Coronavirus : Wie spreche ich mit Kindern über ihre Ängste?

Schulen und Sportvereine schließen, die Menschen machen Hamsterkäufe, die Großeltern wollen und sollen vielleicht nicht mehr besucht werden. Die Ausnahmesituation in Folge der Ausbreitung des Coronavirus macht vielen Kindern und Erwachsenen Angst. Kinderpsychiaterin Susanne Walitza erklärt im Interview mit dem Schulportal, wie Eltern und Lehrkräfte mit Kindern über die Gefahr und die Auswirkungen des Coronavirus sprechen können und wieso Ängste für die Entwicklung wichtig sind.

Junge mit Mundschutz aus Angst vor Coronavirus
Wichtig in dieser Situation ist, dass Kinder lernen, mit der Angst vor dem Coronavirus umzugehen.
©Getty Images

Deutsches Schulportal: Auf uns prasselt zurzeit eine Flut an Bildern von Geisterstädten, von Menschen in Schutzanzügen, Meldungen über immer mehr Coronavirus-Fälle. Was macht das mit Kindern?
Susanne Walitza: Kinder reagieren, wie Erwachsene auch, sehr unterschiedlich auf bedrohliche Situationen: Manche Kinder machen sich sehr viele, vielleicht auch unangemessen viele Sorgen, andere sind sehr gelassen. Entscheidend ist die Reaktion von uns Eltern und Bezugspersonen, die als Vorbild dienen. Dabei vermitteln wir unsere Botschaften nicht nur über die Sprache, sondern überwiegend durch unser nonverbales Verhalten, unsere Mimik und Gestik.

Sollten Eltern oder Lehrkräfte Kinder fernhalten von all dem?
Eltern sollten dieses Thema nicht vermeiden, das würde die Kinder nur stärker verunsichern. Wir sollten signalisieren, dass es möglich ist, auch über schwierige Themen zu sprechen, und dann abwarten, ob das Kind Fragen stellt. Das Thema totzuschweigen hieße, das Kind mit seinen Ängsten allein zu lassen. Es würde dann versuchen, sich die fehlenden Antworten selbst zu geben, und der Fantasie sind in der Regel keine Grenzen gesetzt.

Ein ganz wichtiger Aspekt ist, dass Kinder sehr viel stärker in ihrem Umgang mit Ängsten auf Vorbilder angewiesen sind, da ihnen Vergleichssituationen fehlen.

Wie unterscheiden sich die Ängste der Kinder von denen der Erwachsenen in dieser Situation?
Allgemein gehören Ängste zu einer normalen Entwicklung bei jedem Kind, deshalb sind sie weiter verbreitet als bei Erwachsenen. Außerdem verändern sich die Ängste im Laufe der Entwicklung. So gibt es in der Regel Phasen mit Trennungsängsten, Ängsten vor der Dunkelheit, vor dem Einbrecher unter dem Bett, aber auch Phasen mit Gesundheitsängsten. Diese würden durch die aktuelle Entwicklung des Coronavirus dann verstärkt.
Kinder gehen aber auch anders mit Ängsten um als Erwachsene. Manche finden zum Beispiel neue Worte für eine Angst, Andere entwickeln wiederum eine ganz anschauliche Bilderwelt. Einige schaffen es, Bedrohliches in ihrer Fantasie umzuformen, Rituale zu entwickeln gegen die Angst. Andere ziehen sich in frühere Entwicklungsphasen zurück. Es ist sehr unterschiedlich!
Man sollte Angstschilderungen von Kindern und Vorschläge, wie sie damit umgehen wollen, deshalb nicht mit dem Maßstab eines Erwachsenen messen.
Ein ganz wichtiger Aspekt ist, dass Kinder sehr viel stärker in ihrem Umgang mit Ängsten auf Vorbilder angewiesen sind, da ihnen Vergleichssituationen fehlen. Deshalb ist das Vorbild der Erwachsenen im Umgang mit der Angst so wichtig.

Kann ich Kindern überhaupt ihre Angst nehmen in dieser Situation?
Ängste sind Teil unseres Lebens, sie sind Teil unserer Normalität. Das gilt gerade auch für Kinder. Ziel sollte es deshalb nicht sein, dem Kind die Angst nehmen zu wollen, sondern einen Umgang mit Ängsten zu ermöglichen.
An erster Stelle ist die Bindung zum Kind zu nennen: Sie ist die Basis für einen vertrauensvollen Umgang miteinander, stärkt das Selbstvertrauen des Kindes insbesondere in angstauslösenden Situationen. Es ist hilfreich, dem Kind Gesprächsangebote zu machen, indem die Bezugspersonen nachfragen, was das Kind über das Coronavirus gehört hat, wie es sich fühlt, allerdings ohne dieses Thema zum Dauerthema zu machen.

