Kolumne

Vorweihnachtszeit : „Ich will doch manchmal auch nur meine Ruhe!“

An Eltern von Schulkindern werden derart viele Informationen, Fragen und Aufforderungen herangetragen, dass schon deren Bedenken und Erledigen ein Vollzeitjob wäre. Käme da nicht zu dem ganzen Mental Load noch die eigentliche Erwerbsarbeit und Familienorganisation dazu. Zum Jahresabschluss ein erschöpftes Fazit von unserem Kolumnisten.

Fabian Soethof
Weihnachtsmann rennt für Eltern ist die Weihnachtszeit auch ohne Beruf ein Vollzeitjob
Für Eltern ist die Weihnachtszeit auch ohne den eigenen Beruf ein Vollzeitjob - und dann sind da noch die vielen Bitten aus der Schule.
©Robert Michael/dpa

Als Reaktion auf meine vorherige Kolumne, in der es um Elternabende und, halbwegs ironisch, um die Vermeidung von Verantwortung und zusätzlichen Aufgaben bei Elternsprecherwahlen ging, bekam ich eine E-Mail. Ein gewisser Matthias schrieb mir, dass er darüber zwar gelacht habe – dieses Lachen sei ihm aber im Halse stecken geblieben. Er sei viele Jahre Vorsitzender eines Landeselternrats gewesen und wisse, dass elterliche Ehrenämter schwer zu besetzen seien und manchmal lästige Arbeit bedeuteten, ihre Wichtigkeit aber „ganz im Ernst“ deutlicher hervorgehoben werden müsste. Er findet: „Eltern sollen ihre Interessen artikulieren können, das System Schule vermittelt bekommen, die an ihren Kindern handelnden Personen kennenlernen und insgesamt das Bildungssystem mit seinen Ansätzen und Nöten verstehen und letztlich mithelfen, ihre und alle Kinder für ein gesellschaftsfähiges Leben gut aufzustellen.“

Lieber Matthias, liebe weitere Mitlesenden: Ich stellte und stelle das natürlich keineswegs infrage. Worüber wir aber sprechen müssen, ist die Alltagslast, die auf Eltern im Allgemeinen und Eltern von Schulkindern im Speziellen wie eine Gewitterwolke liegt, die sich niemals so ganz verziehen will.

Streik, Kuchenstand, Weihnachtsbasteln – und Läuse

Hier ein unvollständiger Auszug von Aufgaben und Bitten, die seit Schuljahresbeginn aus zwei Klassen zweier Schulen an uns herangetragen wurden. Wahrscheinlich exemplarisch für Nachrichten, die auch viele andere Eltern in der Republik so kriegen:

  • „Liebe Eltern, von Ihnen fehlt mir noch Ihre Stimmabgabe, was die Projektwoche betrifft. Gestern sendete ich dazu eine Mail. Bitte schreiben Sie mir Ihre Meinung bis heute Abend.“
  • „Nächste Woche Mittwoch wird gestreikt. Das bedeutet, dass kein geregelter Unterricht stattfinden kann.“
  • „Wer kann beim Schul-Flohmarkt den Klassenstand betreuen? Kuchenspenden sind auch gerne gesehen.“
  • „Wie angekündigt schreiben wir nächste Woche unseren großen 1×1-Test.  Beim heutigen Schnell-Rechnen hat sich gezeigt, dass Ihre Kinder noch Übungsbedarf haben. Bitte animieren Sie Ihr Kind zum Üben der 1×1-Reihen!!“
  • „Bei einem Kind in der Klasse wurden leider Läuse gesichtet, bitte kontrollieren Sie in den nächsten Tagen die Haare Ihrer Kinder regelmäßig.“
  • „Wer kann eine Station beim Weihnachtsbasteln übernehmen?“
  • „In der Klasse sind heute erneut Kopfläuse festgestellt worden. Bitte kontrollieren Sie die Köpfe Ihrer Kinder im Interesse aller Kinder, Lehrer:innen, Erzieher:innen und Eltern! Vielen Dank!!!
  • „Bitte denken Sie daran, dass der Hort morgen geschlossen ist. Bitte holen Sie Ihr Kind um 12 Uhr von der Klasse ab.“
  • „Heute und morgen entfällt die erste Stunde. Ihr Kind kann später kommen oder im Frühhort betreut werden.“
  • „Der für morgen geplante Ausflug muss leider entfallen.“
  • „Wegen Elternsprechtag keine Schule am Dienstag!“

Und dann steht ja noch Weihnachten vor der Tür

Diese beispielhafte Auflistung will ich nicht als Affront gegen das Lehrpersonal verstanden wissen – im Gegenteil, engagierte Lehrer:innen sind ja nun auch nicht immer selbstverständlich. Es ist nur so: Über Freizeitstress zwischen Fußballtraining, Arztbesuchen, Playdates und Co auf der einen und eigener (bei Schließtagen kaum zu bewältigenden) Erwerbs- und Carearbeit auf der anderen Seite haben wir da noch nicht einmal gesprochen.

