„GemüseAckerdemie“ : Ackern auf dem Schulhof
Die „GemüseAckerdemie“ will Kindern mit einem besonderen Schulprojekt vermitteln, welche Bedeutung die Natur für unsere Ernährung hat, und macht sie zu Gemüsebauern. „Acker-Coaches“ wandeln den Schulhof oder Schulgarten mit den Kindern zum Gemüseacker um und begleiten die Klassen von der Saat bis zur Ernte. Ganz nebenbei entdecken die Schülerinnen und Schüler dabei Gemüsesorten, von denen sie vorher noch nie gehört hatten – und die sie jetzt auch zum ersten Mal probieren. Das Schulportal hat eine Pflanzung in der Grundschule „Otto Nagel“ bei Potsdam begleitet.
Sophia bohrt mit dem Schaufelgriff Löcher in die Erde, in die Tim gleich die Jungpflanzen einsetzt, aus denen mal Rote Bete und Kohlrabi werden sollen. Aber erst muss noch Hannes Wasser in die Löcher füllen. „Wisst ihr, wieso?“, fragt „Acker-Coach“ Elisabeth. „Die Wurzeln gehen sonst nach oben“, sagt Hannes.
Die Kinder aus der 4a der Grundschule „Otto Nagel“ bei Potsdam wissen schon gut Bescheid. Bevor sie das Gemüsebeet mit Samen, Zwiebeln und Jungpflanzen füllen, haben sie den kleinen Acker vorbereitet und bei ihrer Lehrerin Jacki Neugebauer im Unterricht schon viel über Gemüseanbau gelernt.

Es ist ja etwas anderes, ob man das Gemüse selbst aus der Erde holt oder im Supermarkt kauft.
Von vielen Gemüsesorten hatten die meisten Kinder vorher noch nie gehört – von Palmkohl zum Beispiel oder Stoppelrübe. Und einige Gemüsesorten mögen sie auch überhaupt nicht. „Rote Bete“, sagen die einen, „Pastinake“, die anderen. Radieschen und Gurke finden den größten Zuspruch. Aber wenn dann in ein paar Wochen oder Monaten Tomaten, Salat, Fenchel, Kohl und ja, auch Rote Bete geerntet werden können, dann wird vielleicht doch mal probiert. „Es ist ja etwas anderes, ob man das Gemüse selbst aus der Erde holt oder im Supermarkt kauft“, sagt Jacki Neugebauer.
Kinder lernen in der „GemüseAckerdemie“, wie viel Arbeit im Gemüseanbau steckt
Die 4a macht mit bei der GemüseAckerdemie und ist gerade bei der ersten Pflanzung auf dem schuleigenen Gemüsebeet. 4 mal 14 Meter ist das groß, in zwölf Reihen ist die Erde ordentlich aufgehäufelt. Über einem Teil des kleinen Ackers ist eine Schnur mit bunten Bändchen gespannt. „Damit die Vögel nicht alles wegpicken“, erklärt Johann.
In der GemüseAckerdemie lernen die Kinder vor allem auf praktische Weise – also durch den eigenen Anbau –, welche Gemüsesorten es gibt, wie sie wachsen, welche Bedeutung die Natur für unsere eigene Ernährung und für unser Leben hat – und wie wichtig es ist, die Natur zu erhalten. GemüseAckerdemie ist ein Jahresprogramm: Am Anfang des Jahres lernen die Kinder das Basiswissen über das Gemüse und den Anbau. Dann geht es auf den Acker, und nach der Ernte beschäftigen sich die Klassen damit, was eigentlich mit dem Gemüse passiert. Da geht es dann auch um Themen wie Verschwendung von Nahrungsmitteln und Naturschutz.
