Initiative zur Klimabildung : Wie eine Schule bis 2035 klimaneutral werden will

Das Johanneum zu Lübeck hat ein großes Vorhaben: Auf Initiative von Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums hat sich die Schulkonferenz im Frühjahr 2021 darauf verständigt, bis 2035 eine „klimaneutrale Schule“ zu sein. Dazu gehört nicht nur, die Emissionen deutlich zu reduzieren und den Altbau entsprechend zu sanieren, sondern vor allem auch, ein Konzept an der Schule zu entwickeln, das alle an dem Vorhaben beteiligt und Klimabildung viel stärker den gesamten Lehrplan durchdringen lässt. Über die Herausforderungen und Hürden bei der Umsetzung von „Wir lernen klimaneutral“ sprach das Schulportal mit Sophia Marie Pott und Phillip Gutberlet, die die Initiative mit angestoßen haben und maßgeblich am Umsetzungsprozess beteiligt sind.

Phillip und Sophia Wir lernen klimaneutral
Phillip Gutberlet und Sophia Marie Pott setzen sich dafür ein, dass das Johanneum, ein Gymnasium in Lübeck, bis 2035 klimaneutrale Schule wird.
©Ruth Sommerfeld

Warum nicht die eigene Schule bis 2035 klimaneutral machen? Warum nicht einen Weg zu diesem Ziel finden, den auch andere Schulen gehen können? Diese Fragen gingen vielen Schülerinnen und Schülern des Johanneums zu Lübeck durch den Kopf. Zum Beispiel Phillip Gutberlet und Sophia Marie Pott von der Schülervertretung des Gymnasiums. Die Sorge vor dem Klimawandel und die Dringlichkeit der Lage treiben die 17-Jährige und den 18-Jährigen schon lange um. Darum sind sie auch bei „Fridays for Future“ aktiv. Aber sie fühlen sich mit ihrem Engagement nicht immer ernst genommen. „Häufig hören wir Sätze wie: ,Ihr geht für das Klima auf die Straße, aber danach geht ihr zu McDonald’s. Wenn ihr die Politik zur Nachhaltigkeit auffordert, müsst ihr auch selbst etwas machen‘“, erzählt Phillip.

Solche Sätze ärgern die Jugendlichen vielleicht, aber sie entmutigen sie nicht. Eher ist das Gegenteil der Fall. Sätze dieser Art haben Phillip, Sophia und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter bei der Gründung der Initiative „Wir lernen klimaneutral“ eher bestärkt. Die Schülerinnen und Schüler haben sich große Ziele gesetzt, wie Sophia erklärt: „Wir wollen die Klimabildung verbessern, wir wollen, dass Schulen bis 2035 klimaneutral werden. Und wir wollen damit den Druck auf die Politik erhöhen.“

9-Schritte-Programm zur klimaneutralen Schule

Wochenlang hat ein Kreis von Schülerinnen und Schüler des Johanneums im vergangenen Jahr an einem Programm gearbeitet, mit dem sich Klimaneutralität an der Schule umsetzen lässt. „Zentrale Fragen waren dabei: Was können wir konkret machen? Welchen Einfluss haben wir selbst? Wie holen wir die Schulgemeinschaft mit ins Boot? Wie bekommen wir Unterstützung von außen?“, zählt Phillip auf.

Zunächst haben sie Informationen gesammelt und Kontakt zu anderen Schulen aufgenommen, die entsprechende Projekte schon umgesetzt haben. Über „Fridays for Future“ waren sie ohnehin mit vielen anderen Schülervertretungen vernetzt und konnten sich darüber austauschen, welche Hürden es gibt und was gut und was vielleicht weniger gut geklappt hat.

Die Bildung eines Netzwerks war ihnen wichtig, weil sie nicht nur für das Johanneum einen Weg zur Klimaneutralität finden wollen. „Wir haben ein 9-Schritte-Programm entwickelt, wie sich Klimaneutralität an Schulen Schritt für Schritt umsetzen lässt“, erklärt Sophia. Dies könne auch anderen Schulen als Orientierungshilfe dienen. „Und viele Schulen gemeinsam können viel mehr bewegen als eine Schule allein“, ergänzt Phillip.

