„Datteltäter“ : Darf man über Rassismus lachen?

Seit mittlerweile fünf Jahren beleuchten die „Datteltäter“ mit ihren satirischen Videos das Leben junger Muslime in Deutschland und haben damit bei muslimischen und nicht-muslimischen Jugendlichen enormen Erfolg. Mehr als 438.000 Abonnenten hat ihr Youtube-Kanal heute. Ihre Videos werden inzwischen in Schulen sogar als Unterrichtsmaterial genutzt. Das Schulportal hat einen der Gründer getroffen.

©Datteltäter/funk

„Wenn du das Kopftuch abnimmst, können wir noch mal über deine Note reden“, „Wir sind hier in Deutschland, und hier verhält man sich zivilisiert“, „Langsam zweifel ich, ob ich in einem Gymnasium unterrichte oder in einem Flüchtlingsheim.“ Solche Sätze sollten natürlich nie in einer Schule fallen. Aber im Satire-Video „Wenn Rassismus ehrlich wäre“ hört man solche Erniedrigungen und Diskriminierungen von einem Lehrer über sechs Minuten lang. Darf dieser Alltagsrassismus Gegenstand von Satire sein? Darf man gar darüber lachen? Für die „Datteltäter“, die Macher des Videos, ist die Antwort klar: Ja.

Bei den „Datteltätern“ handelt es sich um einen Youtube-Kanal, hinter dem eine Gruppe junger Menschen steht, die meisten mit muslimischen Wurzeln. Die Youtuber veröffentlichen seit mittlerweile fünf Jahren einmal wöchentlich ein satirisches Video auf ihrem Kanal, in dem sie das Leben junger Muslime in Deutschland auf kritische und zugleich humorvolle Weise beleuchten. Sie überzeichnen und kommentieren gängige Stereotype und wollen die Klischees, die es über Muslime gibt, gerade dadurch demaskieren. Zugleich möchten sie kulturelle Schranken überwinden.

Humor ist ein universeller Eisbrecher und ermöglicht es, sich unangenehmen Themen und Fragen mit einer gewissen Leichtigkeit zu nähern.
Fiete Aleksander, Gründungsmitglied der „Datteltäter“

Der Diskurs über den Islam werde oft vorurteilsbehaftet, verkrampft und emotional geführt. „So emotional, dass uns Debatten und Diskurse stets als mühsam und ergebnislos in Erinnerung blieben“, erklärt Fiete Aleksander, eines der Gründungsmitglieder der „Datteltäter“, in einem Beitrag für die Publikation „Bewegtbildung denken“. Um dem entgegenzuwirken, hat die Gruppe die Satire als Basis ihrer Videos gewählt. „Humor ist ein universeller Eisbrecher und ermöglicht es, sich unangenehmen Themen und Fragen mit einer gewissen Leichtigkeit zu nähern. Jedoch verpflichteten wir uns, Videos zu produzieren, die nicht nur der Unterhaltung dienen, sondern auch zum Nachdenken und Reflektieren anregen sollten“, führt er weiter aus.

Youtube-Kanal der „Datteltäter“ hat mittlerweile mindestens 438.000 Abonnenten

Vieles ist dabei hart an der Schmerzgrenze, oft sind die Videos der „Datteltäter“ streitbar – und sie sind sehr erfolgreich. Inzwischen hat der Kanal mindestens 438.000 Abonnentinnen und Abonnenten. Die meisten sind zwischen 12 und 30 Jahre alt, etwa zwei Drittel, schätzen die Macher, sind Musliminnen und Muslime.

„Wenn Rassismus ehrlich wäre“ ist eine ganze Satire-Reihe. Gezeigt werden eine Wohnungsbesichtigung, ein Bewerbungsgespräch oder eben die genannte Szene aus dem Klassenraum. Der Lehrer wirft hier den überwiegend migrantischen Jugendlichen seiner Klasse eine Unverschämtheit und Beleidigung nach der anderen an den Kopf. Er stellt Schülerinnen und Schüler bei der Rückgabe von Klassenarbeiten vor der ganzen Klasse bloß, macht sexistische Bemerkungen über das Kopftuch eines Mädchens, er begegnet einem schwarzen Mitschüler mit Affengeräuschen und ist um keinen ausländerfeindlichen Stammtischspruch verlegen.

Ziel der „Datteltäter“ ist es, Rassismus in der Schule stärker in den Fokus zu rücken

Vor dem Dreh zum Video haben die „Datteltäter“ einen Aufruf auf Instagram gestartet und ihre Community gebeten, ihnen ihre Erfahrungen mit Rassismus in der Schule mitzuteilen. Etwa 150 Rückmeldungen gab es, erklärt Younes Al-Amayra, auch er ein „Datteltäter“ der ersten Stunde, im Vorspann des Videos. Alles, was im Video gezeigt werde, habe einen wahren Kern. Manche Sätze seien sogar eins zu eins übernommen.

 

Datteltäter
Die „Datteltäter" in fast aktueller Besetzung. Younes Al-Amayra (3. v.l.) ist von Anfang an dabei.
©Mirza Odabaşı

Rassismus in der Schule sei ein großes Thema, erklärt Younes Al-Amayra auch im Interview mit dem Schulportal. Ein Thema, über das aber nur wenig gesprochen werde. „Viele haben gar keine Ahnung, was muslimische Jugendliche von Lehrerinnen und Lehrern an Rassismus erfahren“, sagt Younes Al-Amayra. Er hat als Sohn palästinensischer Eltern selbst Diskriminierungen erlebt – in seiner eigenen Schulzeit in Berlin und als er nach dem Studium der Islamwissenschaft drei Jahre in einer Schule arbeitete. Heute ist er hauptberuflich „Datteltäter“.

