Klassenfahrt : Lernprojekt statt Ersatzurlaub für Schulklassen

Die einen fahren in die Alpen zum Skifahren, die anderen zum Schullandheim um die Ecke. Die inhaltliche Gestaltung von Klassen­fahrten ist von Schule zu Schule unter­schiedlich. Zuweilen werden pädagogischer Sinn und Zweck von Fahrten infrage gestellt. Was zeichnet also eine gute Klassen­fahrt aus?

Lernerfahrungen müssen im Fokus einer Klassenreise stehen
Klassenreisen müssen über ein pädagogisches Konzept verfügen. Ein Teil davon kann beispielsweise die Auseinandersetzung mit Geschichte sein.
©shutterstock

Der Schnee knirscht unter den Füßen, Skibretter werden an die Füße geschnallt und eine Gruppe von Jugendlichen fährt unter Anleitung die Skipiste in Davos hinab: Eine inzwischen ganz alltägliche Situation bei Klassen­reisen. Jedes Jahr fahren zehn­tausende Schülerinnen und Schüler aus Nord­deutsch­land mit ihrer Klasse zum Ski­fahren in die Alpen. Statt in einer Jugend­herberge wohnen dann viele Schüler in Hotels. Für viele Eltern ist das ein teures Vergnügen. Dass Klassen­fahrten immer exklusiver und teurer werden, monierte der Deutsche Lehrerverband bereits 2015. Geändert hat sich seitdem wenig. „Auch die Ansprüche an Unter­bringung und Verpflegung sind insbesondere durch die Eltern, weniger die Kinder, gestiegen. Bestimmte Quartiere für Skikurse, die noch vor 10 Jahren wegen der tollen Lage voll­kommen akzeptiert waren, sind jetzt umstritten”, sagt Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrer­verbandes. Nach wie vor locken Reise­veranstalter mit „Erlebnis­angeboten“ für Klassen­reisen. Die Befürchtung, dass der erzieherische Auftrag dabei zu kurz kommen könnte, steht im Raum.

Die schulrechtlichen Bestimmungen geben klare Vorgaben hinsichtlich des Zwecks einer Klassen­fahrt. Sie stelle keine Freizeit­fahrt dar, sondern müsse den Anforderungen einer bildungs­pädagogischen Reise gerecht werden. Bevor eine Schule sich über das geografische Ziel der Klassen­fahrt Gedanken macht, sollten Lehrerinnen und Lehrer sich selbst Rechen­schaft über die mit einer solchen Fahrt verfolgten inhaltlichen Ziele geben, rät Dietfried Scherer, Direktor der Schulstiftung der Erzdiözese Freiburg, der sich seit vielen Jahren mit der Thematik aus­einander­setzt. „Es kann sicher nicht darum gehen, möglichst spektakuläre und außer­gewöhnliche Unter­nehmungen in Konkurrenz zu Reise­veranstaltern anzubieten“, so Scherer.

Klassenfahrten brauchen ein inhaltliches Konzept

Der hohe pädagogische Wert von Klassenfahrten sei unbestritten, sagt Ulf Roedde, Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Denn Schülerinnen und Schüler sollten außerhalb des Schul­all­tags Erfahrungen machen, die ihnen ansonsten nicht zugänglich sind – im Rahmen eines Konzeptes, das Lehrerinnen und Lehrer entwerfen und umsetzen. „Lehr­kräfte, Kinder und Jugendliche sollen sich auf den Fahrten auch in Situationen und Rollen kennen­lernen, die in der Schule nur schwer zu realisieren sind. Ganz wichtig sind zudem die sozialen Inter­aktionen unter den Schülerinnen und Schülern“, sagt der GEW-Sprecher. Auch hier ergäben sich Konstellationen und Heraus­forderungen, die neue Lern- und Kennen­lern­prozesse entstehen ließen. „In aller Regel liegt den Klassen­fahrten ein klar erkennbares pädagogisches Konzept zugrunde, beispiels­weise wenn der Latein­kurs eine Reise nach Rom macht oder eine Klasse nach Groß­britannien reist, um die Sprach­kenntnisse zu vertiefen“, sagt Rödde. Das pädagogische Ziel entscheide über Reise­ort und inhaltliche Gestaltung der Klassen­fahrt.