Und – ho ho ho! – dann steht ja auch noch das Fest der Besinnlichkeit vor der Tür.

Zeit zum Durchschnaufen bleibt dabei nicht: Adventskalender basteln oder kaufen, Wunschzettel schreiben (lassen), Geschenke besorgen und einpacken, einen Baum (vom Baumarktparkplatz) fällen, dekorieren, Treffen mit Familien und Freund:innen und dazugehöriges Festessen organisieren, es mindestens den Kindern schön machen.

Aber klar und ebenfalls ganz im Ernst: Das sind private und Erste-Welt-Probleme von Privilegierten. Wie es Menschen mit zum Beispiel weniger Zeit und Geld, weniger Deutschkenntnissen, sozialem Auffangnetz oder partnerschaftlicher Unterstützung geht, mag ich mir gar nicht erst ausmalen.

Drei abgehakte und fünf neu dazugekommene Punkte

Mein Punkt ist: Eltern, die ihre Kinder zu Hause und in der Schule mehr als nur verwahrt wissen wollen, agieren im Alltag auch ohne Ehrenamt bereits am Limit (und die anderen meist auch). Am Ende eines jeden Tags bleibt neben Müdigkeit und drei abgehakten, aber fünf dazugekommenen Punkten auf den To-do-Listen immer auch ein schlechtes Gewissen:

Der Geburtstagskuchen kam mal wieder aus der Truhe, die Martinslaterne fertig aus dem Bastelgeschäft. Hausaufgabenhilfe funktionierte abermals bloß leidlich zwischen Küchen- und Schreibtisch, weil da ja noch diese wichtige Mail an den Chef geschrieben werden musste. Zum Abendessen gab es zum vierten Mal in dieser Woche Nudeln. Mindestens ein Kind meckert ständig, dass es dies oder das nicht dürfe – nachdem wir ihm doch bereits dies oder das erlaubt haben.

Es geht hier nicht um Perfektion. Es geht, wie so oft, einfach darum, allen Beteiligten irgendwie gerecht zu werden.

Und überhaupt: Sollte ich meinen Jungs nicht auch außerschulisch noch mehr fördernde Angebote machen, die über eine Runde „Monopoly Junior“, betreutes Daddeln mit der „Anton“-App oder „Ach, komm, jetzt gucken wir noch einen schönen Film zusammen!“ hinausgehen? Ich will doch manchmal auch nur meine Ruhe!

Wer nun einwenden mag, dass die Ansprüche von sich derart zerrissen fühlenden Eltern vielleicht einfach zu hoch sind, den oder die muss ich enttäuschen: Nein, es geht hier nicht um Perfektion. Es geht, wie so oft, einfach darum, allen Beteiligten – Kindern, Lehrer:innen, Arbeitgeber, Partnerin, sich selbst – irgendwie gerecht zu werden.

Respekt, wer bei alldem den Posten des Elternsprechers annimmt

Inmitten dieses alltäglichen Chaos zwischen Wahn und Sinn würde zumindest ich der Verantwortung, die etwa der Posten eines Elternsprechers zweifelsfrei mit sich brächte, nicht gerecht werden und ihn deshalb lieber gar nicht erst annehmen. Umso mehr Respekt hege ich für engagierte Mütter oder Väter, die das tun – und das dann sogar noch voller Energie und Durchblick.

Auch wenn ich zugeben muss, dass mir allzu entspannte und organisierte Eltern bei Instagram und auf dem Schulhof immer ein wenig suspekt sind.

Zur Person

Fabian Soethof
Fabian Soethof
©Hella Wittenberg
  • Fabian Soethof ist Journalist und Redakteur. Seit 2016 leitet er die Online-Redaktion des „Musikexpress“, seit Ende 2017 in Teilzeit.
  • Er bloggt unter newkidandtheblog.de über Elternthemen zwischen Wahn und Sinn und hat im März 2022 sein erstes Sachbuch veröffentlicht: „Väter können das auch! Es ist Zeit, Familie endlich gleichberechtigt zu leben“ (Kösel-Verlag).
  • Mit seiner Frau und zwei Kindern (9 und 6) lebt er in Berlin-Kreuzberg.