Die Initiative beschränkt sich nicht nur auf bauliche Maßnahmen

Das Schulgebäude des Lübecker Gymnasiums ist mehr als 100 Jahre alt. Bei baulichen Veränderungen muss immer der Denkmalschutz mitgedacht werden.
©Foto-AG des Johanneum zu Lübeck

Sophia und Phillip betonen, dass sich „Wir lernen klimaneutral“ nicht nur auf Maßnahmen am Schulgebäude beschränkt, sondern dass Klimabildung viel stärker die Schulkultur und den Unterricht bestimmen müsse. „Unser Ziel ist, dass Klimabildung den gesamten Lehrplan durchdringt – nicht nur einzelne Fächer wie Geografie oder Biologie, wo es vielleicht naheliegend erscheint“, sagt Sophia. Zum Beispiel müssten auch im Fach Wirtschaft aktuelle Wirtschaftsmodelle immer den Klimawandel mitthematisieren.

Ein wichtiger Input bei der Entwicklung von „Wir lernen klimaneutral“ kam von der Studierendeninitiative „Public Climate School“, die im Frühjahr 2020 erstmals ein Unterrichtsprogramm für Schulen angeboten hat, das auch das Lübecker Johanneum genutzt hat. Die „Public Climate School“ will Wissen zum Klimawandel vermitteln und Schulen befähigen, selbst aktiv zu werden und nachhaltige Projekte zu entwickeln.

Fast ein Jahr von der Idee bis zum Beschluss der Schulkonferenz

„Wir lernen klimaneutral“ lässt sich durchaus als Graswurzelbewegung betrachten – aus der Schülerschaft entwickelt, soll sie die Schule durchdringen und darüber hinaus auch weitere Schulen und im besten Fall sogar Städte und Kommunen erreichen. So jedenfalls beschreiben Sophia und Phillip ihre Vision. Die Realität ist mittlerweile irgendwo in der Mitte der Wegstrecke angekommen.

Ende 2020 hat die Initiative ihr Konzept für „Wir lernen klimaneutral“ einigen Lehrkräften und Eltern vorgestellt. „Wir wollten einen Antrag haben, der gut vermittelbar ist“, sagt Phillip. Erst als sie das Gefühl hatten, dass das Konzept tragfähig ist, haben Sophia und Phillip als Schulsprecherin und Schulsprecher ihrem Schulleiter den Antrag vorgelegt.

Schwierig sei es nicht gewesen, Michael Janneck ins Boot zu holen, sagen beide. Der Schulleiter selbst bestätigt, dass ihn das Engagement der Schülerinnen und Schüler beeindruckt habe. „Mir war es allerdings wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler auch selbst ins Handeln kommen und nicht nur Maßnahmen zum Gebäudemanagement veranlassen wollen.“ Aber mit diesem Anliegen war er sich mit der Initiative einig.

Am Johanneum gibt es schon lange eine Klimaschutz-AG

Michael Janneck hat die Initiative mit Daten zum Energieverbrauch der Schule versorgt und entsprechende Kontakte bei der Stadt vermittelt. Außerdem hat er eine Lehrerin für eine Unterrichtsstunde wöchentlich abgestellt, damit sie die Schülerinnen und Schüler unterstützen kann, und auch der stellvertretende Schulleiter ist mit im Boot.

Die Rückendeckung durch die Schulleitung war ein Türöffner, aber der Antrag musste natürlich noch durch die Schulkonferenz. Bis es so weit war, habe es schon einige Diskussionen gegeben, sagen Sophia und Phillip. Manchen Lehrkräften ging die ursprüngliche Idee zu weit, dass der ganze Lehrplan entsprechend umgeschrieben werden sollte. Das konnte die Initiative dann auch nicht durchsetzen. Schulleiter Janneck betont aber, dass Klimabildung in vielen Fächern sowieso schon stattfinde – wie intensiv, hänge natürlich auch von den jeweiligen Lehrkräften ab.

