Kettelerschule Bonn : Wie ein Alien beim Übergang in die Grundschule hilft
„Sanft rein, sanft raus“: Nach diesem Grundsatz hilft die Kettelerschule in Bonn Kindern beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule und beim Wechsel auf die weiterführende Schule. Wie das in der Praxis aussieht und was ein Außerirdischer damit zu tun hat, erzählt Schulleiterin Christina Lang-Winter im Interview mit dem Schulportal.
Schulportal: An der Kettelerschule in Bonn kennt jedes Kind „Lubo aus dem All“. Wer ist Lubo?
Christina Lang-Winter: Lubo ist eine Handpuppe: ein kleiner, quietschgrüner Außerirdischer mit zwei Antennen auf dem Kopf. Die Antennen verraten ihm, ob in seiner Umgebung alles in Ordnung ist. Lubo kommt auf unsere Erde und weiß nicht, wie man sich hier richtig benimmt – und die Kinder sollen ihm das erklären. „Lubo aus dem All“ erleichtert Jungen und Mädchen den Übergang vom Kindergarten in die Schule.
Wie gelingt das?
Lubo gehört zu einem umfassenden Projekt für Vorschulkinder aus dem Einzugsgebiet unserer Schule. Entwickelt wurde es unter anderem von Thomas Hennemann von der Uni Köln. Das Projekt bereitet die Kinder auf den Schulbesuch vor und besteht aus vier Förderprogrammen. Da ist natürlich „Lubo aus dem All“ zur Förderung sozial-emotionaler Basiskompetenzen. Das Programm „Keiner ist so schlau wie ich“ unterstützt die kognitive Entwicklung. Zwei weitere Programme fördern die mathematischen Fertigkeiten und die phonologische Bewusstheit. Während der Projektlaufzeit besuchen die Vorschulkinder die Kettelerschule – bis zu 40 Mal. Bei jedem Besuch steht eine Aufgabe im Mittelpunkt. Dafür werden die vier Programme miteinander kombiniert und Lubo ist als roter Faden immer dabei. So lernen die Kinder uns schon frühzeitig kennen und entwickeln ein Gefühl für das, was später auch in der Schule von ihnen abverlangt wird.
„Lubo aus dem All“ richtet sich ausschließlich an Vorschulkinder?
Bislang war das bei uns so. Das wird sich aber schon bald ändern. Denn ab dem kommenden Schuljahr 2019/2020 wollen wir die Geschichte von Lubo für die Kinder der ersten und zweiten Stufe fortführen. Wir haben uns in den vergangenen Monaten intensiv um die Vorbereitung gekümmert. Es entsteht ein Komplettprogramm: Lubo begleitet die Kinder beim großen Schritt in die Schule und lernt dann gemeinsam mit ihnen, wie unser Schulalltag funktioniert.
Was hat die Kettelerschule dazu bewogen, Lubo buchstäblich ins Klassenzimmer zu holen?
Das Programm läuft bei uns nun erfolgreich seit sechs Jahren. Die ersten fünf Jahre haben wir das Projekt in Kooperation mit der Universität zu Köln gestemmt. Als dann vor knapp einem Jahr klar war, dass sich die Uni aus dem Projekt zurückzieht, war unsere Enttäuschung erst mal groß. Doch wir haben es tatsächlich geschafft, eine externe Finanzierung zu organisieren, damit wir Lubo aus eigener Kraft umsetzen können – und das ist großartig! Die Veränderung hat frischen Wind in das Projekt gebracht. Eigentlich ist die Situation jetzt sogar besser als vorher.
Welche diagnostischen Maßnahmen wenden Sie darüber hinaus an?
Diagnostik hat einen hohen Stellenwert an der Kettelerschule. Wir beginnen das Schuljahr zum Beispiel immer mit einer Sprachdiagnostik. Dabei wird die gesamte Schülerschaft gescreent. Die Kinder der ersten Klasse werden einzeln getestet, das ist ziemlich aufwendig. Die Jungen und Mädchen der höheren Stufen nehmen an Gruppentestungen teil. Weil wir das jedes Jahr wiederholen, wissen wir genau, wie sich jedes Kind sprachlich entwickelt, wo Baustellen sind und wie wir es gezielt fördern können.