Wie kann ich einem Kind denn am besten erklären, was das Coronavirus ist und wie groß die Gefahr ist?
Für Kinder ist sicherlich der Vergleich mit einer schweren Erkältung und Grippe hilfreich: Viren als winzig kleine Krankheitserreger, die mit dem bloßen Auge nicht sichtbar sind. Und trotzdem ist es möglich, sich vor ihnen durch konsequente Hygienemaßnahmen zu schützen.

Viele Kinder haben jetzt Fragen. Gibt es so etwas wie goldene Regeln dafür, die Eltern und Lehrkräfte beachten sollten, wenn sie mit Kindern über die jetzige Situation oder eine andere derartige Gefahrensituation sprechen?
Um als Vorbild hilfreiches Verhalten zeigen zu können, sollten sich Eltern zunächst selbst fragen, ob sie übermäßig  starke Angst vor dem Coronavirus haben, oder davor, die Sorgen ihrer Kinder nicht ausräumen zu können. Für ein gutes Gespräch müssen die Eltern oder Bezugspersonen also zunächst selbst mit ihrer Angst umgehen können.
Um ein gutes Gespräch mit Kindern über Ängste zu führen, ist Verständnis für deren Ängste wichtig, sie sollten ernstgenommen werden. Ehrliche Antworten, die auf Fakten basieren, sind wichtig, denn sie schaffen Vertrauen. Dem Kind sollten aber nicht mehr Informationen gegeben werden, als es verarbeiten kann. Eine gute Richtschnur ist es, auf Fragen des Kindes zu antworten. Wenn sie nicht weiter fragen, sollte man das Gespräch vorläufig beenden.
Beim Umgang mit den Ängsten ist es hilfreich, das Kind selbst zu fragen: Was kann dich gegen deine Angst stark machen? Es sollte ihm das Vertrauen entgegengebracht werden, dass es mit seinen Ängsten umgehen kann. Man kann dem Kind erklären, dass Ängste überlebenswichtig sind, zum Beispiel damit man sich vor Viren schützt. Aber lähmende Ängste sind nicht hilfreich. Man kann dem Kind veranschaulichen, wie Ängste größer und kleiner geredet werden können: Wenn es in einem Umfeld mit viel Angst ist, wird seine Angst auch größer.

Krisen und Auseinandersetzungen gehören zum Leben, zum Miteinander dazu. Sie bieten auch Chancen, zum Beispiel für Gespräche über Werte.

Vorsichtsmaßnahmen wie Händewaschen, Desinfektion, Abstand halten bieten körperlich Schutz – gilt das auch für die Psyche?
Ja, wenn das Kind lernt, dass es selbst etwas zu seiner Sicherheit beitragen kann, so gibt das Sicherheit. Dies ist wichtig für die psychische Situation des Kindes. Genauso wichtig ist die Information, dass auch die Großeltern etwas für ihre eigene Sicherheit tun können, zum Beispiel durch entsprechendes Verhalten und angemessene Hygiene.

Nun gibt es auch in Deutschland Schulschließungen. Das ist nicht nur ein organisatorischer Aufwand für Familien, sondern ja auch eine psychische Belastung, wenn die Kinder plötzlich zu Hause sind. Was raten Sie hier?
Hilfreich ist es, den Tagesablauf zu strukturieren und Rituale beizubehalten, auch Regeln aufzustellen und einzuhalten. Wichtig ist aber auch die Erwartungshaltung der Eltern selbst: Krisen und Auseinandersetzungen gehören zum Leben, zum Miteinander dazu. Sie bieten auch Chancen, zum Beispiel für Gespräche über Werte, etwa über die Verantwortlichkeit nicht nur sich selbst, sondern auch der Gemeinschaft gegenüber oder über den Tod, der natürlich zum Leben dazu gehört. Diese Bedrohung von außen und die Auseinandersetzung damit kann auch zu einem engeren Familienzusammenhalt führen.

Zur Person

  • Susanne Walitza ist Klinikdirektorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsklinik Zürich.
  • Sie ist im Vorstand der Schweizerischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –Psychiatrie und der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression.
  • Das Studium der Medizin und Psychologie hat sie an der Universität Würzburg und an der Freien sowie Technischen Universität Berlin absolviert. In Würzburg hat sie habilitiert.
  • In ihren Forschungen beschäftigt sie sich viel mit Zwangs- und Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen und hat dazu zahlreiche Artikel und Fachbücher veröffentlicht.
  • Susanne Walitza hat einen zwölfjährigen Sohn.