Kopf der GemüseAckerdemie ist Christoph Schmitz. Der Agrarökonom ist auf einem Hof in Rheinland-Pfalz aufgewachsen. In seiner Kindheit hatten viele Schulklassen den Hof besucht. Aber ein Klassenausflug auf den Bauernhof für nur einen Tag – das erschien ihm irgendwann zu wenig, um nachhaltig Wertschätzung gegenüber der Natur entwickeln zu können.
Inzwischen hat die GemüseAckerdemie 850 Lernorte
Als er vor zehn Jahren dann in Elternzeit war, schrieb Schmitz ein Konzept für ein neues Bildungsprogramm: die GemüseAckerdemie. Dahinter stand die Idee: „Wenn die Kinder nicht zum Acker kommen, dann bringen wir eben den Acker zu den Kindern.“ „Zu den Kindern“, das heißt für ihn: zur Schule und zur Kita. Weil das die Orte sind, wo alle Kinder sind.
2013 testete Schmitz das Konzept in einem Pilotprojekt mit seiner Schwester, die Lehrerin ist, und ihrer Schulklasse. Jeweils samstags verwandelten alle gemeinsam eine Brachfläche neben der Schule in einen Gemüseacker. Die Teilnahme war für die Kinder freiwillig, aber die Begeisterung war von Anfang an groß, erzählt Schmitz. Er erinnert sich noch an einen Jungen, der zunächst skeptisch war. „Mir ist das eigentlich egal – ich bin Gamer, kein Bauer“, habe er zuerst gesagt. Aber er blieb dabei, weil es ihm Spaß machte, mal etwas anderen mit den Händen zu machen als zu daddeln. Und Schmitz gab das Rückendeckung, sein eigenes Sozialunternehmen zu gründen und die GemüseAckerdemie in die Fläche zu tragen. Inzwischen hat die GemüseAckerdemie 850 Lernorte – 250 an Kitas, 600 an Schulen, meist Grundschulen.
Schulen, die mitmachen möchten, brauchen nur eine Fläche zum Ackern. 100 bis 150 Quadratmeter seien völlig ausreichend, so Schmitz. Und sollte es tatsächlich mal keinen geeigneten Platz direkt an der Schule geben, finden sich meist Lösungen über einen Kleingartenverein in der Nähe oder eine Brache, die die Gemeinde zur Verfügung stellt. Notfalls lässt sich Gemüse aber auch in Hochbeeten anbauen. „Das ist allerdings für uns nur eine Notlösung“, sagt Schmitz, „denn die Kinder sollen ja lernen: Gemüse kommt aus der Natur und nicht aus einer Holzkiste.“
Die Zusammenarbeit mit den Schulen läuft jeweils über vier Jahre. „Unser Ziel ist, die Schulen zu befähigen, den Gemüseanbau eigenständig weiterzubetreiben. Wir wollen ein nachhaltiges Projekt“, sagt Schmitz. Zunächst werden Lehrkräfte, Erzieherinnen, Hausmeister oder wer immer an der Schule das Projekt übernimmt, geschult, und gemeinsam mit den „Acker-Coaches” und den Kindern führen sie dann die Pflanzungen durch.

Von „Volle Möhre“ über „Gemüse-Guru“ bis „Acker-Alumni“
In den folgenden Jahren übernimmt die Schule also immer mehr Eigenverantwortung, und die GemüseAckerdemie reduziert ihren Vor-Ort-Service durch die Acker-Coaches und nimmt stattdessen zunehmend eine beratende Funktion ein.
Die Schulen bekommen außerdem auch Unterrichtsmaterialien, abgestimmt auf die verschiedenen Klassenstufen. Die Schülerinnen und Schüler beginnen auf dem Status „Volle Möhre“ und entwickeln sich dann über „Schlauer Bauer“ und „Gemüse-Guru“ schließlich zu „Acker-Alumni“. Der Großteil der Programmkosten wird über Förderpartner wie die AOK, Ministerien oder Stiftungen sowie Spenden finanziert. Die Schulen selbst zahlen nur einen geringen Eigenbeitrag, zum Beispiel für Pflanzen und Saatgut.