In aller Regel liegt den Klassenfahrten ein klar erkennbares pädagogisches Konzept zugrunde.
Ulf Rödde, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW

Ist aber ein klares didaktische Konzept bei etwa bei der Skifahrt gegeben? Dies ist oft eine Frage des Abwägens. Im Rahmen von Schul­fahrten könnten Lehr­gänge beziehungs­weise Unterricht in Sport­arten wie Skifahren, Snowboarden, Segeln, Windsurfen, Klettern, Rudern, Kajak, Kanu durchgeführt werden, heißt es in etwa in der Verwaltungs­vor­schrift des Ministeriums für Bildung, Wissen­schaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz. Aber: Die Klassen­fahrten müssten immer „wichtiger Bestand­teil des schulischen Erziehungs- und Bildungs­auftrags der Schule“ sein.

Selbiges gibt das Land Nordrhein-Westfalen vor. Klassenfahrten „dienen ausschließlich Bildungs- und Erziehungs­zwecken und müssen einen deutlichen Bezug zum Unterricht haben, aus dem Schul­programm erwachsen und im Unterricht vor- und nach­bereitet werden“, heißt es in den Richtlinien des Landes. Wenn im Sport­unterricht also Skifahren fester Bestandteil des Unterrichts­programms ist, ist eine Ski-Klassen­reise vertret­bar. Dies gilt auch, wenn die Fahrt lediglich der Förderung des sozialen Miteinanders dient. Denn eine Klassen­fahrt soll neben der inhaltlichen Ziel­setzung Schülerinnen und Schülern auch eine umfassende pädagogische Orientierung hinsichtlich des sozialen Gruppen­verhaltens bieten. Das tägliche Zusammen­leben auf einem begrenzten Raum inklusive des Organisierens der täglichen Versorgung könne, so urteilt Dietfried Scherer, ein wichtiger Lern­erfolg sein.

Lehrkräfte sollten ihre Ideen für eine Klassen­fahrt kritisch prüfen

Für Scherer gibt es einen inhaltlichen Katalog, der bei der Planung einer Klassen­fahrt verinnerlicht werden sollte. Die zentrale Frage sei, welche Lern­effekte und Erfahrungs­zugewinne am Ende einer Fahrt gewonnen werden sollten. Darüber hinaus sollten sich Lehr­kräfte fragen, ob die erwarteten Lern­effekte nicht anders ebenso gut vermittelt werden könnten. Nur wenn ein zusätzlicher Erkenntnis­gewinn besteht, ist eine Klassen­fahrt pädagogisch sinnvoll.

Bei der Frage des sozialen Miteinanders gibt es ebenfalls einiges zu bedenken. Scherer: „Ist das Angebot der Schulfahrt für die Alters­stufe angemessen und sind Aufwand, Reise­zeit und Entfernung in Relation zu den inhaltlichen Zielen verantwortbar?“ Es sollte geprüft werden, ob inhaltlich ähnlich Reiseziele, die subventions­fähig sind, zur Verfügung stehen.

Die Finanzen sollten insbesondere berücksichtigt werden: Sind die Kosten mit Rücksicht auf die soziale Struktur in der Klasse und die finanzielle Situation der Familien zu verantworten oder würden Familien über Gebühr belastet und eventuell Schülerinnen und Schüler gezwungen, ihre Teilnahme abzusagen? Letzteres sollte vermieden werden, meint auch GEW-Sprecher Rödde. „Eine Klassen­fahrt muss sich in einem finanziellen Rahmen bewegen, der es allen Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern erlaubt, die Teil­nahme an der Reise ohne finanzielle Klimm­züge zu ermöglichen“, konstatiert er. Dies müsse eine unabdingbare Voraussetzung sein.

Zu guter Letzt sollten sich Lehrerinnen und Lehrer fragen, so Scherer, ob sie bei der geplanten Reise ihren pädagogischen Auftrag über­haupt erfüllen können. Wenn sie eher eine Statisten­rolle als Animateur oder Aufseher über­nähmen, müssten Ziel und Konzept der Klassen­reise über­dacht werden.

Auf einen Blick

Checkliste – Worauf es bei Klassenfahrten ankommt:

  • Lerneffekte und Erfahrungszugewinn
  • Für das Alter angemessene Angebote
  • Besonderheit der Lernerfahrung
  • Soziales Miteinander stärken
  • Förderfähigkeit
  • Für Eltern finanziell tragbare Reiseziele
  • Sinnvolle Funktion der Lehrkraft