Zusatzangebote in Herkunftssprache : Pop-up-Schulen für ukrainische Kinder und Jugendliche

Herkunftssprachlicher Unterricht für ukrainische Geflüchtete soll laut Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission möglichst ins Bildungssystem integriert werden. Doch nur wenigen Schulen gelingt bisher die Umsetzung. Sogenannte Pop-up-Schulen schaffen schnell und unbürokratisch zusätzliche Bildungsangebote in ukrainischer Sprache für geflüchtete Kinder und Jugendliche außerhalb des Regelschulsystems. Das Schulportal hat sich in Berlin und Freiburg angesehen, wie diese temporären Angebote funktionieren.

Dieser Inhalt wird im Rahmen einer gemeinsamen Initiative der Robert Bosch Stiftung und der Bertelsmann Stiftung bereitgestellt. >> Mehr erfahren

In den altersgemischten Lerngruppen der Berliner Pop-up-Schule arbeiten die Schülerinnen und Schüler an unterschiedlichen Aufgaben.
©Hans-Jürgen Kuhn
Mychailo G. unterrichtet in der Pop-up-Schule in Schöneberg Chemie und Biologie in ukrainischer Sprache.
©Hans-Jürgen Kuhn
©Im Klassenraum der Grundschulkinder der ehemaligen Teske-Schule hängt eine Ukraine-Karte, auf der die Herkunftsorte der Kinder markiert sind.

Es ist 9 Uhr morgens, Tamara M. erklärt einer Siebt- und einer Neuntklässlerin den Stoff ihrer Jahrgangsstufe in Mathematik. An einem anderen Tisch lernen drei Schüler Englisch mit Lehrerin Alla D. Und im Nachbarraum sitzen zwei Erstklässler und üben mit ihrer Grundschullehrerin das ukrainische Alphabet. Alles hier sieht aus wie in einer normalen Schule. An der Stirnseite hängt eine Tafel, die Lehrerinnen nutzen ihre vertrauten Lehrbücher, und die Kinder und Jugendlichen beugen sich über ihre Aufgaben oder warten auf die Pause.

Die Pop-up-Schule in Schöneberg ist allerdings keine normale Schule. Die erfahrenen ukrainischen Lehrkräfte, die hier auf Honorarbasis beschäftigt sind, dürften gar nicht im regulären Schuldienst arbeiten, weil sie kein Deutsch sprechen. An einer normalen Berliner Schule würden die Kinder und Jugendlichen auch keinen Fachunterricht in ihrer Herkunftssprache erhalten. Und in dem alten Schulgebäude der ehemaligen Teske-Schule werden eigentlich auch keine Klassen mehr unterrichtet, weil das Haus seit Jahren saniert werden soll.

Überbrückung, während Kinder auf einen Platz in der Willkommensklasse warten

Das Angebot für ukrainische Schülerinnen und Schüler, das von der Initiative Schöneberg hilft e.V. hier in kürzester Zeit auf die Beine gestellt wurde, versteht sich als Überbrückung – so lange bis die Kinder einen staatlichen Schulplatz bekommen. Viele geflüchtete Kinder und Jugendliche stehen in Berlin zunächst auf Wartelisten, weil an den staatlichen Schulen angesichts der Personal- und Raumnot nicht so schnell genügend Plätze in Willkommensklassen geschaffen werden können.

Vereine wie die Initiative “Schöneberg hilft” können da schneller aktiv werden, auch weil sie weniger Regularien unterworfen sind. Mithilfe von Spendengeldern und und der Förderung durch die Robert Bosch Stiftung ist die „Schkola“ in Schöneberg mit allem ausgestattet, was für einen Schulbetrieb nötig ist – angefangen von der Kaffeeküche bis zu Computer und Drucker. Der Unterricht findet zwischen 9 und 13 Uhr statt. 12 Schülerinnen und Schüler sind derzeit angemeldet. Die ukrainischen Lehrkräfte nutzen die digitalisierten Lehrbücher, die auf der Plattform „mundo“ abgerufen werden können.