Phillip Gutberlet
Phillip Gutberlet
©Christina Gangotena

Unser Ziel ist, dass Klimabildung den gesamten Lehrplan durchdringt.

Viele Schulen gemeinsam können viel mehr bewegen als eine Schule allein.

Sophia Marie Pott
Sophia Marie Pott
©Laurent Hoffmann

Ohnehin herrsche am Johanneum eine große Offenheit gegenüber dem Thema Klimaschutz. Schon lange gibt es die AG „Greenteam“. Sie hat bereits kleinere Projekte wie die Umstellung auf Recyclingpapier oder mehr vegetarisches Essen in der Mensa durchgesetzt.

Im Frühjahr schließlich war es aber so weit: Der Antrag wurde von der Gesamtschulkonferenz angenommen und das Konzept „Wir lernen klimaneutral“ beschlossen.

Den CO2-Fußabdruck mit speziellem Rechner für Schulen ermittelt

Das war der erste große Schritt, jetzt folgten viele kleine. Zunächst mal wollte die Initiative herausfinden, wie groß der CO2-Fußabdruck des Johanneums überhaupt ist. Dafür haben die Schülerinnen und Schüler Daten zu Gebäudemanagement, Mensa, Klassenfahrten, Papierverbrauch, Energieverbrauch und Stromverbrauch gesammelt. Und die Gruppe hat bei Schülerinnen und Schülern eine Abfrage gemacht, mit welchen Verkehrsmitteln sie zur Schule kommen. Mit Unterstützung von Greenpeace haben sie dann die Daten ausgewertet. Das Ergebnis: 2019 hat das Johanneum 549 Tonnen CO2 ausgestoßen.

Am Johanneum gibt es jetzt „Klimascouts“

Erste Beschlüsse wurden inzwischen auch schon gefasst: So hat sich die Schulgemeinde des Johanneums darauf verständigt, Klassenfahrten nicht mehr mit dem Flugzeug zu machen. Mehr Schülerinnen und Schüler kommen mittlerweile mit dem Fahrrad zur Schule, und die Schule hat sich auf einen fleischfreie Brotbox verständigt.

Außerdem hat die Initiative durchgesetzt, dass jede Klasse zwei „Klimascouts“ bekommt. Wie Klassensprecherinnen und Klassensprecher werden diese von der Klasse gewählt und können sich an der Schule in alles einbringen, was mit Klimabildung und dem Projekt klimaneutrale Schule zu tun hat. Außerdem soll durch die Klimascouts sichergestellt werden, dass das Projekt bestehen bleibt, wenn die Initiatorinnen und Initiatoren nicht mehr an der Schule sind.

Bei Phillip ist das schon jetzt der Fall. Er hat im Sommer Abitur gemacht, engagiert sich derzeit aber noch weiter für „Wir lernen klimaneutral“. Bei Sophia stehen die Abiturprüfungen im kommenden Jahr an.

Zusammenarbeit mit Greenpeace

Das Johanneum gehört inzwischen zu den Modellschulen, mit denen Greenpeace im Projekt „Schools for Earth“ zusammenarbeitet. Mithilfe der Umweltorganisation hat das Lübecker Gymnasium jetzt auch erreicht, dass das Institut für Energie und Umweltforschung in Heidelberg (ifeu) eine Roadmap erstellt und Vorschläge macht, mit welchen Maßnahmen und Technologien das Johanneum sein Klimaziel erreichen kann. Eine erste Begehung durch das Institut hat bereits stattgefunden.

Der Denkmalschutz muss mitgedacht werden

Die Hürden sind dabei aber größer, als die Schülerinnen und Schüler anfangs gedacht haben – insbesondere auch beim Denkmalschutz für das mehr als hundert Jahre alte Gebäude und bei der Finanzierung. Der Etat der Schulen selbst reicht zum Beispiel nur für die Umstellung auf Recyclingpapier oder für die Anschaffung neuer Heizungsthermostate. Zusätzliches Geld soll über den Förderverein und Aktionen wie Spendenläufe und Flohmärkte kommen, die „Wir lernen klimaneutral“ plant. Außerdem hat die Initiative gerade einen Klimaschutzpreis der örtlichen Sparkasse erhalten.

