Kolumne

Vorweihnachtszeit in der vierten Welle : Zwischen Hormonen, Booster-Frage und Schulsimulator

Schulportal-Kolumnistin Sandra Garbers fühlt sich in der vierten Welle zwischen verschiedenen Planeten hin und her geworfen. Sie ist froh, dass die Schulen offenbleiben sollen und dass der Planet Schule sie daher als Hilfslehrerin rausgeschmissen hat. Aber auf dem E-Planeten der Erwachsenen würde sie sich etwas mehr Versöhnlichkeit wünschen. Bleibt nur ein Ausweg: der Planet F. Und ihre Tochter muss sich derweil mit ganz anderen Planeten herumschlagen.

Sandra Garbers
Vorweihnachtszeit in der vierten Welle Kind mit Zuckerstange
Bei der unversöhnlichen Stimmung in der vierten Welle fällt es Kolumnistin Sandra Garbers schwer, in Weihnachtsstimmung zu kommen.
©Annette Riedl/dpa

Meine Elfjährige hat eine Freundin verloren. Im Sommer sind sie noch wild durch den Garten galoppiert, über selbst gebaute Hindernisse gesprungen, die 1,40-Meter-Hürde haben sie mit einem kleinen Trampolin souverän gemeistert, danach Eis essen mit Hund und endloses Kichern und Reden. Worüber, weiß kein Mensch. Aber jetzt haben diese fiesen kleinen Dinger zugeschlagen: Hormone!

Hormone sind der Grund, aus dem Eltern größerer Kinder Eltern kleinerer Kinder mantraartig einflüstern: Genießt die Zeit mit den Kleinen – es ist sooooo schnell vorbei! Bei der Freundin meiner Elfjährigen war es schlagartig vorbei. Das Kichern, das Hüpfen, das Verstehen der anderen. „Ihr seid gerade auf zwei unterschiedlichen Planeten unterwegs“, versuchte ich die Tochter zu trösten. „Du bist noch auf dem K-Planeten für Kinder, sie ist auf dem P-Planeten. P wie ,Pubertät‘.“ Manchmal wird der P-Planet auch „H-Planet“ genannt, der Handy-Planet, weil es plötzlich wichtiger ist, noch schnell das neue Tiktok-Video anzuschauen, als zu Ende zu spielen. Weil Spielen peinlich und peinlich das Gegenteil von cool ist.

In der vierten Welle ist das Verständnis auf dem E-Planeten gering

In so einem Moment ist es schlau, ein bisschen Ruhe einkehren zu lassen, sich vielleicht eine Zeit lang aus dem Weg zu gehen, damit man dann später, wenn es vielleicht wieder passt – und das ist bei einer sechs Jahre dauernden dicken Freundschaft ja nicht unwahrscheinlich –, noch mal zusammenfinden kann. In einer Welt ohne Katzenposter.

Auf dem E-Planeten der Erwachsenen ist es nicht anders. Die vergangenen Monate habe ich damit verbracht, abwechselnd fassungslos, wütend, genervt oder resigniert zu sein. In dem Gefühl, dass wir uns in einer Endlosschleife bewegen, die wir längst hätten verlassen können. Schön geradeaus und mit so tollen Ausfahrten wie Skiurlaub, Geburtstag mit Oma und Opa oder Silvesterparty.

Tägliches Warten auf die E-Mail aus der Schule zur Corona-Lage

Das Verständnis sinkt umgekehrt proportional zu den Inzidenzen. Und von Demonstration zu Demonstration. Und von Irrsinn zu Irrsinn. Vielleicht müssen wir uns ebenfalls eine Zeit lang aus dem Weg gehen, damit wir uns später, wenn alles vorbei ist, doch wieder mögen können.

Bis dahin versuchen wir anderen, über Chiffren in Verbindung zu bleiben: „Ich bin ein bisschen müde vom Booster gestern.“ – „Ja, war bei mir auch so …“ Uff, gleicher Planet. Dass es Zeit für eine kleine Pause ist, merkt man dagegen leicht an beiläufig eingestreuten Wörtern wie „Medienpropaganda“‚ „Impfdiktatur“, „Bill Gates“ oder „Bodo Schiffmann“.

Der Verlust des Vertrauens in „Alles wird gut“ ist in der vierten Welle so groß wie nie.

Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals eine so unfriedliche, unversöhnliche Weihnachtszeit erlebt zu haben. Es ist kaum möglich, dagegen anzubacken. Der Kamin feuert fast durchgängig in einer Art Gemütlichkeitstrotz, und vor Fenstern und von Treppengeländern hängen so viele Sterne, dass man damit mindestens die Milchstraße bauen könnte. Gegen 14 Uhr erfolgt täglich der bange Blick auf die E-Mails: Ist eine von der Schule dabei? Hatte wieder jemand einen positiven Schnelltest? Wenn ja, heißt es warten bis etwa 17 Uhr, dann ist das Ergebnis vom PCR-Test meist da, und man kann abschätzen, wie nah der Einschlag ist: „Sitzt du in der Nähe von Johannes?“ – „Hast du in der Pause mit Lina gespielt?“ Das ist auch wichtig für die eigene Wochenplanung. Quarantäne? Oder noch mal davongekommen?

