher fordern wir, dass Kinder aus sozial schwachen Familien einen vergünstigten oder freien Eintritt in Schwimmbäder bekommen, um möglichst vielen Kindern insbesondere im Sommer das regelmäßige Schwimmen zu ermöglichen.
Auf einem Blick
- Möglichst einheitliche Regelungen für die Schwimmlehrerbefähigung in den Bundesländern finden.
- Die Akteurinnen und Akteure in jedem Kreis an einen Tisch bringen und nach Lösungen suchen, die vor Ort genau passen.
- Klassenfahrten oder Projektwochen zum Schwimmen als Alternative mitdenken.
- Freien Eintritt in (Frei-)Bädern zumindest in den Sommerferien einführen.
- Dokumentation der Schwimmfähigkeit im Übergangszeugnis ermöglichen.