Umfangreiche Sanierungsarbeiten lassen sich damit allerdings nicht umsetzen, dafür ist die Stadt als Schulträger zuständig. „Die steht aber hinter dem Vorhaben“, versichert der Schulleiter, schließlich habe sich die Stadt Lübeck selbst vorgenommen, bis 2040 klimaneutral zu sein. Außerdem stünden für das Johanneum ohnehin Sanierungsarbeiten an, da könnten die Vorschläge des ifeu gleich mit einfließen. Daher sei das Interesse groß, auch die Schulen bei entsprechenden Vorhaben zu unterstützen.

Phillip und Sophia sind ohnehin zuversichtlich, dass das zu schaffen ist. Und sie wollen das Vorhaben auch nicht nur auf ihre Schule beschränken. „Wir wollen so viele Schulen wie möglich dazu bewegen, sich zu verpflichten, klimaneutrale Schule zu werden.“

9 Schritte zur klimaneutralen Schule

Die Initiative „Wir lernen klimaneutral“ hat neun Punkte formuliert, die sie auf dem Weg zur klimaneutralen Schule für wichtig halten und die Nachhaltigkeit sichern sollen:

  • Informieren: Informationen über den Klimawandel, die aktuelle Sachlage und mögliche Tools, zum Beispiel zum Erfassen des CO2-Verbrauchs, sammeln.
  • Vernetzen: Mitstreiterinnen und Mitstreiter an der Schule suchen – auch unter den Lehrkräften, Eltern, der Schulleitung sowie außerhalb der Schule, damit das Projekt gelingt.
  • AGs gründen: An der Schule sollte es eine Koordinierungsstelle geben, am besten eine AG, in der sich alle Beteiligten regelmäßig austauschen. Die Koordinierungsstelle sollte nicht zu groß sein – die Initiative schlägt je zwei Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern vor. Daneben kann es aber noch weitere AGs zu speziellen Themen geben wie Recycling oder Schulhof-Begrünung.
  • Verbrauch erfassen: Daten zum Ausstoß von Treibhausgasen der Schule in verschiedenen Bereichen sammeln und berechnen. Dafür stehen drei Programme zur Verfügung: Der CO2-Rechner von Greenpeace, die Rechnungen der Initiative „Klimaneutrale Schule“ oder die Rechenhilfe des Projekts fifty/fifty könnten dafür genutzt werden.
  • Konzept entwickeln: Wenn der Verbrauch ausgewertet ist, kann die Schule ein darauf abgestimmtes Einsparungskonzept entwickeln. Manches dauert in der Umsetzung länger, aber anderes kann direkt beginnen, zum Beispiel: im Schulkiosk auf unverpackte Produkte umsteigen, Heizungen am Ende des Schultags herunterfahren oder sich darauf verständigen, dass möglichst alle mit dem Fahrrad zur Schule kommen.
  • Offizieller Beschluss: Damit es nicht bei Ideen oder kurzlebigen Projekten bleibt, muss die Schulkonferenz Beschlüsse fassen, die das Einsparungskonzept nachhaltig verankern. Dazu sollte ein entsprechender Antrag erarbeitet und eingebracht werden.
  • Konzept ausbauen: Aus eigener Kraft allein schafft eine Schule es nicht, klimaneutral zu werden. Für nachhaltige Veränderungen müssen Behörden mit ins Boot geholt werden, damit zum Beispiel bauliche Maßnahmen umgesetzt werden können.
  • Ergebnisse prüfen: Das Konzept und seine Auswirkungen sollten regelmäßig auf deren Wirksamkeit überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Wichtig ist auch, regelmäßig das Feedback der Schulgemeinde einzuholen.
  • Wissen teilen: Um andere Schulen auf dem Weg zur klimaneutralen Schule zu unterstützen, sollten Kontakte, Konzepte und Einspartipps transparent sein und Erfahrungen weitergegeben werden.