Kettelerschule Bonn : Wie ein Alien beim Über­gang in die Grund­schule hilft

„Sanft rein, sanft raus“: Nach diesem Grund­satz hilft die Ketteler­schule in Bonn Kindern beim Über­gang vom Kinder­garten in die Grund­schule und beim Wechsel auf die weiter­führende Schule. Wie das in der Praxis aussieht und was ein Außer­irdischer damit zu tun hat, erzählt Schul­leiterin Christina Lang-Winter im Interview mit dem Schulportal.

Die Kettelerschule in Bonn möchte den Kindern den Übergang vom Kindergarten zur Grundschule so einfach wie möglich gestalten. Dazu hat das Kollegium ein eigenes Programm entwickelt.
Die Kettelerschule in Bonn möchte den Kindern den Übergang vom Kindergarten zur Grundschule so einfach wie möglich gestalten. Dazu hat das Kollegium ein eigenes Programm entwickelt.
©Traube47

Schulportal: An der Kettelerschule in Bonn kennt jedes Kind „Lubo aus dem All“. Wer ist Lubo?
Christina Lang-Winter: Lubo ist eine Handpuppe: ein kleiner, quietsch­grüner Außer­irdischer mit zwei Antennen auf dem Kopf. Die Antennen verraten ihm, ob in seiner Umgebung alles in Ordnung ist. Lubo kommt auf unsere Erde und weiß nicht, wie man sich hier richtig benimmt – und die Kinder sollen ihm das erklären. „Lubo aus dem All“ erleichtert Jungen und Mädchen den Über­gang vom Kinder­garten in die Schule.

Wie gelingt das?
Lubo gehört zu einem umfassenden Projekt für Vorschulkinder aus dem Einzugs­gebiet unserer Schule. Entwickelt wurde es unter anderem von Thomas Hennemann von der Uni Köln. Das Projekt bereitet die Kinder auf den Schul­besuch vor und besteht aus vier Förder­programmen. Da ist natürlich „Lubo aus dem All“ zur Förderung sozial-emotionaler Basis­kompetenzen. Das Programm „Keiner ist so schlau wie ich“ unter­stützt die kognitive Entwicklung. Zwei weitere Programme fördern die mathematischen Fertigkeiten und die phonologische Bewusst­heit. Während der Projekt­lauf­zeit besuchen die Vorschul­kinder die Ketteler­schule – bis zu 40 Mal. Bei jedem Besuch steht eine Aufgabe im Mittel­punkt. Dafür werden die vier Programme miteinander kombiniert und Lubo ist als roter Faden immer dabei. So lernen die Kinder uns schon früh­zeitig kennen und entwickeln ein Gefühl für das, was später auch in der Schule von ihnen abverlangt wird.

„Lubo aus dem All“ richtet sich ausschließlich an Vorschulkinder?
Bislang war das bei uns so. Das wird sich aber schon bald ändern. Denn ab dem kommenden Schul­jahr 2019/2020 wollen wir die Geschichte von Lubo für die Kinder der ersten und zweiten Stufe fortführen. Wir haben uns in den vergangenen Monaten intensiv um die Vorbereitung gekümmert. Es entsteht ein Komplett­programm: Lubo begleitet die Kinder beim großen Schritt in die Schule und lernt dann gemeinsam mit ihnen, wie unser Schul­all­tag funktioniert.

Wir wissen genau, wie sich jedes Kind entwickelt, wo Bau­stellen sind und wie wir es gezielt fördern können.
Christina Lang-Winter, Leiterin der Ketteler­schule Bonn

Was hat die Ketteler­schule dazu bewogen, Lubo buchstäblich ins Klassen­zimmer zu holen?
Das Programm läuft bei uns nun erfolgreich seit sechs Jahren. Die ersten fünf Jahre haben wir das Projekt in Kooperation mit der Universität zu Köln gestemmt. Als dann vor knapp einem Jahr klar war, dass sich die Uni aus dem Projekt zurück­zieht, war unsere Enttäuschung erst mal groß. Doch wir haben es tatsächlich geschafft, eine externe Finanzierung zu organisieren, damit wir Lubo aus eigener Kraft umsetzen können – und das ist groß­artig! Die Veränderung hat frischen Wind in das Projekt gebracht. Eigentlich ist die Situation jetzt sogar besser als vorher.