Die „Datteltäter“ geben auch Workshops in der Schule

„Ich glaube, dass viele Lehrer keine Ahnung haben, wo Rassismus überhaupt anfängt und was beleidigend für Schüler sein kann“, sagt Younes Al-Amayra. Dabei sei Schule ein sehr prägender Raum. Sätze, die Kinder und Jugendliche hier hörten, würden sie ein Leben lang begleiten. Darum wünscht er sich mehr Aufklärung, mehr Sensibilität. Eine Sicht, die auch der Rassismusforscher Karim Fereidooni im Interview mit dem Schulportal vertritt: „Das Wichtigste ist, nicht zu leugnen, dass Rassismus existiert, darüber zu sprechen und Rassismus zum Unterrichtsthema zu machen.“

Die „Datteltäter“ geben daher auch Workshops in Schulen. Sie zeigen zum Beispiel das Video „Wenn Rassismus ehrlich wäre“ und regen eine Diskussion darüber an. „Viele Kinder und Jugendliche erzählen uns dann, dass sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Von den Lehrenden aber kommt meist nur wenig“, berichtet Younes Al-Amayra. Noch nie habe eine Lehrkraft in seinem Beisein zugegeben, dass sie vielleicht auch selbst mal wissentlich oder unwissentlich Schülerinnen und Schülern diskriminierend begegnet sei. „Aber ich bin mir sicher, dass viele Lehrer nach dem Video noch mal darüber nachgedacht haben.“ Und eine Offenheit für das Thema gebe es ja, sonst würden die Lehrerinnen und Lehrer die „Datteltäter“ ja nicht in den Unterricht einladen.

Wir haben gesehen, dass es einen großen Bedarf gibt; dass es neu ist, wenn Muslime Satire machen.
Younes Al-Amayra, Gründungsmitglied der „Datteltäter“

Wie sehr die „Datteltäter“ gerade mit dem Video aus der Schule einen Nerv getroffen haben, zeigen die Klickzahlen. Bis heute hat das Video über Rassismus in der Schule fast 2,6 Millionen Aufrufe, und es gibt mehr als 6.600 Kommentare. Die meisten zustimmend, doch es gibt durchaus auch Kritik – vor allem mit dem Tenor, die „Datteltäter“ würden Stereotype nur verstärken. Younes Al-Amayra sieht das nicht so: „Manches stimmt doch auch. Ich finde es aber wichtig, dass die Community das selbst thematisiert und nicht andere über die Köpfe einer Gruppe hinweg entscheiden, was ein Klischee ist und was nicht.“ Andere kritisieren, dass Satire nicht das richtige Format sei. Aber auch da ist er anderer Ansicht: „Manche Dinge sind überhaupt nur als Satire auszuhalten.“

2017 wurden die „Datteltäter“ mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet

Dieser Gedanke hat letztlich auch zur Entstehung der „Datteltäter“ geführt. „Das war Ende 2014 mit dem Größerwerden von Pegida und den Montagsdemonstrationen in Dresden“, erzählt Younes Al-Amayra. Er hatte sich damals zusammen mit Freunden einen ARD-Beitrag angesehen, in dem Demonstrantinnen und Demonstranten zu ihren Motiven befragt wurden. „Das war ja selbst Realsatire“, sagt er, „ihre Vorstellungen über Muslime waren fernab jeder Lebensrealität, aber eigentlich konnten sie gar nicht benennen, wogegen sie sind.“ Younes Al-Amayra und seine Freunde haben dann ein Video daraus gemacht und auf Facebook gestellt. Der Beitrag ging mit mehr als einer Million Views viral. „Wir haben gesehen, dass es einen großen Bedarf gibt; dass es neu ist, wenn Muslime Satire machen.“

Sie haben weitergemacht. Und sich „Datteltäter, das Satire-Kalifat“ genannt. Der Name ist Programm: Die Dattel ist bei Musliminnen und Muslimen positiv konnotiert, sie symbolisiert Frieden, und mit ihr wird während des Ramadans das Fasten gebrochen.

Schon mit ihren ersten Videos hat die Gruppe so viel Aufmerksamkeit erregt, dass nach ein paar Wochen „funk“, der Online-Jugendkanal von ARD und ZDF, auf die Gruppe zukam und sie unter Vertrag genommen hat. 2017 wurden die „Datteltäter“ mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. In der Begründung der Jury hieß es damals: „Den ,Datteltätern‘ gelingt es, die Realitäten geradezurücken, ohne sie zu beschönigen.“

Videos der „Datteltäter“ werden auch als Unterrichtsmaterial genutzt

Auf der Satire liegt, auch nach fünf Jahren, noch immer der Fokus der „Datteltäter“. Und Themen finden sie genug. Es geht um harmlose Alltagssituationen, zum Beispiel die Frage, wie sich Ohrhörer unter ein Kopftuch stecken lassen, ohne dass es gleich verrutscht. Es geht um den Kulturclash, den interkulturelle Paare im Alltag erleben, und auch um heikle politische Themen wie den „Islamischen Staat“.

Und die „Datteltäter“ haben mittlerweile auch weitere Formate entwickelt, zum Beispiel die Reihe „Sag mir, wer ich bin“, bei der die Personen einer Gruppe mittels kurzer Dialoge erkennen soll, wer von ihnen beispielsweise geflüchtet oder obdachlos ist. Das Format entlarvt Vorurteile und stellt sie infrage. Oder sie konfrontieren bestimmte ethnische Gruppen mit den Vorurteilen, die ihnen entgegengebracht werden, und lassen sie dazu Stellung nehmen. Auch diese Formate werden in Schulen inzwischen bereits als Unterrichtsmaterial angefragt.