Schwimmunterricht : Warum viele Kinder nicht schwimmen lernen
Trotz Schwimmunterricht sind 60 Prozent der Kinder am Ende der vierten Klasse noch Nichtschwimmer. Die Zahl der ertrunkenen Kinder nimmt dramatisch zu. Schulportal-Kolumnistin Sabine Czerny geht der Frage nach, warum es viele Kinder nicht schaffen, in der Grundschule das sichere Schwimmen zu erlernen.

Mindestens 504 Menschen kamen 2018 in Deutschland bei Badeunfällen ums Leben, wie die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) Anfang des Jahres vermeldete. Unter den 71 Todesopfern der Altersgruppe bis 20 Jahre waren 26 Kinder im Vor- und Grundschulalter. Die Zahl der ertrunkenen Kinder und Jugendlichen stieg 2018 dabei im Vergleich zum Vorjahr um insgesamt 38 Prozent.
Diese Zahlen sind erschreckend, insbesondere weil man davon ausgehen kann, dass die Anzahl der Ertrunkenen in den nächsten Jahren noch weiter zunehmen wird. Nach einer Umfrage der DLRG aus dem Jahr 2017 sind etwa 60 Prozent der Zehnjährigen keine sicheren Schwimmer mehr.
Woran liegt das? Und was kann getan werden, um die Wassersicherheit unserer Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten?
Ein Grund liegt sicher darin, dass immer mehr Schwimmbäder in den letzten Jahren geschlossen wurden und auch weiterhin werden. Ohne Schwimmbad kein Schwimmunterricht – keine Frage. Aber es gibt auch andere Gründe.
Oft bleiben weniger als 30 Minuten für den Schwimmunterricht
An einigen Grundschulen findet der Schwimmunterricht im Nachbarort oder der Nachbarschule statt, in denen ein Schwimmbad vorhanden ist. Veranschlagt ist dafür eine Doppelstunde während des Schulvormittags. Es steht also ein Zeitrahmen von 90 Minuten zur Verfügung. Die Kinder werden mit dem Bus ins Schwimmbad und wieder zurückgefahren, das allein dauert meist schon jeweils über eine Viertelstunde. Bis die Kinder sich umgezogen und geduscht haben und die Formalitäten erledigt sind, vergehen noch einmal viele Minuten. Gerade im Winter, wo die Haare der Kinder mit den wenigen Föns getrocknet werden müssen, muss sehr großzügig Zeit eingeplant werden, um rechtzeitig zurück an der Schule sein zu können. So bleiben oft weniger als 30 Minuten für den Schwimmunterricht mit circa 28 Kindern in einem Lehrbecken, das in der Regel Maße von 20 mal 8 Metern hat. Die Kinder müssen also abwechselnd schwimmen, damit jedes von ihnen genug Platz hat.
Diese Doppelstunde Schwimmunterricht pro Woche teilt sich zudem oft eine Jahrgangsstufe – und das unabhängig davon, dass der Schwimmunterricht meist nur in einer Jahrgangsstufe überhaupt stattfindet. Das heißt, bei einer gängigen vierzügigen Schule hat jede Schülerin und jeder Schüler in ihrem oder seinem Schulleben etwa acht Wochen Schwimmunterricht, also acht Doppelstunden, von denen immer mal wieder auch eine ausfällt, aufgrund eines Schulprojektes oder eines Ausfluges oder weil die Lehrkraft krank ist. Es gibt in der Regel eher wenige Lehrkräfte an einer Schule, die berechtigt sind, den Schwimmunterricht zu erteilen.
Eltern ersetzen oft fehlende Aufsichtspersonen im Schwimmunterricht
Vielleicht liegt es daran, dass die Schwimmklasse nicht geteilt wird, wie es im Fach Handarbeiten des Öfteren der Fall ist, sondern eine einzige Lehrkraft 28 Kinder unterrichten muss. Eine zweite Aufsichtsperson ist vorgeschrieben, die gegebenenfalls auch mit der Anwesenheit einer Badeaufsicht gewährleistet ist. Haben die Schwimmbäder keine Badeaufsicht, sind die Schulen dann in Not … und wieder auf Eltern angewiesen, die die Klasse begleiten. Gott sei Dank findet sich doch immer wieder ein Elternteil, das sich zu dieser ehrenamtlichen Aufgabe bereit erklärt. Die Verantwortung für die 28 Kinder und den Schwimmunterricht hat dennoch die Lehrerin oder der Lehrer.