Die Otto-Nagel-Schule ist jetzt im zweiten Jahr dabei. Lehrerin Jacki Neugebauer hatte schon im vergangenen Jahr mit ihrer damaligen sechsten Klasse gesät, gepflanzt und geackert. „Zuerst mussten wir aber den Boden urbar machen. Das hier war die reinste Müllverklappungsanlage – wir haben sogar ein halbes Fahrrad gefunden“, erzählt sie. Mit ihrer jetzigen vierten Klasse hat sie dann im Herbst den kleinen Acker weitergepflegt und das erste Gemüse geerntet.
Beim Gemüseanbau lernen die Kinder auch, Verantwortung zu übernehmen
Die gemeinsame Arbeit im Gemüsebeet und dann das gemeinsame Essen von Broten mit frisch geernteter Kresse ist auch ein wichtiges Gemeinschaftserlebnis, das sonst in der Corona-Zeit fehlt. Und Christoph Schmitz sieht gerade in der Pandemie eine Chance, den Schulhof als pädagogischen Raum über das Ackern hinaus auch für andere Projekte stärker zu nutzen.
Die Kinder der 4a werden auf jeden Fall in den kommenden Wochen viel Zeit auf dem Acker verbringen. Sie müssen gießen, Unkraut entfernen und von zu Hause Rasenschnitt mitbringen, um den Boden zu schützen. „So lernen die Kinder auch, Verantwortung zu übernehmen“, sagt Jacki Neugebauer. Sophia freut sich besonders darauf, „wenn dann etwas aus der Erde rauskommt“. Das sei für sie noch schöner, als später das Gemüse zu ernten – und zu essen.
Auf einen Blick

- Die GemüseAckerdemie hat mittlerweile 850 Lernorte: 250 in Kitas, 600 in Schulen. Über Deutschland hinaus gibt es auch Kooperationen mit Schulen in der Schweiz und in Österreich.
- Das mehrfach ausgezeichnete Bildungsprogramm finanziert sich über Spenden und hat mehrere Partner. Zu den Förderern gehören u. a. die AOK und viele Stiftungen, darunter die Heidehof Stiftung.
- Für die Idee und die Umsetzung der GemüseAckerdemie wurde Christoph Schmitz 2016 als Fellow ins „Ashoka“-Netzwerk aufgenommen. Ashoka gilt als weltweit größte Non-profit-Organisation zur Förderung von Sozialunternehmen mit innovativen Ideen. Aus Deutschland sind 70 Fellows dabei.
- Wer bei dem Programm mitmachen und „AckerSchule“ werden möchte, findet auf der Website das Kontaktformular und einen Überblick über Bildungsmaterialien für den Unterricht. Den teilnehmenden Schulen entstehen nur die Materialkosten, zum Beispiel für Saatgut, Zwiebeln und Jungpflanzen.
- Einen Einblick in die Arbeit der GemüseAckerdemie gibt dieser Film:
„Schulgarten" als Unterrichtsfach
Dozentinnen und Dozenten der Universität Erfurt stellen auf der Bundesgartenschau (Buga) 2021 in Erfurt das Unterrichtsfach „Schulgarten” vor. Interessierte sollen sich an drei Hochbeeten zu den Themen Anbau, Pflege, interaktive Landartprojekte und Wildblumenwiesen über das gemeinsame Gärtnern informieren können, wie die Uni mitteilte.
„Wir möchten die Potenziale des Faches und des Lernortes Schulgarten deutlich machen und eine möglichst breite Bevölkerungsgruppe dafür begeistern”, sagte die Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät, Katy Wenzel. Den Schulgarten als Lernort gebe es deutschlandweit an Kitas und Schulen, das Unterrichtsfach hingegen sei nur in Thüringen in den Lernplan integriert, so Wenzel. dpa