Kinder müssen bestätigen, dass sie Hausaufgaben selbst gemacht haben

Der Verlust des Vertrauens in „Alles wird gut“ ist in der vierten Welle so groß wie nie. Und das Misstrauen ist überall. Gegen die Schließung der Schulen wird gemeinhin mit dem Kindeswohl argumentiert. Bei uns an der Schule ist es aber wohl mehr die Tatsache, dass man bei einer erneuten Schulschließung das nächste Zeugnis eigentlich den Eltern ausstellen müsste. „Sandra Garbers konnte durch fleißiges Üben ihre Handschrift in den letzten Monaten deutlich verbessern …“

Plakate werden nur noch in der Schule angefertigt. Nimmt sie aber doch mal jemand mit nach Hause, werden sie vorher fotografiert, damit man weiß, wie sie eigentlich mal aussahen, bevor Mama oder Papa die Ausbesserungsarbeiten vorgenommen haben. In der Grundschule einer Freundin gibt es sogar einen Vordruck, mit dem die Quarantäne-Kinder per Unterschrift bestätigen müssen, dass sie ihre Aufgaben selbst gelöst haben. Die Geister, die ich rief …

Wenn das eigene Kind zum Schulsimulator wird

Aber irgendwie muss man uns Eltern ja klarmachen, dass wir wieder raus sind: Eure halbjährige Tätigkeit als Hilfslehrerin oder Hilfslehrer war ganz schön, aber jetzt, husch, husch, zurück ins Homeoffice. Mir gefällt das, ich mochte Schularbeiten schon zu Schulzeiten nicht sonderlich gern. Den S-Planeten Schule verlasse ich daher mit Überschallrakete – weckt mich, wenn das Abitur durch ist. Aber wenn Omikron ruft, stehe ich natürlich wieder Füller bei Fuß.

Damit ich bis dahin nicht ganz aus der Übung komme, hat sich der Achtjährige offenbar eine Art Schulsimulator ausgedacht. Mit ganz vielen Fragen, die ich von Schulschluss bis Nachtruhe beantworten darf. Zum Beispiel NaWi: „Mama, was magst du lieber: Laktose oder Laktase?“ Oder: „Kaufst du mir Magnesium? Dann könnte ich schöne Experimente machen – das brennt doppelt so heiß wie Lava…“

Fragen über Fragen auf dem F-Planeten

Oder in Medienkunde: „Mama, möchtest du einen Film sehen, der ,Mein Leben als Influencer‘ heißt?“ – Ich: „Keinesfalls.“ – Er: „Aber wenn es keinen anderen Film gibt im Fernsehen?“ – Ich: „Dann schaue ich Netflix.“ – Er: „Auch da überall nur: ,Mein Leben als Influencer‘.“ – Ich: „Dann lese ich Zeitung!“ – Er: „Alle Artikel sind über den Film ,Mein Leben als Influencer‘.“ – Ich: „Dann schreib ich mir selbst etwas Schönes …“ – Er: „Aber die Rechtschreibkorrektur macht aus deinem Text einen Text über …“

Stopp! Pause.

Nach der Pause ist Erdkunde: „Mamaaaaa???“ – Ich: „Hmm?“ – Er: „Würdest du gerne im obersten Stockwerk vom Burj Khalifa wohnen?“ – Ich: „Nein!“ – Er: „Warum denn nicht?“ –Ich: „In Dubai gibt es mir zu viele Influencer …“ – Er: „Aber wenn das Burj Khalifa in Hamburg wär, ohne Influencer …“

Und schließlich Parawissenschaften: „Mama, möchtest du einen Nachtmahr als Haustier?“ –Ich „Nein!“ – Er: „Kennst du denn einen Nachtmahr?“ – Ich: „Ja, ich glaube, er hockt hier grad auf dem Sofa und stellt seltsame Fragen …“

So hört sich das an, wenn wir auf dem F-Planeten sind. Der Familienplanet. Das ist momentan der schönste von allen.

Zur Person

  • Sandra Garbers ist freie Autorin und lebt mit Mann, zwei Kindern, Hund und Katze in Berlin.
  • Ihre Tochter geht in die 6., ihr Sohn in die 3. Klasse.
  • Für die Tageszeitungen „Berliner Morgenpost“ und „Hamburger Abendblatt“ schrieb Sandra Garbers die Kolumne „Mamas & Papas“.
  • Nun blickt sie für das Schulportal aus Elternperspektive auf den Schulalltag.