Früher konnten die Kinder fast alle schwimmen, wenn sie in die Schule kamen. Es gab ein bis zwei Nichtschwimmer, die gut im Auge behalten werden konnten, während man den anderen Anweisungen gab. Heutzutage – so würde ich sagen – ist das Verhältnis eher so: Etwa drei bis acht Kinder können gut schwimmen und konkrete technische Übungen ausführen, zehn bis 14 Kinder halten sich irgendwie, teils auch noch sehr unsicher, über Wasser und brauchen individuelle Unterstützung, und sechs bis zwölf Kinder sind absolute Nichtschwimmer.
Viele Kinder sind mit dem Wasser nicht vertraut
Das Problem bei den Nichtschwimmern ist dabei vor allem, dass ihnen Wasser oft noch nicht vertraut ist. Sie haben Scheu und fürchten sich, sich diesem Element anzuvertrauen oder auch nur einen Teil des Kopfes unter Wasser zu tauchen. Jedes dieser Kinder bräuchte einen Menschen, der bei ihm ist. Der es liebevoll durchs Wasser zieht, mit ihm planscht, mit ihm gemeinsam langsam bis zur Nasenspitze den Kopf unter Wasser nimmt, mit ihm im Wasser Luft ausatmet und sich mit ihm freut, wenn auch nur eine Kleinigkeit besser gelingt.
Das braucht Zeit … und es braucht vor allem einen Menschen. Nicht nur für die Wassergewöhnung, sondern auch für die ersten Schwimmbewegungen, bis das Kind sich im Wasser sicher fühlt. Bei den ersten Schwimmbewegungen hilft die Hand unter dem Bauch, die sich langsam löst und doch sofort wieder da ist, wenn das Kind unsicher wird. Es helfen die situativ anleitenden Worte, wie die Hand- und Fußbewegungen verändert werden müssen, um besser zu schwimmen.
Die Lehrkraft darf nicht mit den Kindern ins Wasser
Aber eine einzelne Lehrkraft kann das nicht leisten. Schon allein aufgrund der Aufsichtspflicht: Sie darf nämlich nur ins Wasser, wenn alle anderen Kinder außerhalb des Wassers sind. Schwimmhilfen sind eine gute Unterstützung beim reinen Planschen und auch beim Erlernen von Techniken und zur Übung. Setzt man sie aber ein, um dem Kind beim Schwimmenlernen Sicherheit zu vermitteln, ist das oft trügerisch, denn das Kind gewinnt die Sicherheit nicht aus sich selbst heraus. Kinder trauen sich dann oft nicht, die Schwimmhilfen abzulegen, um allein zu schwimmen. Oder es bräuchte eben wieder einen Menschen, der ihm bei diesem wichtigen Schritt zur Seite steht.
Der Unterricht in einer größeren Gruppe macht erst Sinn, wenn das Kind die Grundvoraussetzungen hat, das heißt, wenn es sich sicher fühlt, wenn es nicht mehr ständig einen Menschen zur Unterstützung benötigt und wenn es Erklärungen von sich aus aufnimmt und umsetzt. 28 Kinder sind in einer Gruppe in jedem Fall zu viel, Gruppen mit acht Kindern sind für eine Lehrkraft gerade noch sinnvoll überschaubar.
Ich habe durchaus Sorge, dass sich die Problematik zuspitzt. Wenn es immer weniger Kinder gibt, die schwimmen können, wird es zwangsläufig bald immer weniger Eltern geben, die ihren Kindern die Vorerfahrungen mitgeben können, die diese brauchen, um gut und sicher schwimmen lernen zu können.
Zur Person
- Sabine Czerny ist seit über 20 Jahren Lehrerin und unterrichtet in einer Grundschule im Großraum München eine zweite Klasse in allen Fächern. Zusätzlich gibt sie Fachunterricht in anderen Klassen, auch in der Mittelschule.
- Vor gut einem Jahrzehnt machte Sabine Czerny bundesweit Schlagzeilen: Weil ihre Schülerinnen und Schüler zu viele gute Noten erzielten, wurde sie strafversetzt.
- 2009 wurde sie mit einem Preis für Zivilcourage, dem Karl-Steinbauer-Zeichen, ausgezeichnet. Ein Jahr später erschien ihr Buch „Was wir unseren Kindern in der Schule antun … und wie wir das ändern können“.
- Für Das Deutsche Schulportal schreibt Sabine Czerny eine Kolumne.