Fragen an Experten

Gewaltprävention : Was tun, wenn Kinder „Squid Game“ nachspielen?

„Squid Game“ ist die bislang erfolgreichste Netflix-Serie. Erwachsene spielen darin eigentlich harmlose Kinderspiele. Wer alle Spiele gewonnen hat und als Sieger hervorgeht, bekommt sehr viel Geld. Alle anderen werden getötet. Netflix empfiehlt die brutale Serie aus Südkorea erst für Jugendliche ab 16 Jahren. Offenbar schauen sie aber auch viele jüngere Kinder und spielen sie auf dem Schulhof nach. An vielen Grundschulen ist es schon zu Gewaltvorfällen gekommen. Sascha Mase, Leiter der Schulsozialarbeit bei einem gemeinnützigen Berliner Träger, erklärt, wie Lehrkräfte in dieser Situation reagieren können. Unser Format „Fragen an Experten“ will Lehrerinnen und Lehrern Rat und Unterstützung für Situationen geben, in denen sie sich unsicher fühlen oder an ihre Grenzen stoßen.

Squid Game verkleidete Kinder an Halloween
Die Netflix-Serie „Squid Game“ fasziniert auch immer mehr jüngere Kinder, obwohl sie erst ab 16 Jahren empfohlen wird. Auch an Halloween haben sich viele Kinder - wie hier in Hongkong - als Figuren aus der Serie verkleidet.
©Kin Cheung/AP/dpa

Lehrerin einer Grundschule: In den Hofpausen beobachte ich seit einigen Tagen, dass Kinder die Netflix-Serie „Squid Game“ nachstellen. In der Serie spielen Erwachsene Kinderspiele, wer einen Fehler macht, wird getötet. Obwohl „Squid Game“ eigentlich erst für Jugendliche ab 16 Jahren erlaubt ist, kennen sie offenbar schon Kinder in der Grundschule. Einige Male kam es nun schon auf dem Schulhof zu heftigen Prügeleien. Natürlich bin ich immer eingeschritten, aber in der nächsten Pause ging es wieder los. Ich habe das Gefühl, dass immer mehr Kinder dabei mitmachen. Wie gehe ich am besten mit der Situation um?

Sascha Mase, Schulsozialarbeit: „Squid Game“ ist besonders an Grundschulen gerade ein großes Thema. Viele unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekommen dazu jetzt Anfragen und beschäftigen sich mit den Auswirkungen. Klar ist: Wenn es zu Gewaltvorfällen kommt, müssen Sie sofort intervenieren und die Gewaltsituation beenden. Aber das kann nur der erste Schritt sein. Das Nachspielen der Serie zu verbieten, führt nicht weiter. Dann spielen die Kinder die Spiele mit den brutalen Spielregeln an anderer Stelle oder außerhalb der Schule.

Wichtig ist, dass Sie mit den Kindern gleich ins Gespräch kommen, ihnen klarmachen, dass Gewalt im Spiel keinen Platz haben darf. Und Sie sollten auch fragen, wieso sie die Spielregeln von an sich harmlosen Spielen verändert haben und wieso sie andere Kinder bestrafen, nur weil sie im Spiel verlieren. Gerade jüngere Kinder sind meist sehr offen und erzählen dann, dass sie die Serie angeschaut haben. Und sie sind oft auch froh, weil sie die Serie, die ja eigentlich erst für Jugendliche ab 16 Jahren empfohlen wird (!), gar nicht verarbeiten können und sich überfordert fühlen.

Die Spiele aus „Squid Game“ nur mit gewaltfreien Regeln zulassen

Die Kinder spielen zum Beispiel „Rotes Licht, grünes Licht“, ein südkoreanisches Spiel, das hier eher unter dem Namen „Donner, Wetter, Blitz“ bekannt ist: Ein Kind wendet sich von der Gruppe ab und ruft: „Donner, Wetter, Blitz“, die anderen rennen los und müssen von A nach B laufen. Dreht sich das rufende Kind um, müssen alle stehenbleiben. Wer sich bewegt, scheidet aus. Strafen oder Gewalt gehören eigentlich nicht zum Spiel. Lehrkräfte können mit den Kindern nun zum Beispiel besprechen, das Spiel nach den eigentlichen Regeln zu spielen oder andere gewaltfreie Regeln zu finden, die auch dem Kodex der Schule entsprechen.