Und welche Rolle spielen Tests und Klassenarbeiten?
Klar, unsere Kinder schreiben regelmäßig Tests über das, was sie gelernt haben. Allerdings auf unterschiedlichem Niveau und zu unterschiedlichen Zeitpunkten – nämlich immer erst dann, wenn sie mit dem Stoff vertraut sind und ihn beherrschen.
Dies alles gilt sicher vor allem für Schülerinnen und Schüler, die ohne größere Probleme zurechtkommen. Was ist mit Kindern, die einen ausgewiesenen Förderbedarf haben?
Für Kinder mit Förderbedarf läuft parallel eine auf sie zugeschnittene Diagnostik. Schon bei der Schulanmeldung haben wir immer Sonderpädagoginnen und -pädagogen dabei, die gezielt darauf achten, welches Kind mehr Bedarf hat. Wenn wir denken, ein Kind braucht Unterstützung, damit die Einschulung erfolgreich ist, dann besuchen wir es schon im Kindergarten, leiten Diagnoseverfahren ein und bringen alle an einen Tisch: den Kindergarten, die Schule und natürlich die Eltern – damit wir alle wichtigen Informationen zum Kind zusammentragen und die Monate bis zur Einschulung nutzen, um alle Vorbereitungen zu treffen. Denn wir haben uns auf den Weg gemacht, diese Idee der Inklusion wirklich zu leben.
Was meinen Sie damit?
Unser Verständnis von Inklusion ist, dass sich die Schule auf das Kind vorbereitet und nicht umgekehrt. Wir bearbeiten die Kinder nicht so lange, bis sie es schaffen, zu uns zu passen, sondern wir versuchen alles, um den Bedürfnissen der vielen unterschiedlichen Kindern gerecht zu werden. Ab dem kommenden Schuljahr besuchen zum Beispiel zwei Kinder unsere Schule, die gewickelt werden müssen. Es ist völlig klar, dass wir dann einen höhenverstellbaren Wickeltisch brauchen. Wir bereiten uns seit November auf diese Situation vor, um uns nicht bei Schuljahresbeginn fragen zu müssen: Wie sollen wir denn das jetzt hinbekommen?
Das bedeutet, die Kettelerschule kennt eigentlich jedes einzelne Kind – und zwar schon vor der Einschulung?
Ganz genau. Umgekehrt sind die Kinder aber auch schon gut mit der Schule vertraut. Nur ein Beispiel: Im Frühjahr finden unsere Besuchstage statt. Dann kommen die Kinder bereits in ihrer künftigen Lernfamilie zusammen. Zur Einschulung wissen sie also längst, ob sie Igel, Löwe oder Robbe sind.
Wie helfen Sie den Kindern beim Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule?
Da gehen wir genauso behutsam vor. Wir versuchen, die Eltern individuell zu beraten. Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden intensiv begleitet. Unsere Sonderpädagoginnen und -pädagogen gehen zum Beispiel mit zur Anmeldung in die weiterführende Schule und nehmen an den Gesprächen teil. Auch Kinder ohne Förderbedarf bekommen mehr Unterstützung beim Wechsel, wenn es nötig ist. Sanft rein, sanft raus – das versuchen wir.
Auf einen Blick
- Die Kettelerschule Bonn ist Preisträger des Deutschen Schulpreises 2019.
- In der Laudatio der Jury heißt es über die inklusive Gemeinschaftsgrundschule: „Dieser Preis ist wahrhaft verdient für ein gemeinsames Lernen und Leben in jahrgangsgemischt organisierten Lernfamilien in einer Vielfalt, die ihresgleichen sucht.“
- Statt Klassen gibt es an der Kettelerschule Lernfamilien: Die 225 Schülerinnen und Schüler lernen in heterogenen, jahrgangsgemischten Gruppen.
- Wie ein typischer Schultag in der Lernfamilie der Löwen abläuft, lesen Sie im Porträt der Kettelerschule Bonn.