Welche diagnostischen Maßnahmen wenden Sie darüber hinaus an?
Diagnostik hat einen hohen Stellenwert an der Ketteler­schule. Wir beginnen das Schuljahr zum Beispiel immer mit einer Sprach­diagnostik. Dabei wird die gesamte Schüler­schaft gescreent. Die Kinder der ersten Klasse werden einzeln getestet, das ist ziemlich aufwendig. Die Jungen und Mädchen der höheren Stufen nehmen an Gruppen­testungen teil. Weil wir das jedes Jahr wiederholen, wissen wir genau, wie sich jedes Kind sprachlich entwickelt, wo Baustellen sind und wie wir es gezielt fördern können.

Und welche Rolle spielen Tests und Klassen­arbeiten?
Klar, unsere Kinder schreiben regelmäßig Tests über das, was sie gelernt haben. Allerdings auf unter­schiedlichem Niveau und zu unter­schiedlichen Zeit­punkten – nämlich immer erst dann, wenn sie mit dem Stoff vertraut sind und ihn beherrschen.

Dies alles gilt sicher vor allem für Schülerinnen und Schüler, die ohne größere Probleme zurecht­kommen. Was ist mit Kindern, die einen ausgewiesenen Förder­bedarf haben?
Für Kinder mit Förderbedarf läuft parallel eine auf sie zugeschnittene Diagnostik. Schon bei der Schul­anmeldung haben wir immer Sonder­pädagoginnen und -pädagogen dabei, die gezielt darauf achten, welches Kind mehr Bedarf hat. Wenn wir denken, ein Kind braucht Unterstützung, damit die Einschulung erfolgreich ist, dann besuchen wir es schon im Kinder­garten, leiten Diagnose­verfahren ein und bringen alle an einen Tisch: den Kinder­garten, die Schule und natürlich die Eltern – damit wir alle wichtigen Informationen zum Kind zusammen­tragen und die Monate bis zur Einschulung nutzen, um alle Vorbereitungen zu treffen. Denn wir haben uns auf den Weg gemacht, diese Idee der Inklusion wirklich zu leben.

Die Schule bereitet sich auf das Kind vor und nicht umgekehrt.
Christina Lang-Winter, Leiterin der Kettelerschule Bonn

Was meinen Sie damit?
Unser Verständnis von Inklusion ist, dass sich die Schule auf das Kind vorbereitet und nicht umgekehrt. Wir bearbeiten die Kinder nicht so lange, bis sie es schaffen, zu uns zu passen, sondern wir versuchen alles, um den Bedürfnissen der vielen unter­schiedlichen Kindern gerecht zu werden. Ab dem kommenden Schul­jahr besuchen zum Beispiel zwei Kinder unsere Schule, die gewickelt werden müssen. Es ist völlig klar, dass wir dann einen höhen­verstellbaren Wickel­tisch brauchen. Wir bereiten uns seit November auf diese Situation vor, um uns nicht bei Schul­jahres­beginn fragen zu müssen: Wie sollen wir denn das jetzt hinbekommen?

Das bedeutet, die Kettelerschule kennt eigentlich jedes einzelne Kind – und zwar schon vor der Einschulung?
Ganz genau. Umgekehrt sind die Kinder aber auch schon gut mit der Schule vertraut. Nur ein Beispiel: Im Frühjahr finden unsere Besuchs­tage statt. Dann kommen die Kinder bereits in ihrer künftigen Lern­familie zusammen. Zur Einschulung wissen sie also längst, ob sie Igel, Löwe oder Robbe sind.

Wie helfen Sie den Kindern beim Übergang von der Grund­schule in die weiter­führende Schule?
Da gehen wir genauso behutsam vor. Wir versuchen, die Eltern individuell zu beraten. Schülerinnen und Schüler mit sonder­pädagogischem Förder­bedarf werden intensiv begleitet. Unsere Sonder­pädagoginnen und -pädagogen gehen zum Beispiel mit zur Anmeldung in die weiter­führende Schule und nehmen an den Gesprächen teil. Auch Kinder ohne Förder­bedarf bekommen mehr Unter­stützung beim Wechsel, wenn es nötig ist. Sanft rein, sanft raus – das versuchen wir.

Auf einen Blick

  • Die Kettelerschule Bonn ist Preisträger des Deutschen Schulpreises 2019.
  • In der Laudatio der Jury heißt es über die inklusive Gemeinschafts­grund­schule: „Dieser Preis ist wahrhaft verdient für ein gemeinsames Lernen und Leben in jahr­gangs­gemischt organisierten Lern­familien in einer Vielfalt, die ihresgleichen sucht.“
  • Statt Klassen gibt es an der Kettelerschule Lernfamilien: Die 225 Schülerinnen und Schüler lernen in heterogenen, jahr­gangs­gemischten Gruppen.
  • Wie ein typischer Schultag in der Lernfamilie der Löwen abläuft, lesen Sie im Porträt der Kettelerschule Bonn.