So lässt sich zunächst die Situation auf dem Schulhof entschärfen. Aber dabei darf es nicht bleiben. Wenn die Serie Thema in der Klasse ist und solche Auswirkungen hat, muss darüber auch in der Klasse gesprochen werden, zum Beispiel im Klassenrat. Worum geht es in der Serie? Wieso schauen die Kinder sie? Oft ist es eine Form der Mutprobe, der Kick des Verbotenen. Das ist in der Entwicklung von Kindern erst einmal normal, nur sind die Auswirkungen bei „Squid Game“ natürlich nicht akzeptabel.

Eltern mit ins Boot holen

Lehrkräfte können mit den Kindern auch über die Hintergründe und Auswirkungen der Serie sprechen und so ihre Medienkompetenz stärken. Außerdem müssen sie den Schülerinnen und Schülern klarmachen, welche Spielregeln herabwürdigend sind, zu Ausgrenzung oder Mobbing führen und nichts mit einem Spiel zu tun haben. Solche Gespräche können im Klassenrat auch präventiv geführt werden.

Wichtig ist außerdem, die Eltern mit ins Boot zu holen. Schulen können zum Beispiel in einem Elternbrief über die Auswirkungen von „Squid Game“ in der Schule informieren. Oft wissen die Eltern gar nicht, dass ihre Kinder die Serie geschaut haben. Und sie wissen sogar oft nicht, dass sie bei Streaming-Diensten wie Netflix einen Kinder-Account einrichten können, mit dem sie zum Beispiel nicht auf „Squid Game“ zugreifen können. Ein 100-prozentiger Schutz ist das natürlich nicht immer, weil manche Kinder andere Zugänge finden. Aber so können die Kinder jedenfalls nicht versehentlich auf die Serie kommen. Auf jeden Fall sollten Sie den Eltern auch raten, mit den Kindern zu sprechen und nachzufragen, wenn diese von Gewalt auf dem Schulhof oder von „Squid Game“ erzählen.

Aufklärung ist übrigens oft auch im Kollegium nötig. Viele Lehrerinnen und Lehrer haben von der Serie noch nie gehört und wissen gar nicht, was die Kinder beschäftigt. Lehrkräfte, die schon mit der Situation konfrontiert waren und einen guten Weg gefunden haben, sollten ihre Kolleginnen und Kollegen aufklären und Best Practice weitergeben.

Zur Person

  • Sascha Mase ist Leiter des Bereichs Schulsozialarbeit der tandem BTL gGmbH. In diesem Bereich arbeiten etwa 160 Personen an insgesamt 67 Schulen in Berlin.
  • Die tandem BTL gGmbH gehört zum sozialen Unternehmensverbund des Sozialverbandes VdK Berlin-Brandenburg. Zentrale Arbeitsfelder des gemeinnützigen Trägers sind neben der Schulsozialarbeit und Betreuungsangeboten an Grundschulen, Sekundarschulen und Förderzentren auch die Unterstützung von Familien und bei der Erziehung.

Weitere Fragen an Experten

Die Arbeit einer Lehrkraft ist vielseitig. Besonders Beziehungen prägen den Schulalltag und sind häufig nicht einfach. Dabei spielen der Umgang mit den Schülerinnen und Schülern sowie den Eltern und dem Kollegium eine Rolle. Lehrerinnen und Lehrer können sich mit Situationen, in denen sie unsicher sind, anonym unter redaktion@schulportal.de an das Schulportal wenden. Expertinnen und Experten aus der Praxis geben Tipps, wie Lehrkräfte in den beschriebenen Situationen am besten vorgehen.