„Allerdings ist die Fluktuation groß“, sagt Projektleiter Hans-Jürgen Kuhn, während er vor einer Landkarte der Ukraine mit Fähnchen steht, die die Herkunftsorte der Kinder markieren. Entweder die Kinder wechseln in eine reguläre Willkommensklasse oder sie gehen, je nach Herkunftsregion, mit ihren Familien wieder zurück in die Ukraine. Auch die Lehrerinnen haben meist nicht vor, langfristig in Deutschland zu arbeiten, sind aber froh, wenn sie dennoch helfen können. Kuhn bringt die Erfahrungen von Schöneberg hilft e.V in die Ukraine-Initiative der Robert Bosch Stiftung und der Bertelsmann Stiftung zur Unterstützung der Schulen ein.

Keine Konkurrenz zum staatlichen Schulsystem

„Das Angebot soll keinesfalls eine Konkurrenz zum staatlichen Schulsystem sein“, sagt Kuhn. Die Lehrkräfte hätten dort ohnehin keine Chance, eingestellt zu werden, und für die Schülerinnen und Schüler ist es wichtig, ein strukturiertes Bildungsangebot zu erhalten. Zusätzlich zum ukrainischen Unterricht wollen sie ab Juli einmal in der Woche auch Deutsch-Unterricht bekommen, um sich alle Optionen offenzuhalten und im Alltag auch schon auf Deutsch etwas verständigen zu können.

Die Pop-up-Schule in Schöneberg ist nicht die einzige ihrer Art. Temporäre herkunftssprachliche Angebote von außerschulischen Akteuren, die den Geflüchteten in einer Übergangsphase sofort und unbürokratisch zur Verfügung stehen, hatte auch die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz empfohlen. Langfristig sollen solche ergänzenden Angebote in ukrainischer Sprache laut Empfehlung des Expertengremiums auch im regulären Schulbetrieb eingebunden werden. Doch das scheint bisher nur schwer zu realisieren.

Fachunterricht in ukrainischer Sprache als Zusatzangebot am Nachmittag

Schüler sitzen im Klassenraum
Die Pop-up-Schule von Bildung für alle e.V. ist ein Nachmittagsangebot.
©Veit Cornelis

Auch in Freiburg springt der Verein „Bildung für alle“ deshalb seit März mit einer Pop-up-Schule in diese Lücke. „Unser Ziel war es, geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Ukraine so schnell wie möglich mit geflüchteten Lehrkräften zusammenzubringen“, sagt Projektleiter Veit Cornelis. Anders als in Berlin ist die Pop-up-Schule in Freiburg ein ergänzendes Nachmittagsangebot mit Unterricht in der Herkunftssprache von 14 bis 18 Uhr. Insgesamt 50 Schülerinnen und Schüler erhalten dennoch nachmittags Fachunterricht in Mathematik, Naturwissenschaften und ukrainischer Literatur an der Pop-up-Schule. Zusätzlich gibt es Tanz-, Musik- und Deutschkurse. Viele von ihnen haben bereits einen Platz in der Regelschule und kommen dennoch gern hierher. „Für die Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine ist der Fachunterricht an den Regelschulen oft frustrierend, weil sie noch nicht ausreichend Deutsch verstehen. Das Zusatzangebot in ihrer Herkunftssprache motiviert sie“, sagt Cornelis.

Die Pop-up-Schulen würden zeigen, was an herkunftssprachlichem Unterricht möglich wäre, jetzt komme es darauf an, die Erfahrungen ins Bildungssystem zu übertragen.

Die Pop-up-Schulen bieten auch ein Ferienprogramm

Und noch eine Lücke im Bildungssystem versucht der Verein zu füllen, wobei er auch hier auf Nachahmer im deutschen Bildungssystem hofft: „Wenn die Ferien beginnen, dürfen die Bildungsangebote für die geflüchteten Kinder und Jugendlichen nicht unterbrochen werden, das wäre fatal“, sagt er. Die Pop-up-Schule Freiburg plant Projekte für die Schülerinnen und Schüler, beispielsweise gemeinsam mit einem regionalen Radiosender.

Auch die Berliner Pop-up-Schule will in den Ferien weiterhin Angebote machen. Zusätzlich zum Unterricht soll es begleitete Freizeitangebote geben. „In unserer Küche können wir zum Beispiel Kuchen backen und dann gemeinsame Ausflüge in die Stadt und ins Umfeld machen“, sagt Kuhn. Freiwillige Helferinnen und Helfer der Initiative „Schöneberg hilft“ hätten bereits angeboten, die Kindergruppen mit ihren ukrainischen Lehrkräften dabei als Sprachmittler zu begleiten.